Sheryl Crow - "Threads" (Universal Music)
Recht imposante Geriatrie-Versammlung, die Sheryl Crow hier ein Album nennt. Die Gäste auf "Threads" (Universal Music) sind durchweg ziemlich alt (Chuck D, Eric Clapton, Bonnie Raitt, Stevie Nicks, Sting), ganz schön alt (Willie Nelson, Kris Kristofferson, Keith Richards, Mavis Staples) oder schon tot (Johnny Cash). Und da, wo sie noch nicht alt (oder tot) sind (Gary Clark Jr., St. Vincent), klingen sie trotzdem nicht wirklich jung. Wie wirklich absolut nichts neu oder unbekannt oder irgendwie innovativ klingt auf diesem dann doch ein bisschen irrwitzigen Sammelsurium, auf dem wirklich jeder Musiker der Welt vertreten scheint (Chris Stapleton, Jason Isbell, Lucius, Emmylou Harris, James Taylor, Vince Gill, Lukas Nelson, Maron Morris, Brandi Carlile und Joe Walsh sind zum Beispiel auch noch dabei). Und daran sieht man dann aber vor allem, wie hohl Kategorien wie alt und jung doch zur Zeit sind. Denn das, was die große Versammlung hier an Rock und Blues und Folk (und ganz klein wenig Rap) abliefert, ist unterm Strich schließlich: oft ziemlich gut. Und das muss doch dringend mal wieder reichen.
Common - "Let Love" (Loma Vista)
Common klingt auf den ersten Blick wie eh und je, mit dem Unterschied, dass die soulige Grundlage seiner Tracks nun eben nicht mehr gesampelt, sondern in wunderschön minimalen Arrangements live eingespielt wurde. Noch einen Unterschied bilden die Inhalte, Common hat sein politisch-gesellschaftliches Bewusstsein erweitert und das ist auch gut so, in seinen Worten: "I'm just a cake let me bake, goddamn". Beim Backen scheint ihn in letzter Zeit vor Allem seine Tochter beeinflusst zu haben. Common gibt sich auf "Let Love" in vielen Tracks als geläuterter Mann, der - dank Tochter - zu Gefühlen stehen kann, auch mal weint, sich kümmert und so weiter ("Show Me That You Love"). Und auch wenn man sich fragt, ob das nicht manchmal in Kitsch abdriftet und warum Männer immer eine Tochter brauchen, um sich und ihre Verfehlungen in Frage zu stellen: Für den Hip Hop bleibt Commons conscious rap eine große Bereicherung.
Ilgen-Nur - "Power Nap" (Membran)
Power-Napping ist ja eigentlich eine Folterpraxis aus der Selbstoptimierungshölle. Nur kurz mal ein paar Minütchen einnicken, um danach umso effektiver wieder ans Werk zu gehen? Die 23-jährige Wahlhamburgerin Ilgen-Nur Borali - als Musikerin nennt sie sich nur Ilgen-Nur - macht da auf keinen Fall mit. Ihr sehr schönes Debütalbum "Power Nap" ist ein Manifest des verträumten und sehr anti-ambitionierten Slackterums, gegossen in laut herausgekrachten, strahlenden Indierock. Songs gegen das Funktionieren, sozusagen. Aufstehen? Och lieber nicht, ich kann mir die Welt auch aus dem Bett ansehen ("In My Head"). Ich könnte draußen Spaß haben, aber mich langweilt doch alles ("TV"). Ich fröne lieber meinen schweren Gedanken ("Deep Thoughts"). Dass das beim Anhören nicht in einen depressiven Sog zieht, liegt an Max Rieger (Die Nerven), der als Produzent die sphärische Power der Songs gut herausgearbeitet hat. Und an Ilgen-Nurs Stimme, die vor allem in den tieferen Lagen ein reizvolles Paradox zum Ausdruck bringt - nämlich die Gleichzeitigkeit von leiser Introspektion und augenrollendem Überdruss.
Bonnie "Prince" Billy - "When We Are Inhuman" (Cargo)
Es ist zu früh für dieses Album, nicht weltgeschichtlich gesehen, sondern wegen des Wetters. "When We Are Inhuman" ist eindeutig ein Herbstalbum, mit warmen Harmonien, zickenden Geigen und einem Eichhörnchen, das aufs Klavier hüpft. So klingt es zumindest. Laut Pressetext "kollidierten" in dem Album die beiden Visionäre Will Oldham (Bonnie "Prince" Billy) und Julius Eastman (der apokryphe Komponist der Minimal Music). Nun ist Eastman schon eine Weile tot, und mit Toten kollaboriert sich schlecht. "Kollidieren" heißt in dem Fall also: Bryce Dessner hat gemeinsam mit Will Oldham ein Event beim Cincinnati MusicNOW Festival veranstaltet und daraus ist diese Platte geworden, die Will Oldhams Songs, Dessners Kram und Eastman durcheinander wirft. Wie ... Blätter im Wind.
