Chrissie Hynde - "Standing In The Doorway: Chrissie Hynde Sings Bob Dylan" (BMG Rights)
Manche Menschen kommen im höheren Alter gern auf die Klassiker zurück: "Hab jetzt endlich mal wieder die 'Wahlverwandtschaften' gelesen." "Höre zurzeit in Ruhe noch mal Karajan, alle Beethoven-Aufnahmen." Und wenn diese älteren Menschen berühmte Musiker sind, kann das auch heißen: "Habe jetzt also mal ein ganzes Album nur mit Bob-Dylan-Songs aufgenommen." Bryan Ferry, Judy Collins, Robyn Hitchcock, Leslie West, Steve Wynn und, und, und. Jetzt erscheint "Standing In The Doorway: Chrissie Hynde Sings Bob Dylan" (BMG Rights). Auf die Idee kam Hynde vergangenes Jahr im Lockdown, also sang sie Songs wie "You're A Big Girl Now", "Blind Willie McTell" oder "Tomorrow Is A Long Time" in ihr Smartphone und schickte die Aufnahmen ihrem alten Pretenders-Kollegen James Walbourne. Der baute dann zu Hause am Laptop noch ein paar Instrumente drumherum. Das Ergebnis klingt aber so, als hätten sie zusammen musiziert: unaufgeregte Versionen, geradeaus und werktreu. Die gefallen vermutlich His Bobness auch. Andererseits: Wer weiß schon, was der momentan so hört. Max Fellmann
GA-20 - "GA-20 Does Hound Dog Taylor: Try It ... You Might Like It!" (Colemine Records)
Und da wir gerade bei Cover-Versionen sind: Der große, halb vergessene Blues-Held Hound Dog Taylor verdient ja jederzeit, dass mehr Menschen seine Songs nachspielen. Der Mann kam zwar aus Chicago, aber sein Metier war nicht der bierbäuchige Chicago Blues, sondern die raue, knöcherne Alternative, hart und scharfkantig. Jetzt huldigt ihm das Trio GA-20 mit dem Album "GA-20 Does Hound Dog Taylor: Try It ... You Might Like It!" (Colemine Records). Der Ansatz ist so umstandslos wie liebevoll: keine Neuinterpretationen, keine Modernisierungen, nichts da, sondern bitteschön alles so original wie möglich (die Band ist benannt nach einem alten Gitarrenverstärker). Zwei Gitarren, Schlagzeug, kein Bass, genau die Instrumentierung, die auch schon Jon Spencer oder die Black Keys inspirierte. Völlig entschlackt und direkt, drei Mann auf engstem Raum - an manchen Stellen hat man beim Hören den Eindruck, sie stünden schon Nase an Nase in der Wohnungstür und zerlegen einem als nächstes die Küche. Und wenn man jetzt sagen würde, na schön, das machen die sehr gut, aber da kann ich mir doch genauso das Original anhören? Dann würden die Herren antworten: Hurra, wenn wir auch nur einen Menschen dazu bringen, den alten Hound Dog Taylor zu entdecken, haben wir alles richtig gemacht. Ein Akt der Liebe. Max Fellmann
Jake Bugg - Saturday Night, Sunday Morning (Sony Music)
Jake Bugg, der jüngste Folkie mit der ältesten Seele, hat sich jetzt also, Achtung: neu erfunden. Das ist im Genre der handgezupften, gitarren-knarzigen Wahrhaftigkeit, in dem er für sein Alter schon lang unterwegs ist, ein vertrackter (und mit Ende 20 schon auch früher) Schritt. Zumindest der puristische Folk-Fan vergibt ja wenig Innovation, manch Hörerin, auch Männer, könnte sich also an den erstaunlich wummsigen Stampfbeats stören, die auf "Saturday Night, Sunday Morning" im Weg herumstehen. An den Killers-artigen Achtelbässen, an den Handclaps und den, noch mal Achtung: Disco-Streichern. Ja, doch, Disco-Streicher. Allerdings nicht so viele. Dafür gibt es aber immer wieder Synthie-kalte Pizzicati und großflächiges Druckwabern von sehr vielen Tasteninstrumenten. Und darüber hinaus aber eigentlich kaum Grund zur Sorge. Viele der Songs sind so gut, dass ihnen auch eine wirklich schlechte Produktion - und die Produktion hier ist, wenn überhaupt, sehr selten wirklich schlecht - etwas anhaben könnte. Jakob Biazza
