Alben der Woche:Bauchfett in die Biotonne

Alben der Woche: "Komm zu uns, und reih dich ein / wir wollen zusammen traurig sein": die Band "Rammstein". Hier in weiß.

"Komm zu uns, und reih dich ein / wir wollen zusammen traurig sein": die Band "Rammstein". Hier in weiß.

(Foto: Andreas Waldschütz)

"Rammstein" werden milder. Dafür gibt es mehr Satire. Dazu: Neues von Kehlani, "Bloc Party", Mascha Juno - und eine neue Sportart: So was wie Wassertennis.

Von SZ-Popkritiker

Mascha Juno - "Uno"

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Der total inoffizielle, aber dafür mit umso mehr Vehemenz vergebene SZ-Preis für das Album der Woche geht an Mascha Juno. "Uno" (Akkerbouw) ist das Debüt einer gestandenen Musikerin, die bürgerlich Maria Schneider heißt und aus Berlin kommt. Dieser Tage erscheinen ja viele Früchte des Lockdowns. Bei Mascha Juno war es höchste Zeit! "Uno" beginnt mit einem mehrstimmigen, zwanzigsekündigen A-cappella-Intro: "I wont't tell you the secrets of my heart." Das stimmt, die Texte des Albums weisen ins Offene, Bekenntnis-Lyrics gibt's hier nicht. "Better Times", der erste Song täuscht mit seiner fingergepickten Akustikgitarre dann erst einmal geschmackssicheren, wenn auch etwas konventionellen Folkpop vor, schwillt aber zum Ende plötzlich an und bricht über einem Instrumental namens "Moroccan Joy" zusammen, der seine Rhythmen schichtet und einander umspielen lässt. Hier tobt sich der Percussion-Profi aus. Aber - das ist das Tolle - heraus kommt keine verkopfte Etüde, sondern ein ungemein belebender Track unter einem Himmel voller Synth-Schnörkeln. So schwingt das Album taktsicher zwischen Gitarrenschlichtheit und lässig elaborierten Songstrukturen. Es ist außerdem formidabel gesungen und produziert. Mascha Junos Stimme hält in jeder Lage warm, jedes Instrument tönt organisch. Besonders schön zum Beispiel im fünften Song, der Wiederkehr der nicht verratenen Geheimnisse aus dem Intro: "I won't tell you". Juliane Liebert

Nichtseattle - "Kommunistenlibido"

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Katharina Kollmann erzählt da schon deutlich mehr. Dieser Tage veröffentlicht sie unter dem tocotronicschwangeren Alias Nichtseattle ihr zweites Album, dessen Titel ein bisschen nach Coitus interruptus klingt: "Kommunistenlibido" (Staatsakt). Im Vordergrund steht hier die ganz leicht angezerrte E-Gitarre mitsamt authentischem Verstärkerbrummen. An ihrer Seite natürlich Kollmanns immer einen Tick rotziger, eine Nuance verwunderter und einen Hauch traurig-brüchiger Gesang. Dazu ihre Texte. Wir sind nämlich im alten Reich der wahrhaftigen Alternativmusik, als das Wort Indie noch nach Freiheit schmeckte - und nicht nach schaler College-Limonade. "Ich bin ein Raubtier, ich kann mich selbst regieren", lautet die erste Zeile. Ein entschlossenes, verletzliches, mutig ratloses Raubtier spricht da wohl. Denn "es gibt wirklich niemand, der hier irgendetwas weiß". Wie wohltuend, dass es mal jemand mit uralter Indiemelancholie ausspricht! Luzide Grübeleien, die Küchentischgesprächen nachts um drei abgelauscht erscheinen, liefern Nichtseattles Lyrics am laufenden Band. Bei striktem No-Bullshit-Sound. Selbst das Schlagzeug kommt höchstens mal zu Besuch. Tocotronic würden dieses Album sicher segnen. Juliane Liebert

Kelly Lee Owens - "LP.8"

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Kelly Lee Owens liefert dagegen die Vielfalt der Maschinenbeats. Die Waliserin ist seit ihrem selbstbetitelten Debüt von 2017 eine feste Größe der elektronischen Musikszene. Wobei, "fest": Fluide wäre besser gesagt. Melodische Tracks mit zartem Gesang finden sich bei ihr schließlich ebenso wie minimalistischer Techno. Als Auftakt ihres vorherigen Albums hat sie Radioheads "Arpeggi" gecovert. Wie ein Dialog zwischen eigensinnigen, monophonen Synthesizern. Auf "LP.8" (Smalltown Supersound/Cargo) geht es schroffer zu. Eine Hi-Hat saugt Luft ein, die Bassdrum schlägt. Monoton beginnt es, monoton geht es weiter. Owens wiederholt stoisch das Wort "Release". Erst später öffnen sich zum Aufatmen Ambient-Flächen - teils eisig-zerklüftet, teils Richtung "Blade Runner"-Erhabenheit. Bis mit "Nana Piano" eine Montage von beruhigend knarzigen Klavierloops Schutz bietet. Experimentalknistern und dumpfe Schläge reißen einen wieder zurück in die Fabrikhalle. Statt Richtung Pop zu marschieren, grüßt Owens alte Avantgardisten wie Throbbing Gristle und will dabei erkennbar nicht gemocht werden, sondern die Musik machen, die sich für sie gerade richtig anfühlt. Juliane Liebert

