Alben der Woche:Wie der Soundtrack zu einem Porno an einem Strand von Miami

"The Strokes" sind zurück - allerdings nicht beim Garage-Rock. Joe Satriani ist zurück - mit wie immer etwas bemühten Songtiteln. Und Brant Bjork? War ja nie weg.

Pokey LaFarge - "Rock Bottom Rhapsody" (Pias/New West Records)

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(Foto: oj)

Immer wieder lustig, wenn Musiker sich beharrlich der Gegenwart verweigern und so tun, als lebten sie in einer anderen Ära. Der Kalifornier Andrew Heissler hat sich irgendwann für die späten 40er-Jahre entschieden: Er nennt sich Pokey LaFarge, trägt breitschultrige Anzüge und dazu jede Menge Vaseline in den Haaren, spielt eine schön altmodische Mischung aus Swing, Blues, Ragtime und Country. Ein Alleinunterhalter, der gut zu Hinterzimmerpartys im alten Chicago passen würde. Auf seinem neuen Album "Rock Bottom Rhapsody" macht er das wieder glänzend, ständig fragt man sich, ob da nicht doch eine Compilation mit Originalen läuft. Wenn dann allerdings mittendrin ein Song mit dem Titel "Fuck Me Up" auftaucht, hat einen die Gegenwart schnell wieder.

Joe Satriani "Shapeshifting" (Legacy/Sony Music)

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(Foto: oj)

Rockfans lieben Gitarrensolos. Der Sänger macht Pause, der Gitarrist darf ins Rampenlicht und dudelt sehr schnell sehr viele Sechzehntel in die Arena. Jubel. Ein paar Gitarristen kamen irgendwann auf eine Idee: Lassen wir einfach alles weg, was von unseren geilen Solos ablenkt, vor allem diese lästigen Sänger. Verblüffenderweise füllen die Formel-1-Piloten ihres Fachs, Steve Vai und Joe Satriani, damit bis heute problemlos Konzerthallen. Joe Satriani veröffentlicht jetzt das Album "Shapeshifting". Wie immer vielfältig zwischen Breitbeinrock und Jazz-Virtuosität, wie immer etwas bemühte Songtitel ("Ali Farka, Dick Dale, An Alien And Me", "Spirits, Ghosts And Outlaws"), wie immer technisch atemberaubendes Niveau. Klar, man ist leicht versucht, über das Genre den Kopf zu schütteln - aber ab und zu staunt man doch einfach ganz gern, wenn einer etwas unglaublich gut kann. Gilt ja auch für Trapezartisten, Gedächtniskünstler und Steilwandfahrer auf dem Oktoberfest.

Laurel Halo - Possessed (Vinylfactory)

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(Foto: Vinylfactory)

Laurel Halo, bekannt für Klanggerüste, die neuerdings unter dem Begriff "deconstructed club music" oder - latent abfällig - als "Conceptronica" verhandelt werden, ist bereits mit ihrem ersten Album der Zeit voraus gewesen: Es hieß "Quarantine", lässt sich dieser Tage also wunderbar hervorkramen, um sich über geschlossene Clubtüren hinwegzutrösten und trotzdem keine Probleme vom Nachbarn zu bekommen - denn Halos sphärische Musik verzichtet fast gänzlich auf dicke Kickdrums und Bassdrops. Neues in dieser Richtung gibt es jetzt mit "Possessed", einem Album gewordenen Soundtrack, den Halo 2018 zu einem gleichnamigen niederländischen Kunst-Essay-Film beisteuerte. Das klingt zwar stellenweise durch melodramatische Streicher-Partien wie ein etwas pflichtschuldiges Klischee von Artedoku-Musik ("Rome Theme I"), in seinen vielen sehr guten Momenten aber gelingt die Verbindung der akustischen, melidiöseren Elemente mit Halos synthetischem Ambient-Schichten-Ensemble (etwa bei "Hyphae"). Ach ja, im zugehörigen Film geht es übrigens um: Isolation.

