Wer sich noch daran erinnern kann, als das Wort „Pixel“ auftauchte, geht vermutlich bald in Rente. Diese Würfelpunkte, denen man erstmals in den frühen Grafikprogrammen und Computerspielen begegnete, definierten jene Zeitenwende, als das Raster laufen lernte. Damals konnten Drucker und Designer noch spotten über den mühseligen Steinbruch der Ambition, den die PCs auf ihren anfänglich grün-schwarzen Bildschirmen zeigten. Aber das Lachen verging ihnen bald. In dieser Zeit kaufte Albert Oehlen einen Laptop von Texas Instruments, einer hoffnungsvollen Firma für Heim-Computer-Anwendungen.
1990 probierte der damals Neue Wilde, der gerade mit Martin Kippenberger und Werner Büttner die ironische Malerei zum neuen Mainstream cooler deutscher Kunst gemacht hatte, die enttäuschenden Möglichkeiten digitaler Bilderstellung aus. Das Grafikprogramm des schweren Rechners, das Linien als Treppchen abbildete und die Darstellung von Objekten wie ein Badezimmerdekor aus Mosaikfließen wirken ließ, verdiente für Oehlen eine ironische Behandlung. Das Embryonalstadium digitalen Designs ließ er vergrößert auf Stoff drucken und zermalte es dann. Computerkunst in Öl auf Leinwand.
Vorrang des Fehlerhaften
35 Jahre später sind diese Postkartenmotive aus der Gründerzeit elektronischer Bildbearbeitung erstmals als Serie versammelt und ausgestellt in der Hamburger Kunsthalle. Im Format von historischen Schlachtengemälden wirken die flachen schwarzen Klötzchen, übermalt mit wenigen kalligrafischen Gesten, zwar eigen, aber auch etwas avantgardistisch fad. Ohne Vorwissen gingen sie durch als experimentelle Partituren für Neue Musik. Und trotzdem steht die Werkreihe „Computerbilder“ aus mehreren Gründen für ein paar Schwellenmomente – in der Entwicklung des Digitalen, der Kunst und im persönlichen Werdegang Oehlens.

Oehlens Lehrer an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, Sigmar Polke, hatte bereits in den Sechzigerjahren Rasterpunkte als Stilmittel einer unverschämten Malerei eingeführt. Er verwendete klassische Druckfolien seiner Comic- oder Foto-Motive in hoher Auflösung und projizierte sie auf die Leinwand, um diese dann in echter Fleißarbeit abzumalen – was zu einem zentralen Erkennungszeichen seiner Kunst wurde. Sein begabter Schüler markierte mit seinen „Computerbildern“ den nächsten Schritt in neue Zeiten, indem er materielose Motive mit der Zukunftstechnologie erzeugte, diese aber wiederum klassisch drucken ließ, um sie dann als Grundlage einer traditionell malerischen Reaktion mit dem Pinsel zu benutzen.
In dieser Umcodierung von Polkes Rasterbildern steckt nicht nur ein Emanzipationsmoment vom übermächtigen Lehrer, sondern auch ein Kommentar zur Beschleunigungs- und Effizienzeuphorie, die mit dem Aufkommen der Volkscomputer in den Achtzigern verbunden war. Durch die sarkastische Verlangsamung des Bildprozesses über mehrere Verfahrensstufen und die Präsentation der digitalen Lichtbilder als schlampig übermalte und absichtlich schlecht komponierte Ölbilder gab Oehlen dem menschlich Fehlerhaften den Vorrang vor der Sehnsucht nach Perfektion.
Doch gleichzeitig zog Oehlen mit diesem Akt der Entkleidung des Computers von jeder Qualität eine Grenze zwischen den Genres, die sich im Weiteren bewährt hat: Computerkunst und Malerei sind bis heute autonome Bereiche in der Kunst geblieben, die sich nur selten in die Quere kommen. Das alte Menschenwerk, Bilder geduldig auf Leinwand zu setzen, hat dabei so wenig an Kraft verloren wie durch die Einführung früherer bildgebender Verfahren, etwa der Fotografie, des Films oder des Fernsehens. Der ewige Unkenruf, die Malerei sei tot, wurde selbst durch den totalen Siegeszug des Internets nicht wahr.
Ätzende Spottbilder gegen die Spießigkeit
Für Albert Oehlens Entwicklung als Künstler markiert diese Serie aber auch den endgültigen Wandel vom figürlichen zum abstrakten Maler. Und damit einhergehend den Abschied von der „Bedeutung“. Der postmoderne Popmaler, der vorher mit ätzenden Spottbildern auf Spießigkeit, Verdrängung und Wohlstandsallüren den Zeitgeist traf, bewahrt in den Computerbildern zwar noch etwas von der rebellischen Attitüde des Bad Paintings. Aber von hier aus entwickelten sich dann die vielen unterschiedlichen Werkgruppen, die der jüngst 70 Jahre alt gewordene Albert Oehlen auf der Suche nach dem Malbaren geschaffen hat. Die grauen Bilder, die Baum-Serie oder die Fortschreibung des Abstrakten Expressionismus, mit der Oehlen schließlich zum Kunstweltstar wurde, atmen den Geist dieses Moments, nichts mehr aussagen zu wollen.
Die von Kunsthallen-Direktor Alexander Klar kuratierte Ausstellung zeigt mit 20 großformatigen Beispielen auch, wie Oehlen sich in einer zweiten Phase der Beschäftigung mit den Pixelvorlagen in den Nullerjahren von der kargen schwarz-weißen Ästhetik der ersten Reaktion verabschiedete. Das mit sieben Metern Breite größte Bild der Ausstellung, „Annihilator“, das Oehlen 2001 gemalt und 2006 noch einmal bearbeitet hat, ist stilistisch eine Kreuzung der bunten Farbwelten Willem de Koonings mit den Bildexperimenten Polkes auf der Grundlage der digital-analog-Vermischung nach Texas Instruments. Die opulente Collage aus Mustern, dynamischen Bewegungen, Stoffen und Grafik erzeugt plötzlich auch eine Tiefe und Assoziationsvielfalt, die Oehlens Computerexperiment wieder mehr mit dem restlichen Werk verbindet.
Hier endlich entsteht die Lust am Hinschauen, am Verweilen vor dem vielschichtigen Chaos, gegen das die ursprünglichen schwarz-weißen Pixelwüsten doch sehr wie die Lehrstunde eines Künstlers wirken, der unbedingt eine Wende formulieren möchte. Mit dem Ergebnis, dass zwar der Gedanke und das Verfahren sehr originell wirken, die gemalten Resultate aber spröde bis zur Unfreundlichkeit erscheinen. Auf der unmöglichen Künstlerreise zu einem Bild, das nichts mehr bedeutet, bekommt diese Geste der Erkenntnis dann paradoxerweise vor allem eine historische Bedeutung.
Albert Oehlen: Computerbilder. Hamburger Kunsthalle. Bis 2. März 2025.