Alben der Woche:Die größte Macht von allen

Taylor Swift hat ein neues Album. Es geht hauptsächlich um Liebe. Die bessere Musik bekommt man aber bei Robert Randolph - oder notfalls "Brockhampton".

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Robert Randolph & The Family Band - "Brighter Days" (Rough Trade)

Robert Randolph & The Family Band - "Brighter Days" (Rough Trade)

Quelle: Rough Trade

Vermutlich gehört das Instrument geschwind erklärt, sehr gebräuchlich ist es ja gerade nicht und man muss es kennen, um zu verstehen, warum Robert Randolph es so infernalisch gut bedient: Pedal-Steel-Gitarre also. Ein in den 1930ern entwickeltes, mittel-unförmiges Gerät. Hat in der Art, wie es gespielt wird, Elemente einer normalen E-Gitarre (und mehr noch von einer hawaiianischen Lap-Steel), steht aber auf vier Beinen und reckt die Saiten gen Himmel. Die rechte Hand zupft, während die linke die Tonhöhe mit einem Slide-Bar (übersetzen wir es mal mit Metalltrumm) verändert. Man kennt den Klang hauptsächlich aus dem Country: Wenn Fans des Genres den Stetson etwas tiefer ins Gesicht schieben, weil ihnen angesichts der ganzen Prairie-Weite- und Asphalt-Rauheiten-Texte eine kleine Träne ins Auge steigt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass eine Pedal-Steel-Gitarre gerade ihr unerträglich schönes, quecksilbriges Strahlen den Highway runter in die Herzen geschickt hat. Robert Randolph verzerrt den Sound nun allerdings und macht ihn damit zu einem bissigen kleinen Miststück, das giftet und zickt und keift und kläfft und kreischt und aber natürlich auch schmeichelt und flirtet. Vor allem aber groovt der Funk & Soul, den der Amerikaner mit seiner Family Band abfackelt, mit einer unbedingten Coolness, die von sehr urbanen Straßen kündet - endlich wieder, auf ein paar der Alben vor "Brighter Days" (Rough Trade) hatte Randolph sich da etwas verloren. Man kann das alles, wenn man denn unbedingt will, wohl als Umdeutung, als freundliche Übernahme eines kulturell sehr weiß gefärbten Instruments sehen. Oder man freut sich einfach über das wenigstens musikalisch womöglich beste Album dieser Woche.

Jakob Biazza

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Mädness - "OG" (Mädness/Groove Attack)

Mädness - OG

Quelle: Mädness

Hauptsache weg von alten Hip-Hop-Klischees will Mädness. Der in Darmstadt aufgewachsenen Rapper hat sein neues Album zwar nach einem benannt - "OG" (Mädness/Groove Attack), kurz für Original Gangster - meint das aber ironisch. Viel mehr also als um Streetlife und Männlichkeitsquatsch geht es ihm um Dinge wie Work-Life-Balance, aussortierte Freundschaften oder die Heimat als schaurige Jugenderinnerung ("Kein Ort" feat. Marteria). Und weil die Texte so herrlich weit wegführen von den gelegten Fährten, lässt es sich ganz gut über die musikalisch wenig überraschenden Produktionen hinwegsehen.

Annett Scheffel

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Brockhampton - "Ginger" (RCA/Sony)

Brockhampton - "Ginger"

Quelle: RCA Records

Hingewiesen sei auch auf "Ginger" (RCA/Sony), das neue Album von Brockhampton. Das texanische Rap-Kollektiv, das insgesamt 13 Mitglieder zählt (inklusive Webdesigner und Fotograf), erschafft mit chaotischer Energie und DIY-Ethos ungewöhnlich introspektive Songhybriden, die Popmelodien mit Hip-Hop-Produktionen verschmelzen. Mit ihrem letzten Album stiegen sie nach einem 12-Millionen-Dollar-Rekorddeal 2018 jedenfalls bis an die Spitze der US-Charts. Auch "Ginger" ist wieder ein furioses, wenn auch etwas luftiges Patchwork aus dutzenden Stilen, aus launischen Jazz-Grooves und billigen Synthesizern, aus Upbeat und taumelnden Posaunen.

Annett Scheffel

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Taylor Swift - "Lover" (Universal Music)

Taylor Swift - "Lover"

Quelle: TS/Republic

Man muss sich die (politische) Macht immer wieder ins Gedächtnis rufen, sonst versteht man das Phänomen Taylor Swift nicht. Nicht ganzheitlich zumindest. 120 Millionen Menschen folgen der Sängerin auf Instagram. Knapp 85 Millionen sind es auf Twitter - 20 Millionen mehr als bei Donald Trump. Wenn die 29-Jährige etwas sagt, hat das Gewicht, was natürlich ein Euphemismus ist. Gewicht haben Leitartikel. Swifts Follower-Zahlen grenzen an demokratische Legitimation. Und die Sache mit solchen Irrwitz-Superlativen ist ja nun die: Man sammelt nicht das Äquivalent eines ziemlich großen Landes hinter sich, wenn man sich zu früh zu eindeutig äußert. Die Sängerin hat das besser verstanden als quasi jeder sonst. Deshalb blieb sie ungreifbar. Erst ein bisschen Country-Sweetheart mit Nashville-Wurzeln. Dann ein bisschen mehr Pop-Queen. Zuletzt etwas dunkler. Trump-Anhänger konnten das mögen, die Alt-Right-Bewegung versuchte, sie als eine der ihren auszugeben. Für Obama-Fans funktionierte der Star aber eben auch noch. Die Sache mit solchen Irrwitz-Superlativen ist aber nun auch die: Wer auf ewig ungreifbar bleibt, der entgleitet. Die große Frage zum neuen Album "Lover" (Universal Music) war also: Ist da eine Position? Bekommt man Swift also zu fassen?

Die kurze Antwort darauf lautet: Nein. Dafür ist "Lover" - anders als die Singles vermuten ließen - zu kalkuliert. Es versucht zu sehr, musikalisch wie textlich alle Seiten der Sängerin zu zeigen und zu bedienen: Country, Karamell-Pop, Herzschmerz-Balladen, Empowerment. Außerdem ist es genau darin mit 18 Songs viel zu lang (was im Streaming-Zeitalter, in dem sich die wenigsten noch um Alben scheren, natürlich auch kalkuliert ist) und streckenweise erschreckend banal. Die etwas längere Antwort lautet, dass eine Position doch strahlt: die für die Liebe. Und damit gegen vieles, was sie vergiftet - geifernde Internet-Trolle etwa, Schwulenfeindlichkeit, bigotte und sexistische Doppelstandards und die Ablehnung alles Fremden. In Zeiten des Hasses könnte man das wohl auch dann fast als politische Positionierung durchgehen lassen, wenn die vorangegangene Aufzählung nicht eine ziemlich exakte Zusammenfassung des Charakters des US-Präsidenten wäre.

Jakob Biazza

© sz.de/biaz
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