Alben der Woche:"Immer die Slums und immer wird gesoffen und ein bisschen gekotzt"

In dieser Woche mit dem Comeback der "Black Keys", wonnigem Irish-Soul von Foy Vance, famoser neuer Musik des Rappers Khary. Und Thom Yorke, der ein Album samt Netflix-Film veröffentlicht hat.

Foy Vance - "From Muscle Shoals" (Gingerbread Man Records)

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(Foto: From Muscle Shoals)

Bislang unterschätztes Musik-Genre: Irish Soul! Folk, klar: whisky-verhärmte Akustikgitarren, traurig-glasige Augen und Texte übers Verlassenwerden (durch Frauen oder gleich einen sehr katholischen Gott), das im rauen irischen Klima bestimmt noch mal tiefer in die Knochen fährt als anderswo. Oder, um Marcel Reich-Ranickis Bonmot über irische Literatur zu paraphrasieren: "(...) immer die Slums und immer wird gesoffen und ein bisschen gekotzt zwischendurch." Das kennt man. Aber irischer Soul: Mehr was für Großspezialisten. Gut also, dass der doch auch immer noch viel zu unbekannte Foy Vance jetzt vom aufgekratzt-gottesfürchtigen Folk (auf Alben leider immer noch weniger erschütternden als live) auf Soul umschwenkt. "From Muscle Shoals" (Gingerbread Man Records) ist ein Album mit sehr überraschend wonnigen Bläsern, Keys, Bässen und Gitarren, die absolut glaubwürdig durch die Szenerie tänzeln und schwelgen. Und dabei irre gut mit dem rotstichigen Gesang des Iren kontrastieren. Anspieltipp: "Make It Rain". Kennt man eher in der Version von Ed Sheeran. Ist vom Originalkomponisten aber eben doch noch mal besser.

Khary - T.H.I.S.

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(Foto: N/A)

Das ewig kühl vernuschelte Bling-Bling-Geprotze des tonangebenden Trap-Rap hat seinen verstrahlten Reiz, keine Frage, allein die seltsame Hilfsbedürftigkeit, die der Ultrakapitalismus ausstrahlt, wenn er von begnadeten Angebern auf Beruhigungsmitteln gepredigt wird! Hier sei trotzdem der andere, der wärmere, wachere und introspektivere Hip-Hop der Gegenwart empfohlen, wie er zum Beispiel auf dem neuen Album "T.H.I.S." mit solchen Songs wie "Elmer's" oder "Peppermint" vom noch viel zu unbekannten Produzenten und Rapper Khary Durgans alias Khary zu hören ist.

The Black Keys - "Let's Rock" (Nonesuch)

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(Foto: N/A)

Den Black Keys bleibt - neben Jack White - das Verdienst, von Mitte der Nullerjahre bis Mitte der Zehnerjahre den Bluesrock würdevoll in die Gegenwart gerettet zu haben. Mit feinem Gespür für die minimalistisch-perkussiven Ursprünge des Genres in Nischen wie dem North Mississippi Hill Country Blues und großer Liebe zu verkannten Helden wie dem Juke-Joint-König Junior Kimbrough. Und brillante Popsongs wie "Howlin' For You", "Tighten Up", "Gold On the Ceiling" oder "Lonely Boy" gelangen Sänger und Gitarrist Dan Auerbach und Drummer Patrick Carney nebenbei auch noch. Dann brauchten sie eine Pause voneinander. Sie dauerte gut fünf Jahre. Das Video zur ersten neuen Single "Go" zeigt die beiden bei allerhand lustigen paartherapeutischen Übungen und man kann sagen, dass sie auf dem neuen Album "Let's Rock" in ziemlich guter Form sind. Ein weiterer ganz großer Wurf wie "Brothers" oder "El Camino" ist die Platte nicht, man kann ein einzelnes Genre ja auch nicht ewig wiederbeleben, aber als supersmarte Minimalisten verwalten die Black Keys ihr Neo-Bluesrock-Erbe sehr, sehr geschickt. Es gibt also rohe-treibende Riffrumpeleien auf Songs wie "Go" oder "Lo/Hi", aber auch hinreißend stilsichere Verbeugungen vor dem Softrock der Siebziger wie "Sit Around And Miss You", die bei allen anderen, die sich an so etwas heute versuchten, lächerlicher Kitsch wären.

Thom Yorke - ANIMA (XL Recordings)

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(Foto: XL Recordings)

Es war ein mutiges Versprechen, mit dem die Firma "Anima Technologies" vor knapp zwei Wochen in zahlreichen Großstädten für ihre Dienste zu werben begann: "Haben Sie Probleme, sich an Ihre Träume zu erinnern?", fragten die rund um die Welt verteilten Plakate, Handzettel und Projektionen, und boten mit einer per Hotline bestellbaren "Traum-Kamera" sogleich die Lösung an. Blöd nur, dass man dann am Telefon von einer automatischen Ansage erzählt bekam, dass "Anima" den Betrieb aufgrund behördlichen Drucks schon wieder eingestellt habe. Keine Traum-Kamera also. Dafür aber ein neuer Thom-Yorke-Song ("Not The News"), der nach der Ansage durch den Hörer drang. Nun mündet die kryptische Schnitzeljagd in ein neues, dunkel-dystopisches Solo-Album des Radiohead-Sängers und die obskure Promo-Aktion in einen höchst aktuellen Themenkomplex: Skepsis und Überforderung angesichts zunehmender Technik-Dominanz, Fake-News und leerer Versprechen. Und die Musik? Klingt ganz ähnlich wie die versplitterten elektronischen Frickeleien von Yorkes letzter Solo-Platte "Tomorrows Modern Boxes", nur sphärischer. Mal in Form warm und weit ausklingender Piano-Akkorde und Chöre wie in "Twist". Mal in Form tiefenentspannt dahinrollender Meditationen wie in "I Am a Very Rude Person". Und am Ende gibt's in "Runwayaway" sogar eine schnörkelig kreiselnde Wüsten-Blues-Gitarre. Famos!

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