Alben der Woche:Mehr Mut zum Dreck, bitte

Die drei Schwestern von "Haim" liefern ihre bisher stärkste Platte ab, das Trio "Khruangbin" tritt in superschlaue Fußstapfen. Alles andere als subtil sind dagegen "Mantar" auf ihrem Coveralbum.

Von SZ-Popkritikern

1 / 5

Park Hye Jin - How Can I (Ninja Tune)

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Quelle: Ninja Tune

Park Hye Jin wurde in Seoul geboren und lebt inzwischen in Los Angeles. Ihre neue EP "How Can I" erscheint bei Ninja Tune. Die Koreanerin mag es housig mit gelegentlichem Pantha-Du-Prince-Glockengeläut. Elektronische Gischt schwappt ins Gehör. Dann stampft wieder das Tanzbein. Ein koreanischer Satz, oft wiederholt, dann Englisch: Can you be my baby? Kennen wir. Können wir. Die Maschinen housen derweil deep vor sich hin. Drums schleppen sich ein wenig erschöpft mit. Ihr Style erinnert an Yaeji. Roher, nicht spielerisch. Sie loopt Gesangsegmente bis zum Umfallen. Bedient sich aus dem Fundus der klassischen Clubmusik, aber immer, wenn man denkt, dass man sie gerade bei einem lupenreinen Genretrack ertappt hat, beginnen die Step-Sequenzer zu stolpern, und es passiert wieder was völlig anderes. Dabei türmt sie keine Soundschichten aufeinander, sondern baut weitgehend schnörkellose Stücke. Zugängliche elektronische Musik irgendwo zwischen Houseparty, Classic Berghain und Transmediale-Gefrickel.

Juliane Liebert

2 / 5

Arca - KiCk i (XL Recordings)

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Quelle: XL Recordings

Arca, inzwischen offiziell eine nonbinäre Sie, segnete uns neulich noch mit einem monumentalen Track. Er trug den unbedingt konkret poetischen Titel "@@@@@. @@@@@" (ohne die Anführungszeichen). Das Stück hatte die Länge und emotionale Bandbreite einer Mahler-Sinfonie. Auf dem neuen Album "KiCk i" kollaboriert Arca stattdessen mit Rosalia und versenkt sich in lauter kleine Bits. Leider kommt bei Footwork-Avantgarde-Kram ja oft immer dasselbe raus: Beats zappeln. Samples schwirren einem virtuos verhackstückt um die Ohren. Ab und zu ein paar pathosstrahlende Synthesizer, bissl Gewummer. Ach ja, und irgendwas mit Künstlicher Intelligenz. Was man aber nur hört, wenn man es weiß, versteht sich. Viel Klicken, Zerren und Zirpen. Die genderfluide Zukunft zuckt in Ekstase. Gelegentliche spanische Raps. Fast alle Farbtöne des elektronischen Geräuschuniversums blitzen mal irgendwo auf. Wäre das Album ein Film, müsste man vor Epilepsie warnen.

Juliane Liebert

3 / 5

Haim - Women In Music Pt. III (Universal)

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Quelle: Universal

Fein abgestimmte Gesangsharmonien, knackige Gitarrenriffs und Snare-Drums: das ist die Art von Popmusik, mit der die drei Schwestern aus Los Angeles bekannt wurden. "Women In Music Pt. III" ist die dritte und bisher stärkste Platte von Haim. Sechzehn sorgfältig arrangierte und melodiestarke Songs, die im lichtdurchfluteten Raum zwischen Soft-Rock und R&B kreisen. Dazu neue Sounds, die man von der Band bis dato nicht kannte: hochgepitchte Computer-Stimmen, neblige Elektronik, Hip-Hop-Beats und sogar angejazzte Saxofon-Melodien. Das Album klingt wie eine Brise im kalifornischen Abendlicht, locker und unmittelbar, aber weniger geschliffen, roher und fließender zwischen den Genres. Der Titel des Albums spielt außerdem auf die Geschlechterungerechtigkeit im Musikbusiness an. Aber Haim sind nicht einfach nur Popstars, dafür ist ihre perfekte Sommerplatte der beste Beweis.

