Alben der Woche:Deutscher Kleister

David Hasselhoff - Pressebilder

Verdammt, er liebt uns: David Hasselhoff.

(Foto: Dennis Leupold)

Alex Christensen spaxt sich ein Orchester zusammen, David Hasselhoff macht Party. Moses Pelham spricht über Laubbläser und Kanye West mit Gott - täglich.

Von Jakob Biazza

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Little Simz - "Sometimes I Might Be Introvert" (Age 101)

Bevor ein paar eher sehr deutsche Alben die Leserinnen und Leser verstören und/oder in die Flucht schlagen, geschwind das Album der Woche: "Sometimes I Might Be Introvert" der britischen Rapperin Little Simz, bürgerlich Simbiatu Abisola Abiola Ajikawo. Identitätssuche und Selbstbehauptung über Grime und Soul-Hip-Hop. Irre souverän gerappt, ganz abgeklärt produziert - aber trotzdem mit verstörender Energie und Verspieltheit. Stimme und Welteinsicht einer tief lebensgeprägten Frau. Aber dazu der Drang einer 20-Jährigen Freiheitskämpferin. "She's the illest doing it right now", fand Kendrick Lamar schon vor Jahren. Es muss also an der verdammten Welt liegen, dass sie noch immer nicht ihrer immensen Qualität angemessen berühmt ist.

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(Foto: Seven.One Starwatch / Universal Music)

Alex Christensen - "Classical 80s Dance" (Seven.One Starwatch)

Alex Christensen war in den Neunzigern ein für seine Zeit sehr entscheidender Komponist und Produzent. Oder, wie er das auf seiner Homepage selbst formuliert: "Mit Singles wie 'Das Boot' und 'united' hat er die 90er entschieden mitgeprägt und den Dance- und Technoboom in Schwung gebracht." Dann hat er den wirklich sehr guten Trick alternder Classic-Rock-Stars für sich entdeckt und adaptiert - er hat das exakt selbe weitergemacht, aber mit Orchester (Homepage: "Mit der Reihe 'Classical 90s Dance' brachte Alex Christensen dann gar Klassik und Dance Music zusammen."). Gut 300 000 Mal hat sich das zuletzt verkauft. Und "nun", ein letztes Mal die Homepage, "schreibt er die Erfolgsgeschichte weiter: In 'Classical 80s Dance' finden die ikonischen Hits der 80er ihre neue, orchestrale Heimat." Was heißt, dass er Songs, die im Original ja meistens über ihren manischen Fokus auf nur wenige markante Elemente funktionieren (#dafürgibtesproduzenten), schaufelweise mit hypernervösen und gleichzeitig irgendwie schmierigen Streichern bewirft. Und dann noch eine Viertel-stampfende Bassdrum drunterspaxt. Damit dürfte Alex Christensen zu den ganz wenigen Produzenten gehören, bei denen selbst sehr unverkennbare Achtziger-Hits noch nach 90ies-Dance klingen. Prägend, der Mann.

Winziger Nachtrag: Die Art, wie Gary Barlow - Kopf und Herrscher bei Take That, Jahrzehnt-Antipode zu Robbie Williams und, das merkt man hier mal wieder, weithin unterschätzter Sänger - bei "Don't Dream It's Over" Luft in den Kleister bringt, verdient nichts als Anerkennung. Wundervoll, der Mann.

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David Hasselhoff - "Party Your Hasselhoff" (Restless/The Orchard/Sony)

Was absolut zwingend weiter zu David Hasselhoff führt. Hasselhoff ist, zumindest als Musiker, inzwischen ja eigentlich eingebürgert. Hier sind die Fans, die Liebe, die Duett-Partner von Harald Juhnke bis Blümchen, die Menschen, die Dokus über ihn drehen, und ihn dabei nicht auf seinen Auftritt im Hitler-Kostüm ansprechen (eine Referenz an ein Mel-Brooks-Musical damals, aber natürlich auch darin ein relevantes Thema). Für hier hat er natürlich auch den Song "Damnit I Love You" aufgenommen, was, man erkennt das am Anfang nicht sofort, eine englische Version von Matthias Reims (deutscher David Hasselhoff?) "Verdammt ich lieb' dich" ist - und damit nur einer von ganz vielen, sanft neu interpretierten Songs auf "Party Your Hasselhoff" (Restless/The Orchard/Sony), dem Album, das er am Freitag hier veröffentlicht ("I Was Made vor Loving You" ist dabei und auch "The Passenger"). Auf dem Album-Cover sind Teile des Namens mit diesen metallisch glänzenden Party-Luftballons in Buchstabenform geschrieben. Sie bilden die Worte "Ass off". Und die Schönheit hier ist, dass das Album auch ganz, ganz, ganz genau so klingt.

