Alben der Woche:Alles, was man am deutschen Pop hassen kann

"Madsen" und ein paar gute Künstler verwandeln "Selig"-Songs in einen stumpfen Max-Giesinger-Soundalike-Contest. Und Fritz Kalkbrenner singt und das rettet die Woche nun auch nicht.

Boomtown Rats - "Citizens of Boomtown" (Warner Music)

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(Foto: dpa)

Hat die Welt auf das erste Studio-Album von Bob "Live Aid" Geldofs Band The Boomtown Rats seit 36 Jahren gewartet? Nein. Warum auch? Die Boomtown Rats waren von Mitte der Siebziger bis Mitte der Achtziger kaum mehr als eine ganz amüsante, unbedeutende britische New-Wave-Glamrock-Band mit einem Hit ("Rat Trap") und einem Welthit ("I Don't Like Mondays"). Auf "Citizens Of Boomtown" verraten sie nun in den besten Momenten ("Trash Glam, Baby") immerhin ihr Erbe nicht. In den dunkleren ("Rock N'Roll Yé"; "Get A Grip") klingen sie wie eine Kneipenrock-Combo, die auf ihrem Synthesizer die "Techno Beat"-Voreinstellungen entdeckt hat. Grauenvoll.

Ultraísta - "Sister" (Rough Trade)

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(Foto: Pias/Partisan Records (Rough Trade))

Eigentlich hatten Ultraísta 2012 die besten Voraussetzungen, richtig groß zu werden: Ein richtig gutes, experimentelles Pop-Album, geschaffen von einer Supergroup aus Sängerin Laura Bettinson, Radiohead-Universalgenie Nigel Goodrich und Joey Waronker, der auch für Beck, R.E.M und Atoms for Peace (noch eine Supergroup) am Schlagzeug sitzt. Beim Soundcheck zum ersten Konzert der großen US-Tour bekam letzterer einen Anruf: Sein Kind war geboren, zwei Monate zu früh. Er flog heim, seine Bandkollegen mussten die Tour notdürftig improvisieren. Beim zweiten Anlauf geriet ihnen Hurricane Sandy in die Quere. Und wie das bei vielbeschäftigen Musikern oft so ist, trat Ultraísta zwischen zahlreichen Nebenprojekten in den Jahren darauf ungewollt aber stetig in den Hintergrund. Umso besser, dass die Band nun wieder da ist: "Sister" ist ein vor Ideen überlaufendes Album geworden, mal fast schon clubbiger Afrobeat ("Tin King"), mal polyrhythmisch-vernerdet ("Bumblebees"), durch Bettinsons Stimme aber immer noch nah genug am Pop - und von Goodrich mit maximaler Analog-Wärme ins Stereofeld produziert.

Fritz Kalkbrenner - "True Colours" (BMG)

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(Foto: N/A)

Wer es eher sinnlich mag und darunter handgeletterte "Carpe Diem"-Wandtattoos versteht, sollte sich lieber zu Fritz Kalkbrenners neuem Album "True Colours" (BMG) desinfizieren: "Kings and queens of broken homes / built a shelter on sticks and stones / crawling deep down and around / where we found love after all", singt Kalkbrenner darauf mit seiner eigentlich recht interessanten, immer leicht angebrochenen Soul-Stimme. Leider ist das aber sowohl textlich als auch klangästhetisch wohl genau das, was man heutzutage unter Business-Techno versteht: Hintergrundmusik fürs Cupcake-Café. Die gesangsfreien Nummern enthalten zwar hier und da auch etwas Melancholie ("White Plains"), besitzen aber auf mindestens zwei Spuren dann doch diesen latenten Städtetourismus-Imagevideo-Touch, der vor dem inneren Auge irre lächelnde Pärchen und Drohnenfahrten über die Altstadt von Deggendorf auftauchen lässt.

Cocorosie - "Put The Shine On" (Rough Trade)

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(Foto: N/A)

Einen Hauch melancholischere Melancholie liefern hingegen Cocorosie seit mittlerweile auch schon 16 Jahren. Auf ihrem siebten Studioalbum "Put The Shine On" (Rough Trade) klingt das wie gewohnt, also ziemlich gut. Siarra und Bianca Casady haben tatsächlich einen Weg gefunden, auf jedem Album, jedem Song wiedererkennbar, aber eben doch immer neu zu klingen. Ein eigenes Genre, dass sich aber nur sehr schwierig abschließend charakterisieren lässt: Da rumpeln mal die minimalistisch Alleinunterhalter-Rhythmusmaschinen ("Where Did All The Soldiers Go"), dann gibt's ein breites Amy-Winehouse-Gedächtnispiano ("Restless") oder auch mal ein unerwartet böses E-Gitarren-Riff ("Smash My Head") - gleich bleiben eigentlich nur die beiden Gesangsstimmen. Wobei man die sehr kindliche, man könnte auch sagen: nöhlige Stimme von Bianca Casady schon sehr mögen muss, besonders wenn sie in "Mercy" versucht, zu rappen wie Nicky Minaj,was dann doch nicht unbedingt nötig gewesen wäre.

"Selig macht Selig" (Ferryhouse Productions/ Rough Trade)

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(Foto: ferryhouse productions)

Madsen fangen an. Mit einem breitbeinigen Scheißdreck von einem Song ("Wenn Ich Wollte" in einer durchgeachtelten Bierkasten-Rock-Version). Benjamin von Stuckrad-Barre hört auf. Er liest ein bisschen aus dem Text von "Die Alte Zeit Zurück" vor. Er liest sehr angenehm. Aber was bringt das noch, wenn auf dem Tribute-Album "Selig macht Selig" (Ferryhouse Productions/ Rough Trade) ansonsten Leute wie Philipp Poisel, Johannes Oerding, Wilhemine, Niedeckens BAP oder Pictures die eigentlich fanatisch undeutschen Songs von Selig in einen stumpfen Max-Giesinger-Soundalike-Contest verwandeln? Irgendwann hört man Jan Plewka, den Sänger von Selig, über das Geplapper von Olli Schulz lachen. Es ist der seelenvollste Moment auf der ganzen Platte.

Im Original mal sehr relevant. Gecovert ein großer Graus: die Band Selig um Frontmann Jan Plewka (zweiter von rechts). Alle Folgen der Alben der Woche gibt es hier.

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