Annett Scheffel

4 / 5

Khruangbin - Mordechai (Dead Oceans)

Khruangbin - 'Mordechai'

Quelle: Dead Oceans

Das Trio Khruangbin aus Texas nimmt im größeren Pop-Gefüge inzwischen die Position ein, die lange vom Pariser Duo Air besetzt wurde: superschlaue Easy-Listening-Musik, die aber nicht cheesy ist und einen dezenten Vintage-Charme transportiert, ohne platt retro zu sein. Passt immer, fühlt sich immer gut an. Das muss man erstmal hinbekommen! Ihr neues Album "Mordechai" ist wieder ganz fantastisch und lebt, neben den supervirtuos undaddelig gefingerten Gitarrenmelodien von Mark Speer und dem stoisch halb-funky getrommeltem Schlagzeug von Donald "DJ" Johnson, natürlich vor allem wieder von Laura Lee und ihrer unfassbar lässigen Art, fluffig-knackige Basslinien zu spielen. Die von "So We Don't Forget" klingt sogar ein bisschen wie die Basslinie aus Bill Withers' "Lovely Day", also ganz herrlich. Wobei Khruangbin diesmal fast ein bisschen mehr singen als sonst, aber auf diese Art, die alles nur andeutet und keine ganzen Geschichten vorgibt. "Champagne" lautet zum Beispiel das erste, gehauchte Wort im ultra-smoothen Opening-Track "First Class", und das letzte lautet "Shida", im gleichnamigen letzten Song, der klingt, als sei er mit träger Restkraft aus einer Fata Morgana heraus gespielt. Shida kann ein japanischer Familienname sein, ein ebenso schöner persischer Mädchenname oder ein Ort am Baikalsee im russischen Oblast Irkutsk. Was meinen Khruangbin? Es soll natürlich offen bleiben. Denn der Trip, der soll sich doch im Kopf abspielen, immerhin bedeutet das Wort Khruangbin in der Thai-Sprache Flugzeug. Man fliegt also all diese Ort und Sprachen in Gedanken ab, und wer braucht da noch einen Sommerurlaub, wenn der im Kopf schon so wunderbar entspannt klingt?

Jan Kedves

5 / 5

Mantar - Grungetown Hooligans II (Brutal Panda Records)

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Quelle: Brutal Panda Records

Wie covert man am einfachsten? Man haut einfach jedem Song ein Gitarrenbrett vor den Kopf. Das ist im Fall von Mantar durchaus als Kompliment zu verstehen. Die Metal-Band bringt an diesem Freitag ein Cover-Album heraus. "Grungetown Hooligans II" ist es betitelt. Und es ist wunderbar. Mantar sind so etwas wie die Trolls einer Metalkultur, die ihren Gitarrenlärm gerne in höchster Verfeinerung irgendwo zwischen Hochleistungssport und akustischer Haute Cuisine zelebriert. In einem Spielfilm über die Band, wenn er denn je gedreht würde, sollte unbedingt eine Szene eingebaut werden, in der Lemmy selig ihnen über ein paar zärtlichen Flüchen den Staffelstab des Metalproletentums überreicht. Auf dem Totenbett. Auf "Grungetown Hooligans II" schlachten Mantar eine reizend schamlose Auswahl an weltberühmten Grungebands der zweiten Reihe für ihre Cover aus. Schamlos deshalb, weil Grunge bis vor Kurzem noch so out war, dass solche Cover lediglich von depressiven Schülerbands unter 17 Jahren gespielt werden durften. Dass dann aber auch eine Zwei-Mann-Band alle wegblasen kann, ist schon nach wenigen Sekunden klar. Nur ein bisschen mehr Mut zum buchstäblichen Grunge, also Dreck, hätte man ihrem Sound noch gewünscht. (Steve Albini, wo bist du?) Aber das ist ein kleinlicher Einwand angesichts der Freude, die man empfindet, eine so munter den guten alten Musikschinken Rock traktierende Band zu finden. Rock in seiner harten, schweren und doch gewitzten Spielart. Aus Deutschland, übrigens. Schlimmer noch: aus Bremen. Mit türkischem Namen und türkischstämmigem Drummer. Falls sich noch jemand fragt, wozu Migration gut ist: zum Headbangen und Moshpitten natürlich.

Juliane Liebert

© SZ.de/tmh
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