Album von David Byrne und St. Vincent:Ekstatisch schunkeln

Als Edelexzentriker begegnen sich die Musiker David Byrne und St. Vincent auf ihrem gemeinsamen Album "Love This Giant" auf einer Schwelle. Hier treffen Selbstinszenierung ohne Narzissmus und Säkular-Messe aufeinander - mit Blechbläsern als Verstärker.

Diedrich Diedrichsen

David Byrne ist nicht gerne mit sich allein. Obwohl - oder gerade weil er seit 35 Jahren von der Singularität seiner fragilen doch kantigen Erscheinung lebt, braucht er immer ein Gegenüber, ein Umfeld, eine Band, mitunter auch einen ganzen global-südlichen Kulturkreis, der ihm zur Hand geht oder den Spiegel hinhält. Die Talking Heads reichten schon bald nicht mehr aus: Brian Eno wurde zum wiederholten Gegenüber, dann ein ganzer Haufen amtlicher Funk-Veteranen, westafrikanische Griots und islamische Radiostimmen, brasilianische Ausnahmekünstler wie Tom Zé oder Caetano Veloso bis hin zu Fat Boy Slim, dem Alter Ego von Olympia-Schlussfeier-DJ Norman Cook - jetzt hat er sich mit einer begabten jungen Frau zusammengetan, die sich seit einigen Jahren, ganz geistesverwandt mit Byrne, als edle Exzentrikerin präsentiert und auch ehrgeizige Großprojekte mit zahllosen Mitstreitern schmeißt: St. Vincent.

David Byrne

David Byrne und Annie Clark alias St. Vincent.

(Foto: Andreas Laszlo Konrath/lovethisgiant.com)

Für die ersten Bilder der beiden wurde die Fotostrategie ihrer ersten beiden Solo-Arbeiten "Marry Me" und "Actor" weitergeführt. Artifizielle, kalte Porträts, die immer schon klarmachen sollten, dass sich die 30-jährige Annie Clark, wenn sie sich St. Vincent nennt, als fiktive Figur versteht: Sie inszeniert sich als unerschütterlich und undurchdringlich und sie weiß, dass gerade eine frontale und geheimnislose Fotografie die Opazität des Gesichts steigert. Für das Cover dieses gemeinsamen Albums, "Love This Giant" (4 AD / Todo Mundo), werden die leicht gestörten, den Betrachter fixierenden Blicke von Byrne und Clark aber von einigen kleinen plastischen Verfremdungen im Gesicht humoristisch gerahmt: Tumore? Photoshop? Nein, Meisterwerke eigenartiger Maskenbildnerkunst. Masken sind ein großes Thema bei den beiden.

Byrne hatte schon immer ein Faible und ein Talent für schmissige Melodien, die auch gerne mal direkt ins Jubilatorische und Gospelhafte mündeten. Ab spätestens der vierten Talking-Heads-LP war seine Antwort auf die klaustrophobisch gestalteten und scharfzüngig formulierten Widersprüche seiner Psychoprotokolle gerne eine anständige Southern-Baptist-Ekstase - oder eine andere entlastende religiöse Überhöhung (ohne Religion). Auch hier haut er immer wieder diese Umschlagsituationen raus: Nur kurz muss die nervöse Krise einer nachdenklichen Geste ausgehalten werden und schon löst sich die Spannung in ein alle in die Arme schließendes Schunkelwunder.

St. Vincent widmet sich hingegen eher der Narration und dem Aufbau persönlicher Momente, deren Ausgang nicht so vorhersehbar ist. Da die jeweiligen Teile der fast durchweg gemeinsam geschriebenen Songs ganz hübsch ineinander übergehen, gibt das auch Byrnes Säkular-Messen einen längeren Anlauf.

