Süddeutsche Zeitung

Album-Präsentation:Das eigene Ding

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Der multitalentierte Schlagzeuger Stefan Noelle ist seit vielen Jahren einer der stillen Helden der Münchner Szene. Jetzt stellt er in der Milla sein erstes Chansonalbum vor

Von Oliver Hochkeppel

Die dreiteilige "keltische Bardenprüfung", wie sie ein alter Scherz formuliert, hat Stefan Noelle bereits vor langem bestanden: Er hat das Publikum schon zum Lachen und zum Weinen gebracht, und er hat ein Kind in den Schlaf gesungen. Nach der Pflicht folgt jetzt die Kür. Am kommenden Sonntag stellt er in der Milla sein erstes Chansonalbum "Meinetwegen im Regen" vor. Das hat eine lange Vorgeschichte und ist etwas ganz Besonderes geworden. Man muss lange nachdenken, will man auf deutsche Lieder kommen, die ähnlich in der Schwebe bleiben zwischen Ein- und Zweideutigkeit, zwischen Ernst und Hochkomik, zwischen intellektuellem Sprachspiel und lyrischer Emotion. Die weder mit dem Charme des Unfertigen spielen noch die Starrheit des Liedermachertums ausstrahlen. Die musikalisch ausgearbeitet und publikumserprobt sind, ohne Spontaneität zu verlieren. Man könnte vielleicht Reinhard Mey, Konstantin Wecker oder Ulrich Roski (ein alter Jugendheld Noelles) nennen, aber nichts davon trifft es wirklich.

Ist doch das Album ganz Ausdruck einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Jahrgang 1965 ist Noelle, jene Babyboomer-Generation also, der im Geflecht aus Post-68er-Libertinage, Wohlstandsgesellschaft und den Grenzen des Wachstums die althergebrachte Lebensplanung zerbröselte. Nach Abitur und Zivildienst tat sich auch Noelle schwer, seine vielen Interessen auf ein gerades Gleis zu setzen. Vieles probierte er aus; dass er, der als Kind Gitarre und später Klarinette (statt des gewünschten Tenorsaxofons) gelernt hatte, schließlich Schlagzeuger wurde, war eher Zufall. Auch wenn der Wunsch früh da war, spätestens seitdem er mit zwölf Art Blakey live gesehen hatte. "Ich bin einer der letzten Wald-, Wiesen- und Straßenmusiker, die es in der Szene gibt," sagt er selbst, "zu 90 Prozent Autodidakt und ein Learning-By-Doing-Typ". Erst ein legendärer Perugia-Workshop (zusammen mit Gerd Baumann, Johannes Enders und Martin Scales) und der Unterricht bei den Schlagzeug-Legenden Ed Thigpen und Alvin Queen brachte ihn in die Spur.

Noelle schaffte sich alles vom Swing über Latin bis zur Weltmusik drauf und spielte, was gefragt war. Weil er außerdem über eine großartige Stimme verfügt, kam er auch zu Cora Frost, oder dem Rat-Pack-Sextett Under My Skin. Und sein Talentmix führte ihn nahezu logisch zu Theater und Film. Beim Metropol-Theater schrieb für legendäre Inszenierungen wie "I Hired A Contract Killer" die Bühnenmusik und trat auch noch auf, etwa in "Broadway Danny Rose" oder "Der Golem". Außerdem komponierte er für den Filmpreis nominierte Kinomusik für "Aus der Tiefe des Raums" oder "Almanya".

Und dann ist da natürlich noch das Duo Unsere Lieblinge zusammen mit dem Bassisten Alex Haas, mit dem er sich so einzigartig wie hintergründig kabarettistisch durch die Musikgeschichte hangelte. Und doch reichte es nie zu mehr als zur Kultband einer eingefleischten Fangemeinde. In der unfreiwillig anfallenden freien Zeit begann Noelle, was beim Coverband-Konzept ausgeschlossen war: eigene Sachen zu schreiben. Ohnehin war der Italienisch-, Anglistik- und Kommunikationswissenschaftsabbrecher neben der Musik immer schon von der Sprache fasziniert. Ohne um das Renommee der Institution zu wissen, bewarb er sich dann vor vier Jahren beim Textdichterseminar "Celler Schule". Er wurde genommen - und endgültig ermutigt. Hatte er bis dahin nicht mehr als ein paar halbfertige Texte, ging es nun - auch mit dem selbst auferlegten Druck durch Auftritte bei Hannes Ringlstetters Mixed-Show im Vereinsheim - zügig voran.

Bis sich das alles nun zu einem Album verdichtete, dauerte es freilich noch einmal gut zwei Jahre. "Ich habe vielleicht nur diesen einen Schuss, da wollte ich, dass alles genau so wird, wie ich es mir vorstellte", sagt er. Das hat er bei Michael Nasswetters gleichnamigen jungen Label verwirklichen können: Alles sieht toll aus und klingt herausragend, auch dank der Begleiter Georg Alkofer an Gitarre und Posaune, Florian Riedl an diversen Holzblasinstrumenten und Sebastian Gieck am E-Bass. Bei der Präsentation in der Milla darf man nun über die Wirkung der "Erdbeerbowle" oder die Koch-Wortspielereien in "Willst Du mit mir fencheln?" lachen, über das Beziehungselend in "Aber so geht es auch" weinen, über das Arbeitswelten-Drama "Da wo du jeden Tag hingehst" erschauern und sich von "Es ist ein zarter Moment" in die Nacht singen lassen. Keltische Bardenprüfung mit Stern.

S tefan Noelle, 24. Januar, 20 Uhr, Milla, Holzstraße 28

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SZ vom 22.01.2016
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