Alben der Woche:"Lasst es Benzos regnen"

Haiyti

Macht jetzt auch als Label-Betreiberin den deutschen Pop etwas besser: Rapperin Haiyti.

(Foto: William Minke)

Neue Musik von Paul McCartney, Haiyti, "Greta van Fleet" und "Motorpsycho" - sowie die Antwort auf die Frage, wer die beste Trockeneis-Gehirnwäsche anbietet. Spoiler: "Scooter". Wer sonst?

Von Jens-Christian Rabe

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Motorpsycho - "Kingdom Of Oblivion" (Stickman Records/Rune Grammofon)

Anders als gerade überall gerne behauptet wird, ist Indie-Rock nicht tot. Er versteckt sich nur schon eine ganze Weile in Norwegen. Und alle, die jetzt (und, okay, nicht völlig zu Unrecht) behaupten, dass das ja ungefähr dasselbe ist, waren noch nicht auf einem Konzert von Motorpsycho. Dazu hätte es vor der Pandemie viele Gelegenheiten gegeben, die 1989 in Trondheim gegründete Prog-Stoner-Rock-Band tourte unermüdlich durch die Welt, im Moment aber natürlich nicht. Dafür gibt es mit "Kingdom Of Oblivion" (Stickman Records/Rune Grammofon) jetzt immerhin das 24. Motorpsycho-Studioalbum, und das ist vorerst ein sehr guter Ersatz.

Man versenke sich also zum Beispiel in die zäh-gellende Wucht von "The United Debased" oder in "The Waning Pt. 1&2", das zur einen Hälfte ein schwer treibendes, stoisches Riffmonster ist und zur anderen eine elegische, psychedelisch verhallte Falsett-Chor-Meditation. Wobei das Motorpsycho-Geheimnis natürlich ist, dass dabei weder blasierte Prog-Soße noch präpotenter Hardrock und schon gar nicht nervöser Angeber-Metal herauskommt, sondern eben Motorpsycho-Musik. Led Zeppelin für Erwachsene, die auch minimalistisch mäandernden Krautrock und in Zeitlupe donnernden Drone lieben und an der hypnotischen Wucht eines ein paar Oktaven tiefergelegten, schwer schleppenden E-Gitarrenriffs mehr interessiert sind als an jeder sägenden Solo-Protzerei. Unerklärlich eigentlich, dass Motorpsycho unter den wenigen wirklich bedeutenden Rockbands der vergangenen 30 Jahre noch immer die unbekannteste ist. Jens-Christian Rabe

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Nick Hakim - "Small Things" (NYXO Records)

Vor nicht einmal einem Jahr veröffentlichte der New Yorker Produzent und Sänger Nick Hakim sein verspult-psychedelisches, von minimalistischem Schlagzeug zart angerempeltes Bedroom-R'n'B-Album "Will This Make Me Good". Jetzt gibt es schon ein neues, gemeinsam mit dem Jazz-Saxophonisten Roy Nathanson: "Small Things" (NYXO Records). Und das passt natürlich sehr gut. Man höre nur "Moonman". Träge Beats und leicht verschlafener Gesang zu betont unaufdringlichem, verweht-elegischem Saxophongedudel - der Soundtrack zu den lebensrettenden Sofa-Tagträumen, die man hat, wenn man das Gefühl nicht los wird, in einem schlechten Film zu leben, von dem einem niemand sagen kann, wie lange er noch dauert. Dann derweil in Gedanken eben noch mal auf den Mond. Jens-Christian Rabe

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Haiyti - "Mieses Leben" (Hayati Musik)

Auf der Diagonale zwischen Hamburg-Langenhorn und L.A., zwischen Underground und Major Deal, macht Haiyti, die deutsche Trap-Rapperin, die die Popkritiker lieben (und zwar sehr zu recht), nochmal einen Schritt zurück. Nimmt neu Anlauf auf den ganz großen Durchbruch. Nachdem es im vergangenen Jahr gleich zwei Alben von ihr gab, kommt jetzt gleich noch eins. Was ja gut ist. Keines von ihr kann schließlich zu viel sein. Für "Mieses Leben" (Hayati Musik) holt sie ihr altes Alias Robbery zurück : "Ja, und ich greif in die Kasse / Ja, und hinterlasse nur Asche" (aus "Robbery is Back"). Und auch ansonsten geht Haiyti, die inzwischen natürlich in Berlin-Wedding lebt, wieder dorthin, wo ihre Geschichte anfängt: Zum Päckchen-Packen für die Dealer im Block, sich ranhalten, damit man am Freitagabend im Maybach an seinen Neidern vorbeiziehen kann, zum Stroboskop-Sound für Partys, die zur Zeit keiner feiern darf, zurück nach Hamburg: "Große Freiheit, Reeperbahn, sex, love, and crime".