Bon Iver - "I,I" (Jagjaguwar)
Findet er allmählich seinen Frieden? Vor 13 Jahren hat sich der verschrobene Amerikaner Justin Vernon mit seiner Gitarre in die Wälder von Wisconsin verzogen und dann unter dem Namen Bon Iver das wunderschöne Album "For Emma, Forever Ago" veröffentlicht - behutsamer, sehr eigenwilliger Folk-Pop, mit dem er so viel Erfolg fand, dass der Waldschrat ein bisschen erschrak. In der Folge entfernte er sich vom Sound seines Debüts so weit er konnte, stellte die Gitarre weg, benutzte Synthesizer, zerhackte alles im Computer, bis jede Spur der Gefälligkeit getilgt war. Das war zum Teil sagenhaft lästig, weil man ja hörte: Der Mann hat klassisch schöne Songs geschrieben, traut sich aber nicht, sie geradeaus zu spielen. Auf seinem neuen Album "i,i" (Jagjaguwar), das jetzt als CD erscheint (als Download ist es bereits seit kurzem verfügbar), findet er endlich eine ganz entspannte Mitte. Sicher, hier und da knirscht's wieder digital, aber dann kommen auch Momente, in denen er sich die Dekonstruktion spart: "Hey, Ma" ist großer, schwelgerischer Pop, "U (Man Like)" eine verträumte Miniatur und "Faith" gerät ihm fast so hymnisch, dass es auch von Coldplay sein könnte (keine Sorge, er zerfasert es schon noch genug). Nach all den Jahren klingt Justin Vernon, als würde er sich gerade ganz wohl fühlen. Erfreulich.
Gender Roles - "Prang" (Big Scary Monsters)
Geht der Bandname Gender Roles noch als guter Gag durch oder ist das schon zu bedacht zu sehr Proseminar Gender Studies? Wie auch immer, das Debütalbum "Prang" des englischen Trios hat zum Glück wenig mit Theorie zu tun, geht eher in die Vollen: scharfkantiger Gitarrenpop, den die Band selbst leicht irritierend als Punk bezeichnet. Dabei ist hier gar nichts aggressiv oder anti, im Gegenteil, manche der präzisen Songs klingen nach der Inspiration, auf die The Strokes seit Jahren warten. Viel Laut-leise-Dynamik, akzentuierte Gitarren, ausgetüftelte Breaks. Und große Refrains zum Arme-Ausbreiten, bei denen alles ein bisschen ins Fliegen gerät, vor allem im Hit "Hey With Two Whys".
Luciano - Millies
Nach eigener Angabe läuft der Rapper Luciano drei bis viermal die Woche über den Berliner Ku'damm. Branchenüblich rappt er auf "Millies" dann alle Markennamen weg, die ihm dabei so über den Weg laufen ("Cadillac"). Das alles tut der gebürtige Bautzener in einem irren Stakkato-Stil, wodurch sich Luciano in die Beats von Miksu und Macloud oft weniger als Stimme, sondern eher als antreibendes, perkussives Element einbringt. Und wer dabei genau hinhört, entdeckt zwischen den ganzen Marken und Millionen hin und wieder eine zweite, tieftraurige Ebene aus Sorgen, "gelähmter Seele", Depressionen und Schmerzmitteln ("Loco Odyssee", "Im Plus").
Lana Del Rey - Norman Fucking Rockwell (Polydor)
Man kann viele komplexe Fragen zu Lana del Reys neuem Album "Norman Fucking Rockwell" stellen; Fragen, die den amerikanischen Traum, Metoo, Identität, das weibliche Altern, Vaterkomplexe etc. etc. betreffen, aber die eigentliche Frage ist: ist Lana del Rey ein Bot oder ein Turbomixer? "Norman Fucking Rockwell" kann man, je nach Gustus, als ein vielschichtig mit Anspielungen an hundert Jahre amerikanische Kulturgeschichte spielendes Meisterwerk deuten. Oder als: "Elizabeth Woolridge Grant schreibt alle berühmten Lyrics auf, die ihr aus anderen Songs so einfallen, wirbelt sie einmal durcheinander, Geigen drunter, Klavier drüber, Mittagsschlaf." Die Wahrheit liegt wie üblich irgendwo in der Mitte.