Neue Musik:Das sind die Alben der Woche

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Genug Regen. Genug Schmerz. Darf ich leben? Fragt: Sänger Ryan Adams. (Foto: Eric Ryan Anderson)

Ryan Adams schweigt weiter zu den Missbrauchsvorwürfen. Um "Maroon 5" ist es noch immer schade. "Sleater-Kinney" verteilen Handkantenschläge und Noel Gallagher Klagen.

(Foto: dpa)

Ach, es ist schade um Maroon 5. Die Band aus Los Angeles hat mal guten, frischen Pop gemacht, der im Autoradio für nette Überraschungsmomente sorgen konnte. Adam Levine ist ein fantastischer Sänger, die Musiker können was. Da waren immer auch Details zu finden, die Spaß machten - hier ein virtuoser Gitarrenschlenker, da ein liebevoller Beach-Boys-Akkord. Aber nach den ersten Erfolgen, man kann es ihnen nicht verdenken, haben die fünf gemerkt, dass sie ja noch viel mehr Geld verdienen könnten, wenn sie ihre Musik einfach so lang glattbügeln, bis sie keine Überraschung im Autoradio mehr ist, sondern einfach klingt wie: Autoradio. Jetzt erscheint das siebte Album "Jordi" (Universal). Songs wie blank gewischte Plastikmöbel, Musik aus dem Computer, alle Stimmen per Autotune totgeglättet. Ja, das ist schon oft auch melodiös, geschmeidig. Aber wie schade es um Maroon 5 ist, wird einem bewusst, wenn dann plötzlich als elftes Stück der Hit "Memories" kommt: traumhaft schön, sanftes E-Piano, wehmütiger Gesang, nah an "No Woman No Cry", aber dann eben doch eigen und gefühlvoll. Die Ausnahme, leider. Max Fellmann

(Foto: Mom+Pop (H'Art))

Sleater-Kinney - "Path Of Wellness" (Mom+Pop)

"Path Of Wellness": Vielleicht meinen Sleater-Kinney mit dem Titel ihres neuen Albums (Mom+Pop) den Weg, auf dem sich ihr Heimatland USA seit Joe Bidens Amtsantritt befindet. Ihr vorheriges Album war ein wütendes Ansingen gegen Trump und den ganzen Irrsinn, es hieß "The Center Won't Hold". Produziert und behutsam elektronisiert hatte das die große Kollegin St. Vincent. Ein spannender Schritt für die altgedienten Punkpop-Frauen. Jetzt aber gehen Sleater-Kinney wieder allein weiter, inzwischen zum Duo geschrumpft. Die Songs handeln diesmal weniger von Politik, sondern vor allem vom Zwischenmenschlichen, Privaten. Weil das Private aber natürlich politisch ist, erst recht bei Sleater-Kinney, blitzt die Punk-Wut nicht nur im schön schrägen Gitarrengewühl auf, sondern auch in sarkastischen Texten: "Complex Female Characters" rechnet mit männlichen Lippenbekenntnissen ab, es handelt von einem Kerl, der sagt, er möge ja komplexe weibliche Charaktere, aber "I want my women to go down easy" - am Ende will er doch vor allem Frauen einfach ins Bett kriegen. Für solche kurzen, klaren Handkantenschläge sind Sleater-Kinney immer noch die Besten. Max Fellmann

(Foto: N/A)

Ryan Adams - "Big Colors" (Paxam Recording Company/Rough Trade)

Kurzer Zwischenstand nur zu Ryan Adams. Er redet immer noch nicht, egal, wie oft und lieb man fragt. Zu den Missbrauchsvorwürfen, die mehrere Frauen, darunter bekannte Künstlerinnen wie Phoebe Bridgers und Adams Ex-Frau Mandy Moore 2019 in der New York Times erhoben haben, gibt es also wenig Neues. Das FBI hat inzwischen die Ermittlungen eingestellt, die es wegen angeblich sexueller Chats mit einer Minderjährigen aufgenommen hatte. Ansonsten ist da weiterhin nur der Brief, in dem Adams sich, nachdem er zunächst alle Vorwürfe abgestritten hatte, entschuldigt. Und eben seine Musik.

Aus der konnte der Wohlgesonnene zuletzt noch mal ein paar Entschuldigungen heraushören. "Wednesday" ( hier eine ausführliche Rezension), der im Dezember veröffentlichte erste Teil jener Trilogie, die er nun fortsetzt, war jedenfalls die ganz große Seelenblöße. Verhallte Americana-Düsternis. Waidwundes Storytelling. Das Herz in den Staub geworfen - jeder, der wollte, konnte mal drüberlaufen. Musik: fantastisch. Texte: Detail-Kartographie des Liebesleids. So gut wie lange nicht. Also grandios. Trotzdem - beziehungsweise gerade deswegen - wahnsinnig schwer zu hören. Eine Herausforderung ans eigene (Un)Rechtsbewusstsein.

