Alben der Woche:"Warum redest du, wenn du kein Cash hast?"

Das hirnverbrannte Herrenmenschengehabe von Ufo361 schmerzt - sehr. Ein Glück also, dass Hans Unstern Sextoys anpreist. Und dass Fiona Apple zurück ist.

LA Priest - "Gene" (Domino)

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(Foto: N/A)

Sam Eastgate alias Sam Dust hat als LA Priest hat sein neues Werk "Gene" (Domino) gewidmet, wobei es sich nicht um einen Menschen, sondern eine Drummachine handelt, die sich der Brite in jahrelanger Arbeit selbst zusammengelötet hat. Das Gerät, das auf dem Cover abgebildet ist, sieht schön aus, harmoniert sehr gut mit Eastgates reduzierten Gitarrentupfern ("Open My Eyes") - ist aber auf Dauer vielleicht doch nicht ganz so variantenreich, wie sein Schöpfer es sich wohl einst ausgemalt haben dürfte. Am wunderbarsten fiept es auf "Kissing Of The Weeds", begleitet von Eastgates Falsett, das hier klingt, als sei er der vergessene Bruder von Radiohead Thom Yorke.

Hans Unstern - "Diven" (Staatsakt/Bertus/Zebralution)

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(Foto: Staatsakt/Bertus/Zebralution)

Endlich ein neues Album von Hans Unstern, dieser gendervariablen Rumpelstilzchen-Rapunzel des deutschen Pop! Wenn's möglich wäre, würde Unstern ja auch auf den eigenen Kopf- und Barthaaren harfen, aber weil das zu leise wäre, wird auf "Diven" (Staatsakt) die neue, selbstgebaute elektro-akustische Harfe gezupft. Sie gehört zu den Diven des Albums und klingt mal wie eine Sitar, mal wie ein halbmelodisches Maschinengewehr, mal wie die sanfteste Haarfe der Welt. Wunderschön sieht sie auch aus. Unsterns Lyrik ist dafür nicht immer schön, man könnte sie ungelenk finden. Im Song "Selbstauslöserin" heißt es zum Beispiel: "Danke für die Lachfalten-Federboa, ich übe sie zu tragen. Aus der Tiefe steht sie mir zu ihren Zauber zu probieren aufzugehen so hell". Äh? "Nichtstestotrotz" scheint im Testosteronrausch aufgenommen worden zu sein und lässt die Lektüre von neuerer Queer-Philosophie heraushören, speziell von Paul B. Preciados "Testojunkie". Inhaltlich ist das spannend, musikalisch eher anstrengend - auch wenn Unsterns Stimme angenehm sanft ist. Aber einen sicheren, fluffigen Hit gibt es auf dem Album: "Bonbons aus Plastik". Unstern meint hier nicht allein Dildos, sondern ganz allgemein Sextoys "die uns Glück gebracht", "die ganze Nacht", "mal klein und mal groß, ganz famos-famos". Preisungen von Hilfsmittel-gestütztem Remote-Sex passen ja gerade gut in die Corona-Zeit, in der Singles und physisch Distanzierte sich ihre Liebkosungen gegenseitig per App und Bluetooth zwischen die Beine schicken - oder auf die anderen erogenen Zonen, die menschliche Körper so hergeben. "Haut auf Plastik, Herz auf Herz" jauchzt Unstern. Eine Hymne zur Zeit!

Hazel English - "Wake Up" (Polyvinyl Records)

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(Foto: N/A)

Die Australo-Amerikanerin Hazel English zeigt auf "Wake Up" (Polyvinyl Records) ihre gewohnte Melange aus Dream-Pop-Versatzstücken ("Born Like") und düster-tranigem Indie-Folk ("Milk and Honey"). Das klingt dann wie Lana Del Rey mit weniger Stimmvolumen - und leider auch ein ganz bisschen zu bekömmlich auf die Spotify-Chill-Playlist kalkuliert. Zum melancholischen Geschirr-Abspülen und dabei an vergangene Sommer ohne Beschränkungen denken funktioniert es aber trotzdem gut.

Ufo361 - "Rich Rich" (Stay High/Groove Attack)

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(Foto: Stay High/Groove Attack)

Dass die Welt sich gerade sehr mit echten Problemen herummüht und ein paar wirklich existenziellen Fragen, hat immerhin einen Vorteil: Man spürt endlich mal wieder - und zwar mit jeder Faser des Körpers -, wie heillos weit die Inhalte von Ufo361 auf "Rich Rich" (Stay High/Groove Attack) aus der Zeit gefallen sind. Die fantasielose Aneinanderreihung von Luxus-Marken, mit denen die Großelterngeneration des Berliner Rappers schon herumgegockelt ist. Diese säftelnd blöde Frauenverachtung ("Sie erfüllt meine Wünsche, als wäre sie Jeannie"). Die Menschenverachtung ("Wir könn' nicht reden, weil du nicht mein' Status hast"). Und dieses ganze hirnverbrannte Herrenmenschengehabe ("Warum redest du, wenn du kein Cash hast?"). Man kann diesen Unfug gerade nicht mehr hören. In ein paar Wochen vielleicht wieder - und dann wahrscheinlich mit dieser leicht betüdelten Ironie, mit der man auch Morgensendungsmoderatoren im Privatradio an sich abperlen lässt. Heute schmerzt es. Sehr. Zu sehr.

Smino: "She Already Decided"

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(Foto: Smino)

Wenn einem gerade mal wieder die Decke auf den Kopf fällt, kann es ja einen ungemein beruhigenden Effekt haben, sich sehr, sehr, sehr zurückgelehnte Musik anzuhören. Musik zum Beispiel, wie die auf dem neuen Mixtape "She Already Decided" des amerikanischen Rappers Smino aus dem Umfeld von Noname und Chance The Rapper. Schön schlaftrunken dahinruckelnde Beats und dazu ein Smino, der klingt, als versuche er nicht mal, seine Zähne und seine Augen auseinander zu bekommen.

Fiona Apple - "Fetch The Bolt Cutters" (Epic)

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(Foto: Epic)

Zum Ende ein sehr erfreuliches Comeback nachgereicht: Fiona Apples neue Platte, nach acht Jahren Pause. Apple hat das Prinzip Zuhausebleiben bereits lange vor den Lockdown-Maßnahmen gelebt: Seit 2012, als ihr Pitbull Janet starb, soll sie nur noch selten ihr Haus in Venice Beach, Los Angeles verlassen. Das nun dort entstandene Album heißt "Fetch The Bolt Cutters" (Epic) - auf Deutsch heißt das so viel wie "Hol den Bolzenschneider!" - und ist das Gegenteil dessen, was der martialische Titel vermuten lässt: eine radikal sensibler Einblick in Fiona Apple als Mensch, der die Suche nach einer passenden Rolle in der postmodernen Gesellschaft längst aufgegeben hat. Gewohnt überraschend erfindet Apple dazu abseitige Bilder, etwa in "Rack Of His", wo sie zunächst aufgereihte Gitarrenhälse ausführlich mit Raketen und Ponys vergleicht, nur um im Refrain dann ein überschwängliches Liebesbekenntnis folgen zu lassen: "And meanwhile I'm loving you so much / It's the only reason I gave my time to you". "Fetch The Bolt Cutters" steckt voller Poesie und improvisierter Perfektion, bereit für jeden, der Apple nicht nur als irgendwie anstrengend verwirrte Frau mit Problemen begreifen kann, einer Rolle, die ihr viel zu oft und unnötigerweise zugeschrieben wurde. Nennen wir sie doch einfach so, wie man männliche Künstler dieser Art auch bezeichnet: ein Genie.

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