Alben der Woche:Röcheln im Rap-Rhythmus

Slipknots Düsternis wirkt nicht mehr ganz taufrisch, Trippie Redd kommt mit seinen dunklen Gefühlen aber recht smooth daher - und half•alive pendeln zwischen Falsett und Dreckrock.

Von den SZ-Popkritikern

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half•alive - "Now, Not Yet" (Sony Music)

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Quelle: label

Die kalifornische Band half•alive (mit dekorativem Punkt, damit man den wenig kreativen Bandnamen besser googeln kann) täuscht auf ihrem Debüt nun ebenfalls mit Zerrgitarren und Feedback guten alten Dreckrock an, vermutlich als Prank aufmerksamkeitsdefizitärer Streaming-Skipper. Was dann folgt, ist aber lieblicher Tanzpop für modisch gekleidete Menschen. Manchmal flattert die französische Band Phoenix durchs Klangbild, dann wird eine Prise Soul eingestreut. Funky Disco mit Falsett. In den zahlreichen Videos (gefühlt zu fast jedem Song auf dem Album) tanzen Menschen in bunten Farben. Genau wie auf dem Albumcover. Den dort Tanzenden fehlt allerdings der Kopf, womit die Musik hinreichend beschrieben ist.

Juliane Liebert

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Trippie Redd - "!" (TenThousand Projects)

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Quelle: label

Der unvermeidliche Autotune-Effekt legt sich auch als cremiger Guss auf das zweite Album von Trippie Redd, der, aus Ohio stammend, in der Trap-City Atlanta musikalisch sozialisiert wurde. Mit XXXTentation verband ihn eine komplizierte Rapper-Freundschaft. Das neue Album, lakonisch "!" betitelt, ist melodiös, melancholisch, eingängig. "They Afraid of You" endet - wie sollte es in diesen Zeiten anders sein - mit einem Rockgitarrensolo. Auch dunklere Gefühle kommen sehr smooth rüber. Über einem souligen Gesangsloop und einem treibenden Beat rappt Trippie in "Immortal" von der Unsterblichkeit und dem frühen Tod.

Juliane Liebert

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Marika Hackman - "Any Human Friend" (Universal Music)

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Quelle: label

Cara Delevingne muss nichts mehr beweisen. Das Schönste an Luc Bessons "Valerian" war ihr mitleidig genervter Blick. In ihrer Jugend hat sie kurzzeitig mal mit Marika Hackman in einer Band gespielt. Kann man diese Combo bitte reaktivieren? Vielleicht gemeinsam mit Annie Clark? Man wüsste zu gerne, was die drei wohl zusammen so alles zustande brächten! Womit Marikas Künste als Solo-Artist nicht gering geschätzt sein sollen. Sympathisch antidramatisch, wie sie ihr jüngstes Release "Any Human Friend" mit stillem Folk beginnt. Die Gitarre bitcrushig verzerrt, dazu singt sie: "Yes, she was kinder then, in Berlin" - wo auch sonst? In Berlin ist die Freundlichkeit schließlich zu Hause.

Juliane Liebert

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Slipknot - We Are Not Your Kind (Warner)

Slipknot - 'We Are Not Your Kind'

Quelle: dpa

Auch im Jahr 2019 spielen Slipknot bestimmt wieder diesen sehr, sehr bösen, von sentimentalen Pop-Hooks und Hip-Hop-Andeutungen durchzogenen Nu-Metal-Sound? Aber sicher doch. Er klingt, als würde der Schlagzeuger mit amputiertem Bein im Kessel Säurebad rühren und als wäre die Kehle des Sängers auf Rostnägel gespießt. "We Are Not Your Kind" (Warner) heißt dieses sechste Album, und der Weltblick der Band aus Des Moines, Iowa, ist unverändert düster. Es geht um entheiligte Mädchenchöre, die Bekanntschaft mit Mutterfickern schließen ("Unsainted"), in "Orphan" wird zum Blastbeat Gehirn gegessen. Weiterhin beeindruckend ist, wie Sänger Corey Taylor im Rap-Rhythmus röcheln kann. Aber soll das noch Elternschreckmusik sein? Slipknot klingen in ihrer Wut eher antiquarisch - was nicht schlimm sein muss, sondern auch lustig sein kann: Etwa wenn in "Not Long For This World" wieder die Scratch-Sounds von Sid Wilson alias DJ Starscream reinquietschen. Der DJ von Slipknot zu sein und im Prinzip nichts anderes zu tun zu haben außer die Coolness von Turntablism zu verkörpern - ist das nicht vermutlich der überflüssigste und deswegen amüsanteste Job im Pop?

Jan Kedves

© SZ.de/jdi/qli
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