Once And Future Band - "Deleted Scenes" (Castle Face)

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(Foto: oj)

Aber man kann sich ja gleich noch mal entführen lassen: Die Once And Future Band aus Oakland spielt hemmungslos die Art von Musik, mit der Bands wie Genesis und Electric Light Orchestra in den 70ern berühmt wurden. Ausschweifende, oft progrockige Kompositionen mit deutlich mehr als drei Akkorden, dramatischen Breaks und großen Chören. Drei Jahre nach dem Debüt erscheint jetzt endlich ein neues Album, es heißt "Deleted Scenes" und steckt wieder voller Retro-Überraschungen, die einem beim Hören sofort eine Schlaghose ans Bein wachsen lassen. Höhepunkt: der Song "Freaks". Ein Schunkel-Beat, zu dem man o-beinig durchs Zimmer stapfen möchte, geschmeidige Melodiebögen, mehrstimmig gesetzt. Als hätte Harry Nilsson sein "Gotta Get Up" beigesteuert, Ringo Starr sein "Octopus's Garden", und zusammen feiern sie im Studio eine Eierlikör-Party. Herrlich!

Flat Worms "Antarctica" (God?/Indigo)

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(Foto: oj)

Wenn Steve Albini und Ty Segall das Album einer Band produzieren, muss man das als Empfehlung verstehen. Tatsächlich werden die Flat Worms aus Los Angeles für "Antarctica" gefeiert. Englische Popmagazine fanden, das sei genau die Art von Punkrock, die jetzt mal wieder sein muss, so dringlich wie zu Nirvana-Zeiten, so herb wie die Welt des 21. Jahrhunderts. Der Sänger Will Ivy wettert gegen Kapitalismus und Gentrifizierung (was einem im Moment fast schon wieder aus der Zeit gefallen vorkommt). Das macht schon gut Druck, leider kann das Ganze in seiner Tonlosigkeit auf Dauer etwas fad werden. Aber mal abwarten, bis es irgendwann wieder Konzerte gibt: Live könnten die Flat Worms durchaus ziemliche Granaten sein.

Brant Bjork - "Brant Bjork" (Heavy Psych Sounds)

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(Foto: oj)

Stoner Rock - blöder Begriff, spannendes Genre. Einer der ganz Großen ist da Brant Bjork, einst Schlagzeuger von Kyuss und Fu Manchu, dann zusammen mit Josh Homme Schirmherr der "Desert Sessions". Mit dem Erfolg von Hommes Queens Of The Stone Age konnte Bjork nie mithalten, aber als elder statesman des, nun ja, Stoner Rock wird er bis heute verehrt. Sein Problem im Vergleich zu den Kollegen ist nur, dass er den Hund nie ganz von der Leine lässt. Das gilt für sein neues Album, es heißt einfach nur "Brant Bjork", auch wieder: Lauter gute Riffs, harte Drums, aber dazu dann meistens nur halb gemurmelter Gesang, nie der ganz große Ausbruch. Man möchte ihm ständig zurufen, super soweit, jetzt leg mal los. Legt er aber nie. Dürfte man dieser Tage ziellos im offenen Auto rumcruisen, würde das ganz gut als Soundtrack passen, aber es bleibt immer der Eindruck, da steckt viel ungenutzte Power unter der Motorhaube.

The Strokes - "The New Abnormal" (Cult/RCA/Sony)

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(Foto: dpa)

Nein, die Strokes kehren auch auf "The New Abnormal" nicht zum Garage Rock zurück - falls irgendwer das gehofft haben sollte. Aber die Nicht-Singles des neuen Albums sind erstaunlicherweise besser als die Singles. Die Single "Bad Decisions" basiert zum Beispiel auf Billy Idols "Dancing With Myself". Sie scheint mit einer choruseffektschwangeren Gitarre im Zentrum und Arpeggien direkt aus den Achtzigern hinüberzududeln. Wer braucht das? Die Nicht-Single "Eternal Summer" dagegen klingt wie der Soundtrack zu einem Porno an einem Strand von Miami. Immerhin erfrischend! An mehreren Stellen des Albums erklärt der Sänger Julian Casablancas, er brauche neue Freunde. Beten wir, dass er welche findet. Allein sein ist doof.

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(Foto: Sony Music (sw) Jason McDonald)

Julian Casablancas, hier vermutlich mit den Strokes zu sehen, sucht neue Freunde. Bewerbungen am besten direkt an @Casablancas_J. Alle Folgen der Alben der Woche gibt es hier.

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