Wenn es im Pop um das Bestaunen von Newcomern geht, stellt sich oft die Frage: Soll man erst mal ihre Musik auf sich wirken lassen, oder soll man auf Stil, Klamotten, Frisuren achten? Beides gehört zusammen, und doch kann es eine Herausforderung sein, beim Erstkontakt alles auf einmal verdauen zu wollen. Wie bei Gus Dapperton. Der 22-jährige Sänger aus der Kleinstadt Warwick im Bundesstaat New York sieht aus wie das sechste, irgendwann verlorengegangene Mitglied der Boygroup *NSYNC, das dann durch ein riesiges, pastellfarbenes Donut-Wurmloch ins Jahr 2019 geflutscht ist, um hier mit Topfschnitt und sehr peinlichen Musikvideo-Dance-Bewegungen ganz alleine weiterzumachen, als One-Man-Boygroup sozusagen. Dazu passt aber dann Dappertons Sound kaum: Er spielt hauchzarten Lo-Fi-Dreampop, der mehr die Siebziger und Achtziger wachruft als die Boygroup-Neunziger. Wenn Beats dabei sind, klingen sie schepperig dünn, so wie aus einem Fisher-Price-Spielzeug, das im Kinderzimmer noch unterm Bett lag. Ja, Dapperton tut insgesamt sehr viel, um davon abzulenken, dass er in Wahrheit vor allem eines ist: ein begnadeter Songwriter. Zum Beispiel beschreibt er in "World Class Cinema", wie sich das anfühlt, wenn man weiß, dass man ein weltberühmter Hollywood-Star ist, nur die Welt hat es noch nicht kapiert. Hymnen auf die Hybris von einem Supernerd im irritierenden Retro-MTV-Look: "Where Polly People Go To Read" (Awal Recordings) ist wirklich das schönste Debütalbum der Woche.