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Moses Pelham - "Nostalgie Tape" (Sony Music)

Und damit weiter zu Moses Pelham. Pelham war in den Neunzigern ein für seine Zeit sehr entscheidender Komponist und Produzent. Dann hat er den wirklich sehr guten Trick mittel-alternder Hip-Hop-Stars für sich entdeckt und adaptiert, und das nicht ganz exakt selbe weitergemacht, aber mit rehäugig leidenden Sängerinnen. Jetzt bringt er ein neues Solo-Album heraus. "Nostalgie Tape" (Sony Music) heißt es, enthält in der Hauptsache eine nur ganz leicht altersmilde Form von Battle-Rap und ein paar Gastauftritte von Marteria, Namika oder Cora E (die Älteren werden sich erinnern). Und was soll man sagen, auch hier: weithin unterschätzt der Mann! Fast so sehr wie das Hessische im Rap. Topp-MC. Steht ihm irre gut, statt Bedenken und Weltschmerz mal wieder etwas auszugeben, dem man den Fachterminus "Nackenschellen" aufdrücken muss. In seinen Worten: "Einsteigen - un' auf gedda / gegen meine Zeilen sind andre Laubbläser."

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F.S. Blumm & Nils Frahm "2X1=4"

Man kann sich das Ganze, um den Nerd-Charakter abzuschwächen, ja probehalber mal ein bisschen archaisch vorstellen: Zwei Künstler - der Pianist Nils Frahm der eine, der Experimentalmusiker F.S. Blumm der andere - ein Tape Recorder, sehr freie, sehr improvisierte Sessions, sehr umfangreich mitgeschnitten. Und dann aber das noch rohe Material in den Bau geschleppt (also gut, ins Studio), wo es zerrupft, zerteilt, filetiert und neu zusammengesetzt wurde. Immer und immer wieder. Schichten drauf, Schichten weg. Stücke herausbrechen, Stücke einfügen. Tonnen an Ausgangsmaterial. Und am Ende dann eine sehr verspielte, mollig warme und wirklich sehr dunkelschöne Dub-Instrumental-Platte. "Es war, als ob wir mit einem Mähdrescher unterwegs waren, um unsere Namen dann auf ein einziges Korn zu schreiben", sagt Blumm. Und damit ergibt der Titel, "2X1=4", ja auch beinahe schon Sinn.

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Kanye West - "Donda" (Universal Music)

Und dann war "Donda" plötzlich doch veröffentlicht. Seltsam unspektakulärer Vorgang nach dem ganzen PR-Irrwitz, den grob gezählt 312 Verschiebungen, den drei Live-Streaming-Sessions in zwei verschiedenen Football-Stadien. Irgendwer drückte offenbar einfach auf einen Knopf: pling, da. Kein Feuerwerk, keine Paraden, keine apokalyptischen Reiter, die die ersten Exemplare über der Welt abwarfen.

In der Hauptsache ist das Album eine eher tolle Mischung aus religiöser Spiritualität und dunkel getöntem Highscore-Pop. Gottesehrfurcht und Rap-Urkraft. Im Zentrum der meisten Songs stehen Klavier-, Orgel- oder Synthieflächen, Gospelchöre, Autotune-Stimmen oder Lead-Gesänge so silbrig, ätherisch zerstäubt und körperlos, so erhebend, seelenstreichelnd und herzerleichternd, als würde für sie höchstens die Gravitation auf dem Mond gelten. Darunter kriechen, walzen und planieren aber immer wieder Bässe herum, so massig, grimmig und tiefergelegt, als wollten sie nicht einfach nur den Dreck von den Straßen kratzen, sondern den ganzen Beton gleich mit. Was ja, um mal in die Interpretationskiste zu greifen, wiederum ganz gut ins Bild des Seelenretters Kanye West passt. Die Menschen ganz unten einsammeln - und sie dann dem Höheren zuführen.

Ansonsten ist "Donda" ein sehr langes (eine Stunde 48 Minuten, 27 Songs), weitestgehend Hit-freies Konzeptwerk, das, etwas böswillig verdichtet, drei Themen hat: Kanye West, Jesus - und den Weg des einen zum anderen. Im Song "Off the Grid" erklärt West außerdem, dass er seine Himmelsbotschaften keineswegs als Selbstzweck verbreite. Er rede darüber täglich mit seinem besten Kumpel, Gott. Lionel Messi ist dann manchmal auch da. "I talk to God everyday, that's my bestie / They playin' soccer in my backyard, I think I see Messi".

Ein ausführliches Porträt zum Album gibt es hier (SZ Plus).

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SZ Plus"Donda" von Kanye West
:Gottesehrfurcht und Rap-Urkraft

Das neue Album von Kanye West ist da. Braucht die Welt ein spielfilmlanges Gesamtkunstwerk aus 27 Songs, das genau drei Themen hat: Kanye, Jesus - und den Weg des einen zum anderen? Wahrscheinlich schon.

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