Die 3. Sinfonie des polnischen Komponisten Henryk Mikołaj Górecki, komponiert 1976, ist kein Pop. Gehört also eigentlich nicht hierher. Was natürlich Quatsch ist. Schon bei Tschaikowsky finden sich loopartige Passagen, in Debussys "Images" Jazz, Satie hat auf die Trennung von Hoch- und Populärkultur gleich ganz gepfiffen und Techno-DJs verehren Karl-Heinz Stockhausen. Die Sopranistin in der neuen Aufnahme von Góreckis 3. Sinfonie des Polnischen Radio-Sinfonieorchesters ist die Portishead-Sängerin Beth Gibbons. Es beginnt mit einer grummelnden Bass-Figur, die von tiefer Hoffnungslosigkeit kündet. Kanonartig schichten sich Celli und Violinen darüber, immer rückhaltloser wird die Klage. Maria weint um ihren gekreuzigten Sohn. Entfernt erinnert diese Expressivität an Barbers "Adagio For Strings", nur dass die Musik in tiefere historische Schichten auszugreifen scheint, roher, minimalistischer ist, mit Gespür für Geräusche. Drei Sätze, drei Klagelieder. Der Gesang ist nur in relativ kurzen Passagen präsent, aber steht jeweils im Zentrum der Sätze. Auf den ersten Blick ist Gorecki der schärfste Kontrast zu Marvin Gaye. Hier alte, abendländische Tradition, dort schwarzer Pop. Aber beider Schaffen wäre ohne die Kirchenmusik nicht denkbar, beide finden Transzendenz in Tönen. Goreckis Musik ist das Bewusstsein eingeschrieben, dass das Abendland spätestens 1939 untergegangen ist. Aber wie in einer nördlichen Juninacht leuchtet der Horizont, und zuweilen braucht es nur ein Jauchzen, um vom neuen Morgen zu singen.