Album "Lemonade":Beyoncé, Ihre schwarze Exzellenz

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Beim Super Bowl im Februar feiern Fans den Auftritt von Beyoncé.

(Foto: USA Today Sports)
  • Beyoncé veröffentlicht ihr sechstes Studioalbum "Lemonade".
  • Die Veröffentlichung wird mit einem einstündigen Film beim Pay-TV-Kanal HBO inszeniert.
  • Das Album ist ein politisches Statement und hat zwei große Themen: Rassismus gegenüber Schwarze und Geringschätzung gegenüber Frauen.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Spätestens nach einer Viertelstunde flippen die Zuschauer aus. Spätestens jetzt ist allen klar, dass Beyoncé gerade dabei ist, ihren Namen unauslöschbar in die Musikgeschichte zu schreiben. Ihr sechstes Soloalbum "Lemonade" besteht aus zwölf Songs, begleitet von einem einstündigen Film beim Pay-TV-Kanal HBO - die Inszenierung ist die beste, fulminanteste Veröffentlichung eines Albums seit Langem.

Dass Beyoncé in diesem Spielfilm in einem Monstertruck sitzt und Autos plattwalzt, dass sie mit einem Baseballschläger auf Kameras eindrischt, ganze Zimmer eines Palastes unter Wasser setzt - das ist nur der visuelle Superlativ. Noch gewaltiger und drängender sind die Sätze, die sie flüstert, spricht, singt und schließlich brüllt. "Du erinnerst mich an meinen Vater, ein Magier, der es schaffte, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. In der Tradition der Männer meines Blutes, kommst du nach Hause, um drei Uhr in der Früh, und lügst mich an. Was hast du zu verstecken?"

Zwischenzeitlich wirkt "Lemonade" wie eine Scheidung von Jay Z

Während die Fans den Film anschauen, teilen sie ihre Gedanken auf Twitter. Der Kurznachrichtendienst dient der schwarzen Bevölkerung in den USA unter dem Schlagwort "Black Twitter" als Sprachrohr. Nach 15 Minuten enden fast alle Tweets mit Fragezeichen. Die Zuschauer sind überwältigt, suchen gemeinsam nach möglichen Interpretationen. "Ich glaube, Beyoncé erzählt uns gerade, warum Solange damals Jay Z im Aufzug verprügeln wollte", schreibt eine Nutzerin. Das ist eine Anspielung auf die Aufnahmen einer Hotel-Überwachungskamera, auf denen 2014 zu sehen war, wie die Schwester von Beyoncé auf deren Ehemann Jay Z losging - mit Faustschlägen und Fußtritten.

Zeile um Zeile gewinnen die Zuschauer den Eindruck, dass diese Veröffentlichung, dieses Album die musikalische Form einer Scheidung sein könnte. "Was wirst du während meiner Beerdigung sagen, nachdem du mich umgebracht hast? Hier liegt der Körper der Liebe meines Lebens, deren Herz ich gebrochen habe, ohne dass man mir eine Waffe an den Kopf gehalten hätte. Ruhe in Frieden, meine wahre Liebe, die ich als selbstverständlich angesehen habe. Die mit der tollsten Pussy." Doch später im Film wird Jay Z auftauchen und Beyoncé umarmen, sie bleiben also ein Paar.

Mit "Formation" positioniert sich Beyoncé als schwarze Künstlerin

Nachdem der letzte Beat verhallt ist, der offizielle Teil des Films also endet, beginnt das Outro zum Instrumental von "Formation". Das ist der letzte Song auf dem Album und der einzige, der vorab bekannt war. Beyoncé hatte ihn am 7. Februar veröffentlicht und ihm an nächsten Tag während des Super Bowls performt. "Formation" wurde von Publikum und Kritikern als Song aufgefasst, mit dem sich Beyoncé als explizit schwarze Künstlerin positioniert. Die Kulturkritikerin "dream hampton" nannte es im Interview mit der amerikanischen Radioanstalt NPR "unapologetic blackness". Eine der aktuell bedeutendsten Musikerinnen entscheidet sich für ein Schwarzsein - ohne Rechtfertigungen. Für einen Song, der sich an schwarze Frauen richtet.

Im Songtext von "Formation" bezeichnet sich Beyoncé als "Bama", eine abwertende Bezeichnung für Schwarze, vor allem jene aus dem Süden. Sie singt über die Afrohaare ihres Kindes und beginnt den Song mit einer Audio-Aufnahme von Messy Mya, einem schwarzen Comedian der unter bis heute ungeklärten Umständen umgebracht wurde. "Was ist nach New Orleans passiert?", fragt Mya. New Orleans wurde 2005 vom Hurrikan-Katrina regelrecht vernichtet. 1800 Menschen starben, die Stadt lag in Trümmern. Amerika hat diese Stadt und seine schwarze Bevölkerung im Stich gelassen.