Kehlani - "blue water road"

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Sanft dahinplätschernd erzählt Kehlani in "blue water road" (Atlantic/Warner)Geschichten über ihre Träume, Liebe und Sex. Wellen sind zwischendurch zu hören - und Möwen auch. Meistens herrscht also etwas Tendenz zum seichten Küstengewässer. "All I do is fantasize about you", singt sie in "Up at night", einem Song mit Justin Bieber. An anderer Stelle kriegt sie blubbernd und groovy die Kurve, "Altar" ist ein etwas ziellos ineinanderlaufende Klanggewirr. Dafür gibt es danach eine beinahe spirituelle Erfahrung aus Streichern, Trompeten und Chören, gemischt mit hallenden Auto-Tune Beats. Das Album ist damit wie die Echos in einer Unterwasserwelt: etwas dumpf und merkwürdig verzerrt. Es hört sich dafür aber sehr fließend durch. Eva Goldbach

Bloc Party - "Alpha Games"

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"You should know the truth", und die ist, dass Bloc Party es ganz schön eilig haben. Leadsänger Kele Okereke hat viel zu sagen. Er hetzt also von einem Stück ins nächste und versucht dabei auch noch, dem Stil von früher treu zu bleiben. Das gelingt nur halb. Das Titelstück steigt laut, polternd und fast-rappend ein. Wie es bei Bloc Party zu erwarten ist, sind die Übergänge abgehackt und kantig. Brexit, Corona, Skandale - irgendwo muss die angestaute Wut ja hin. Allerdings ist die nach sechs Songs offenbar verpufft und "Alpha Games" (Bmg Rights Management/Warner) schweift schlittern dund rutschend von energetischen Einstiegen und anklagenden Texten in eine softe Richtung ab. Ab Track sieben, "Of things yet to come", wird es ruhiger und bleibt dann auch so. "Peace Offering" hallt am Ende melodisch und besorgter als erwartet. "I don't need your peace offering" singt Okereke. Wir aber vielleicht schon. Eva Goldbach

Sofi Tukker - "Wet Tennis"

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Das Leben ist ein Spiel und es ist zwar nass, aber man spielt es am besten trotzdem mit und nimmt es nicht zu ernst - das soll der Titel des Albums "Wet Tennis" wohl vermitteln. Sofi Tukker, das Duo bestehend aus Sophie Hawley-Weld und Tucker Halpern, bekannt durch experimentelle, energetische und verrückt-exotische Beats und ihre famose Aufmüpfigkeit, beweist hier, dass man wunderbar klar singen kann - dabei aber oft abschweift. Der verrückte Overload, der Sofi Tukker ursprünglich zum Durchbruch verhalf, ist nur in manchen Tracks noch zu erahnen. Da, wo sie noch eine Schippe drauflegen könnten, schweift die Musik in solide Dancehall Klänge ab. Tanzbar, aber die Eskalation bleibt aus. Eva Goldbach

Rammstein - "Zeit"

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(Foto: Rammstein/Universal/dpa)

"Komm zu uns, und reih dich ein / wir wollen zusammen traurig sein", ordert Rammstein-Frontmann Till Lindemann im Opener "Armee der Tristen" an, einem Wiederhall seines Gedichts "Die Armee der traurigen Menschen". So viele schöne Rs zu rollen. Dazu der souveräne Geisterbahnsound vom selbsternannten "Tastenficker" Flake Lorenz. Doch es ist kein gestochenes, verführerisches Seit' an Seit' mehr wie einst in "Links 2 3 4", es ist nur noch ein Schlurfen. Wie "Zeit" (Universal Music) insgesamt etwas dunkel gerät. Und milde. Dafür gibt es aber wieder mehr Satire. Rammsteins oft vergessene Stärke. Für die zweite Singleauskopplung "Zick Zack" inszenierten sich die sechs Mitglieder als frisch verzurrte Beauty-Opfer. Lindemann sieht aus wie der verlorene Sohn von Liberace und Meg Ryan. Am Alexanderplatz vertrieb ein Rammstein-Kiosk das "Zickzack-Magazin". Highlight der bravoesken Publikation war eine Leserbrief-Sparte mit dem Titel "Die Dr. Flake Botox-Box". Der Song selbst liefert den vergnüglichen Vers: "Bauchfett in die Biotonne / der Penis sieht jetzt wieder Sonne." Und im Gegenschuss (im Song "Schwarz"): "Die kalte Nacht ist mir Vergnügen / trink das Schwarz in tiefen Zügen." Dazwischen ein, doch ja: perlendes Klavier. Und zarte Streicher. Man kann sich vorstellen, wie Lindemann nach Mitternacht in seinem Garten sitzt, im wunderschönen Nirgendwo Mecklenburgs. Bisschen Novalis lesen mit der Stirnlampe vorm Schlafengehen. Ulrike Nimz

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