"Big Colors" nun macht dort weiter (obwohl es ursprünglich Teil eins der Trilogie sein sollte), mit größerer Rockpose allerdings und leichterem Gemüt. Im Sound ist es aber auch kälter, härter. Die Gitarren haben mehr Twäng und beißendere Farben. Der Gesang steht greller und aufrechter in der Welt, wühlt weniger in den Eingeweiden. Alles plötzlich eher ein Aufbegehren gegen das Leid als ein Suhlen darin.

Was nun einen hundsgemeinen Effekt hat: Man hört das alles schon wieder mit etwas weniger Zwicken im Gedärm und Sirren im Kopf als noch beim Vorgänger. Der Mensch vergisst ja so schnell. Auch emotional. Und Schweigen hat sich oft als kluge Taktik bewährt, das zu beschleunigen. "Fuck the Rain" heißt ein Song. Text: "Fuck the rain / All that pain / Don't / Everything is fine / Can you stop? / Can I be alive?" Genug Regen und Schmerz. Darf ich leben? Womöglich geht das doch ein bisschen schnell. Jakob Biazza

(Foto: Roir (Cargo Records))

Bad Brains - "Bad Brains" (Roir / Cargo Records)

Zum Schluss eine herrliche Wiederveröffentlichung: Nach knapp 40 Jahren erscheint das Debütalbum der Bad Brains noch mal in hübsch. Aber ha, was heißt schon hübsch, am Mülleimer-Klang und der manischen Wucht von "Bad Brains" (Org Music) hat sich nichts geändert, zum Glück. Hardcore-Punk der ersten Stunde, immer noch ein unfassbarer Sturzflug, superschnell, superkopflos, dabei immer superpräzise gespielt. Ist ja auch der Gründungswitz: Das Quartett, allesamt People of Color (in diesem Genre damals wie heute extrem ungewöhnlich), hatte sich eigentlich unter dem Namen Mind Power zusammengefunden, um Fusion-Jazz zu spielen. Der Sprung von kopflastigen Jazz-Akkorden mit verminderter Quinte zu Songs wie "Attitude" und "Banned in D.C." hätte anderen garantiert Bänderrisse gebracht. Aber die vier landeten verblüffend sicher und brannten dann jahrelang die Häuser ab mit ihrer Mischung aus Vollekraftvoraus und unvermittelten Reggae-Abbremsern. Wenn man jetzt noch mal mit blutenden Ohren das Debüt hört und bei Tempo 210 plötzlich zum Schunkel-Offbeat von "Jah Calling" in den Sand gerät, kann es einen immer noch überschlagen. Toll. Max Fellmann

(Foto: Jordan Hemingway)

Wolf Alice - "Blue Weekend" (Dirty Hit Records)

Und das doch noch nachgereicht: Wohlklang ist etwas, das man sich trauen muss. Wird ja an den Rändern immer gleich gefährlich: In der einen Richtung wartet der Kitsch, in der anderen der Schlager, weiter hinten lauert der Wellnessbereich. Ellie Rowsell hat da zum Glück ein ziemlich gutes Gespür. Auf bisher zwei Alben hat die Engländerin mit ihrer Band Wolf Alice gezeigt, wie Wohlklang mit Anspruch geht. Beim neuen Album "Blue Weekend" (Dirty Hit Records) versteht man sofort wieder, warum die Band in England so geliebt wird: Wolf Alice sind wie Coldplay in den frühen Jahren mit Lana Del Rey in der Mitte. Sehr klare, klassische Songs zwischen Indie-Pop und Hymne, mal sanft, mal ganz großer Donner, dann wieder flüsterzarte Momente, die Fans das Gefühl geben, sie seien gerade mit Ellie allein im Zimmer - auf ein gutes Gespräch. Manchmal gerät das Ganze auch etwas ätherisch-verkünstelt, dann sieht man im Hintergrund geradezu Kate Bush zum Fenster reinsegeln. Aber egal, allein für die wirklich zauberhaften Chöre, die Ellie Rowsell in "Safe From Heartbreak" mit sich selbst singt: nichts als Verehrung. Max Fellmann

(Foto: N/A)

Noel Gallagher's High Flying Birds - "Back The Way We Came: Vol 1 (2011-2021)"

Ach so, und Noel Gallagher hat ein Best-of-Album veröffentlicht. Das offenbart erwartungsgemäß nichts Neues über den zweitgrantigsten Gallagher der Welt. Ist aber ein wunderbarer Anlass, ihn mal wieder zu sprechen. Die schlechte Nachricht: Er bezeichnet sich jetzt sogar selbst als Künstler. Die gute: Das Internet hasst er noch immer. Hier geht's zum Gespräch (mit SZ Plus)

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