Das klingt vielleicht wie ein Zitat des Street-Szenarios, das zum Genre gehört, im deutschen Rap aber doch oft ein bisschen gestellt aussieht. Nur ist es hier verdammt trocken genau so gemeint: "Alle wollen große Kunst machen", hat Haiyti vor ein paar Monaten in einem Interview gesagt, "kennen aber nicht den Preis." Um den geht es auf diesem Album, auf dem Haiyti elegische Runden zieht um die Zeile: "Lasst es Benzos regnen, Minotauren fliegen, wieviel kostet mein Leben?" Die Porsches, die Rollkragen von Prada, der Wodka Cassis, die Pillen und die Stimme, die nachschleppend an allen Nerven zerrt, weil die vor Hunger nach dem alten Nachtleben sowieso schon blank liegen: all das kostet vor allem Haiytis "pechschwarze Seele". Die liegt offen und blutig da in diesen Songs und ist das schönste, was es im Deutschrap zur Zeit gibt. Marie Schmidt

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Paul McCartney - "McCartney III Imagined" (Universal Music)

Paul McCartney hat die Songs seines im vergangenen Jahr erschienenen und viel gelobten dritten Soloalbums "McCartney III" von viel gelobten Indie-Pop-Helden der Gegenwart interpretieren lassen: von Damon Albarn etwa und Beck, Blood Orange, Phoebe Bridgers, Josh Homme, Khruangbin, Anderson Paak und St. Vincent."McCartney III Imagined" (Universal) heißt die Platte, und sie ist geworden, was Projekte dieser Art eigentlich nie sind: fabelhaft! Weil alle zwar behutsam und sehr sorgfältig, aber offenbar nicht zu ehrfürchtig zu Werke gingen. Verblüffender Effekt: Man hat den Eindruck, dass es den McCartney-Songs guttut, wenn sie durch die Bearbeitungen etwas von ihrem McCartney-haften verlieren, obwohl die ikonische Stimme des Meisters meist noch gut zu hören ist. Besonders die Versionen von St. Vincent ("Women and Wives"), Beck ("Find My Way"), Blood Orange ("Deep Down"), Khruangbin ("Pretty Boys") und Josh Homme ("Lavatory Lil") sind je für sich kleine Remix-Meisterstücke. Das Material scheint fast zu schweben plötzlich. Wann hat es so etwas zuletzt gegeben? Jens-Christian Rabe

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Greta Van Fleet - "The Battle At Garden's Gate" (Universal Music)

Joshua "Josh" Kiszka, der Sänger von Greta Van Fleet, klingt, als hätte Robert Plant eben Janis Joplin verschluckt, die im Todeskampf nun noch ein paar Mal von kurz hinterm Mageneingang nach Bobby McGee kreischt. Und er wirkt dabei im ganzen Habitus wie Freddie Mercury, der mit Kirk Hammett von Metallica die Frisur getauscht hat. Ein doch ziemlich sehr cooler Hund also. Nur zeitgemäß ist wohl anders. Womit schon fast alles gesagt wäre, was es zu diesem auf den ersten Blick sehr erstaunlichen Phänomen namens Greta van Fleet zu sagen gibt. Die Band wirkt ja tatsächlich wie eine Motto-Party "Glamrock" gone terribly wrong und klingt, beim ersten, zweiten und auch dritten Hören, wie die mit sehr weitem Abstand allerbeste Led-Zeppelin-Tribute-Band der Welt. Einerseits.

Andererseits wird sie von jungen Menschen gehört. Natürlich. Was, zum Teufel, sollte es heutige Generationen auch scheren, wenn ihnen ihre Großväter vormaulen, dass irgendwas vor 50 Jahren schon da war? Genau! Es gibt schließlich heute wie damals womöglich nur ziemlich genau zwei Dinge, die wirklich guten Rock ausmachen: Peinlichkeiten nicht peinlich wirken zu lassen. Und sich einen Dreck drum scheren, wenn sie doch peinlich wirken. Und wenn das stimmt, sind Greta van Fleet womöglich eine der besten Rock-Bands dieser an peinlichen Rockbands wirklich über und übervollen Welt. Jakob Biazza

Scooter - "God Save The Rave" (Sheffield Tunes)

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Und was kann jetzt noch kommen? Scooter natürlich. Die Band ist der Beweis, dass man im Pop noch den größten Unfug zur Performancekunst erheben kann, wenn man ihn nur lange genug durchhält - und immer der Versuchung widersteht, das Rezept verfeinern zu wollen. Das ist nicht einfach nur keine geringe Leistung, es ist ein Coup. Ein sehr unsubtiler Witz über einen sehr unsubtilen Witz. Sie nennen es Happy Hardcore, aber Band-Kopf und Feiermeister Hans Peter Geerdes alias H. P. Baxxter ist auch einverstanden, wenn man es Kirmestechno nennt. Der Mann weiß ja, was er tut. Er tut es seit 1986. Und Scooter waren über die Jahre mit 23 Songs in den deutschen Single-Top-Ten vertreten, so oft wie niemand sonst. Es donnert also auch auf dem neuen, zwanzigsten Scooter-Album "God Save The Rave" (Sheffield Tunes) eine mächtig stumpfe Bassdrum immer schön zügig geradeaus auf jeden Schlag im Viervierteltakt: Dmmm, dmmm, dmmm, dmmm. Dazu sehr simple Melodien, serviert mit brachialen Synthie-Akkorden, die klingen, als kämen sie aus dem Hochdruck-Dampfstrahler, und obendrüber H. P. Baxxters gebrüllte Gaga-Dada-Ansagen: "Which Light Switch Is Which", "We Don't Give A Penny / Fuck 2020". Happy Hardcore. Als Musik gewordene Trockeneis-Gehirnwäsche vielleicht nie mehr so nötig und nützlich wie gerade eben jetzt im ewigen Lockdown. Jens-Christian Rabe

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