Beyoncé schreibt mit diesem Album ein Stück schwarze Geschichte

Der Song "Formation" sei "tiefschwarz", hieß es, und voll von Referenzen, die an nichtschwarzen Menschen unbemerkt vorbeifließen. Der 7. Februar, der Tag der Veröffentlichung, war zum Beispiel der Geburtstag von Trayvon Martin, jenes schwarzen Jugendlichen, der 2013 von einem weißen Nachbarschaftswachmann erschossen worden war. Im Film tauchen die Mütter von Trayvon Martin, Eric Garner und Michael Brown auf, deren Tode Diskussionen über Rassismus und Polizeiwillkür auslösten. Beyoncé will - und wird - mit diesem Album schwarze Geschichte in den USA schreiben. Ganz im Stil der Jazz- und Soul-Sängerin Nina Simone, die von Künstlern verlangte, Zeit und Umstände zu reflektieren, in denen sie leben.

Für Beyoncé, für schwarze Menschen ist das im Jahr 2016 die Diskussion über Rassismus und Ungleichheit in den USA. Einen der Gastauftritte hat der Rapper Kendrick Lamar, auch er ist bekannt für seine Texte, die überquellen vor schwarzer Kultur und Geschichte. Weder Lamar noch Beyoncé erklären ihre Lyrics. Wer angesprochen ist, versteht es auf Anhieb; alle anderen müssen selbst versuchen, sich einen Reim auf die popkulturellen und politischen Referenzen zu machen.

Anmerkung des Autors

Ich selbst bin nicht schwarz, dementsprechend fällt es mir schwer, die Texte zu verstehen - zumindest anfangs, bis die ersten Interpretationen und Artikel erscheinen. Deshalb habe ich mit Sara Weber gesprochen, meiner Kollegin bei SZ.de. Ihr Vater ist Afroamerikaner, sie ist oft in den Staaten und beschäftigt sich mit der Situation der Schwarzen in den USA. Sara hat sich das Video ebenfalls angeschaut.

"Ich kann noch keinen Text über das Album schreiben, ich muss erst darauf klarkommen", hat sie mir gesagt. Sara hat mich aber darauf hingewiesen, dass das Album eben nicht nur schwarz ist, sondern explizit für schwarze Frauen. Das Thema der betrogenen Frau in einer Partnerschaft sei in schwarzen Beziehungen sehr präsent. Beyoncé unterbricht ihre Songs an einer Stelle und lässt Malcolm X zu Wort kommen. "Die am geringsten geschätzte Person in Amerika ist die schwarze Frau."

Beyoncé singt an einer Stelle des Albums: "Ruf lieber Becky an, die mit den guten Haaren." Der Name Becky gilt in der schwarzen Community als Codewort für eine weiße Frau. Auch dieses Thema - schwarzer Mann betrügt schwarze Frau mit weißer Frau - ist im afroamerikanischen Kontext wichtig. Man erfährt nicht, ob und was tatsächlich vorgefallen ist, zwischen Beyoncé und Rapstar Jay Z. Doch so, wie das Album auf und von "Black Twitter" interpretiert wurde, muss Jay Z eine seiner berühmtesten Songzeilen wohl umschreiben. Sie lautet: "I got 99 problems but a bitch ain't one." Jetzt könnte Jay Z 100 Probleme haben - und seine Frau eines davon sein.

Ein grandioses Album

Beyoncé singt außerdem über die schwierige Beziehung zu ihrem Vater, ihre Liebe für ihre Mutter und Großmutter. Nach der Großmutter, die Beyoncé "Alchimistin" nennt, ist das Album benannt; ihr Rezept für Zitronenlimonade spricht Beyoncé für alle zum Nachmachen im Film laut aus.

Lemonade ist ein Album für die schwarze Frau. Das zeigt sich auch an den Gastauftritten: die Schauspielerinnen Quvenzhané Wallis und Amandla Stenberg, Tennisstar Serena Williams und das Model Winnie Harlow, allesamt schwarze Frauen. Lemonade ist ein grandioses Album, bei dem Beyoncé über zwölf Songs hinweg von Genre zu Genre hüpft: R&B, Balladen, Country, Rap, Beyoncé meistert alles.

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