Nura - "Auf der Suche" (Universal Music)
Stimmt schon, es wird langsam etwas fad, Nuras Raps immer nur als Selbstermächtigungs-Lyrik in einer misogynen Welt zu interpretieren. Sie deutet die männlichen Frauenhass-Posen im Hip-Hop ja nun schon seit vielen Jahren zu etwas um, das man vielleicht am treffendsten als weiblichen Hyper-Chauvinismus beschreiben könnte. Als Brachial-Prosa, die die täglichen Herabwürdigungen von Frauen durch die männlichen Kollegen nimmt, zur vollen Fratzenhaftigkeit aufbläht und dann mit wundervoller Brutalität zurückschleudert. Man höre auf ihrem neuen Album "Auf der Suche" stellvertretend etwa "Backstage": Khia-Sample, und darüber die Ansage: "I'm sorry Mama, doch dein Junge ist ne Hoe!" Und dann: "Er ist gut gebaut, so wie meine Joints / Die Mädels woll'n noch Spaß, also hol mal noch nen Freund / Davon hast du doch geträumt / aber tut mir leid, Kleiner / Heut' Nacht kein Sex für dich im Nightliner" (um mal die jugendfreiesten Passagen zu zitieren). Als der Spiegel in einer großen Datenanalyse nachgezählt hat, stellte man jedenfalls vor einem guten Jahr fest, dass niemand im Schnitt mehr sexistische Begriffe benutzt als Nuras ehemalige Band SXTN. Herrlicher Trick natürlich: Nimm den ganzen Brüllaffen die derbsten Ur-Schreie weg. Vielleicht merken sie dann selbst irgendwann, was für furchtbare Hanswürste sie sind.
Und weil viele das leider trotzdem nicht gemerkt haben, doch noch deutlicher gesagt: In einem Genre, das mangels neuer Ideen gerade mehr und mehr in der künstlerischen Bedeutungslosigkeit absäuft, übernehmen Frauen ja gerade eh die Herrschaft. Nura weit vorne. Oder um es mit ihren Worten zu sagen: "Scheiß auf Promo-Beef / Haut euch endlich auf die Fresse oder macht wieder Musik!" Jakob Biazza
Villagers - "Fever Dreams" (Domino)
Mit sanfter Beharrlichkeit veröffentlicht der irische Songwriter Conor J. O'Brien Album um Album unter dem Bandnamen Villagers - mit wechselnden Musikern. Droben im Norden landet er mit seinem wehmütigen Indie-Folk immer wieder auf Platz eins der Charts. Im Rest der Welt ist er eher so etwas wie der Cousin, den man beim Familientreffen übersieht. Dabei können seine Songs durchaus mithalten mit denen von Patenonkeln wie Elliott Smith oder M. Ward. Auf dem neuen Album "Fever Dreams" (Domino) lehnt er sich noch ein bisschen mehr Richtung Pop mit großen Refrains, Arme ausbreiten, Cinemascope-Weite. Liebenswert auch die Softrock-Momente: Das wunderbare "So Simpatico" trägt einen sofort an die Amalfiküste ca. 1978. Und immer wieder, wenn es in den Details besonders kunstvoll und fein ziseliert wird, wenn die Geigen schmachten und eine einsame Posaune zum Solo ansetzt, dann erinnert O'Briens Musik an die seines nordirischen Kollegen Neil Hannon. Hannon produziert seine fantastische Musik ja seit Jahren unter dem Namen The Divine Comedy. Jetzt könnten die zwei vielleicht noch bei Gelegenheit erklären, was das eigentlich soll mit den Bandnamen, hinter denen sich nur ein Mann verbirgt. Schließlich ist diese Kritik hier ja auch nicht unterzeichnet mit Schreibgruppe Süd, sondern mit: Max Fellmann.