Albumkritik:Wer mit Sehnsüchten Geld verdienen will, muss einen Mangel erschaffen

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Und wie immer, wenn man mit Sehnsüchten Geld verdienen will, muss man erst einen Mangel benennen. Vielleicht auch erschaffen. Im Fall des Albums kommt dieser Mangel (wieder) aus einem semantischen Feld mit Begriffen wie "Leichtigkeit", "Freiheit", "losgelöst", "Sternenmeer", "schweben", "fliegen".

Was man sich eben so ersehnt, wenn eigentlich gilt: "Du liegst in mancher Nacht wach in deinem Bett / Im Dschungel dieses Lebens hat sich das Glück vor dir versteckt" (aus dem Song "Schmetterling"). Wenn überall Schwere ist, Alltag und Pflicht. Und nirgends Leben.

Die Rettung also. Beziehungsweise die Retterin. Denn Helene Fischer "weiß, wie du dich fühlst" (immer noch "Schmetterling"). Dieses "Du" ist faszinierend. Es ist natürlich ein lyrisches Du. Einerseits. Ein fiktiver Angesungener und wenn der lacht, "dann lacht mein Herz mit dir". "Tausend Chöre" singen dann außerdem und alles ist eben endlich "losgelöst", "frei" und "leicht". Denn: "Du tanzt die Last von mir" und "Die Sonne steht so hoch wie nie, wenn alles Gute vor uns liegt. Dann ziehen wir mit dem Wind" (alles nicht mehr "Schmetterling").

Hier wird gelebt

Das "Du" ist aber natürlich immer auch der Hörer. Das Mangelwesen, für das die Liebe, der Alltag, das Leben wohl nie "schmeckt wie Sonne auf der Haut". Und das nun wahrscheinlich dieselbe Größe und Wucht und Intensität auch in seinen Gefühlen sucht. Und bei Helene natürlich. Das mit ihr also das "Leben lauter drehen" will. So zum Beispiel: "Coole Beats, kalte Drink, lauer Wind - ich spür das Leben". Oder so: "Im Raumschiff der Träume eine Runde drehen." Vielleicht auch mit "Herzbeben - wir wollen was erleben, durch die Decke heben". Oder zusammengefasst: "Heute wollen wir einfach mal nur das volle Programm. Um nicht zu vergessen: Hier wird gelebt."

Nur heute! Himmel, wie wohl all die anderen Tage aussehen?

Das Album ist damit ein ständiger, generalstabsmäßig geplanter Hinweis auf den Widerspruch zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit. Problemdiagnose und Heilung in einem. Eine Art Paradiesversprechen, erreichbar mit und durch Helene Fischer. Wäre es Politik, "Helene Fischer" schrammte stets knapp am Populismusvorwurf vorbei.

Wobei die Sängerin selbst für derartige Vorwürfe natürlich wiederum nie greifbar genug wird. Bei aller Nähe bleibt sie eine unerreichbare Figur, die ihre Versprechen mal haucht und mal trällert, mal stöhnsingt und mal divengroß erstrahlen lässt. Gesanglich übrigens absolute Oberliga. Vollkommene Stimmkontrolle. Jede Nuance, jedes Knarzen und Schnurren, jedes Maunzen und Frohlocken ist zum absoluten Idealtypus hochtrainiert. Das ist beeindruckend. Und verstärkt das Gefühl der Manipulation noch mehr.

Will alles sagen: Das Album ist perfekt für Menschen, deren "Ding" es ist, "dann und wann mal abzuheben". Alle anderen können einfach seine perfide Genialität bewundern.

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