St. Vincent ist darüber hinaus eine der wenigen jungen Sängerinnen, die noch andere Register als den heute üblichen Narzissmus von Vokalisten kennt, die sich an den Wundern der eigenen Stimmbänder laben. Sie findet auch in Songaufbau und Texten gute Gründe für Manierismen, die auch mal nichts mit ihrem Körper oder ihrer Person zu tun haben müssen. Damit ist sie auch in anderer Hinsicht eine interessante Partnerin für Byrne. Denn der ist ja sozusagen der Urahn jener Gesangskultur, die sich weder vom körperlichen Authentizismus des Rock noch von den kollektiven Solidaritäts-Imperativen der Folk-Kultur noch etwas sagen lassen wollte.

Aufgebrezelte Exzentrik-Pose

Gerade St. Vincent ist inmitten einer narzisstischen Generation eine, die Verkrampfungen und Manierismen, Selbstbezug und Selbstgenuss wieder in Zusammenhänge und Erzählungen stellen, ja objektivieren will, zumindest immer wieder externe Perspektiven konstruiert: Die beiden begegnen sich an der Schwelle, wo der Blick ins eigene Gesicht Geschwüre hervorbringt. Aber sie kommen aus entgegengesetzten historischen Richtungen.

Da das Projekt zu Beginn ein karitatives Konzert an einem Ort auf die Beine stellen sollte, wo man schwer eine große Verstärkeranlage untergebracht hätte, kam St. Vincent die Idee, statt einer regulären Rockband eine Blechbläsertruppe die Begleitung besorgen zu lassen. Auch das traf sich hervorragend mit David Byrnes schon öfters ausgelebter und kenntnisreicher Liebe zu großen Blechbläser-Ensembles in Funk, New-Orleans-Tradition und anderen Roots-Musiken. Da lauert allerdings auch ein altes Problem: Byrne hat sich schon während der Talking-Heads-Tage als Film-, Ballett- und vor allem Theatermusiker zweiterfunden. Er betreibt dieses Geschäft längst ausgeprägter als seine Songwriter- und Performerkarriere.

Zur Theatermusik gehört aber ein illustratives Verhältnis zwischen Klängen und den mit ihnen gemeinten Welten, während in der Pop-Musik ein identifikatorisches, besetzendes Verhältnis besteht und Bedeutungen nach und nach zwischen Genre, Publikum und Künstlern ausgehandelt werden. Werden illustrative Methoden in die Pop-Musik übernommen, kommen sie als Gimmicks rüber. Sounds haben hier Bedeutung durch ihre Sozialgeschichte, ihren Gebrauch und die Communities, die sich darum bilden: Man kann ihre Semantik nicht verordnen. Byrne hat seine weltmusikalisch eroberten Klangfrüchte schon öfter als derart assoziativ-suggestive Klanggimmicks verschlissen.

Zum Glück wird diese Gefahr durch Sparsamkeit, Behutsamkeit und die Zurückhaltung einer echten Backing Band bei den hier eingesetzten Blechbläsern oft genug gebannt; leider nicht immer: Der Hang zum Schmissigen, die aufgebrezelte Exzentrik-Pose vertragen sich leider zuweilen auch unangenehm gut mit dem betulich zirzensischen André-Heller-Flair mancher Bläsersätze. Das ist halt der alte Fehler des Gedankens, man könne Pop-Musik weiterbringen, wenn man ihr einfach Elemente hinzufügt, sie erweitert, indem man die Palette erweitert.

In den besseren Momenten gelingt hingegen eine rhythmisch und soundgeschmacklich zeitgenössische Anknüpfung an die Linie Kurt-Weill-Carla-Bley: "I Am An Ape", eine der diversen Auseinandersetzungen mit prekären Natur-Kulturgrenzen, mit dem sogenannten Speziesismus und anderen neongrünen Themenkomplexen, wäre ein gutes Beispiel. Hier haut der Byrne-Drahtseilakt zwischen Kirmes-Slumming und Sensibilitätsexhibition genau hin, und das Bläserensemble wirkt nicht wie ein auf schräg geschminkter Gimmick, sondern wie eine würdige Big Band.

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