Süddeutsche Zeitung

Alben der Woche:Kalter Schauer des Realen

Joan as Policewoman covert, ohne dass es nach Karottenkuchen-Café klingt. Ghostpoet schlägt Bombenalarm und Damien Jurado hat Songs, die sich wie eine warme Decke um die Ohren legen.

Car Seat Headrest - "Making A Door Less Open" (Matador)

Der Indie-Tüftler Will Toledo hat das neue Album "Making A Door Less Open" (Matador) seiner Band Car Seat Headrest einmal in Bandbesetzung mit Gitarre, Bass und Schlagzeug eingespielt und einmal mit gänzlich synthetisch erzeugten Sounds. Ist leicht übermotiviert, klingt aber auf Songs wie "Can't Cool Me Down", "Hollywood" oder "Famous" tatsächlich ziemlich großartig. Breitwand-Lo-Fi.

Damien Jurado - "What's New, Tomboy?" (Loose Music)

Unermüdlich veröffentlicht der amerikanische Songwriter Damien Jurado Album um Album voller immer schön heiser dahingecroonter, skizzenhafter Wiegenlieder für Erwachsene. Nun also "What's New, Tomboy?" (Loose Music) mit Songs wie "Francine" oder "Fool Maria", die sich wie eine warme Decke um die Ohren legen.

Ghostpoet - "I Grow Tired But Dare Not Fall Asleep" (Play It Again Sam)

Ungemütlicher kann man es sich dann mit dem neuen Album "I Grow Tired But Dare Not Fall Asleep" (Play It Again Sam) des gefeierten britischen Spoken-Word-Sängers Obaro Ejimiwe alias Ghostpoet machen. Finstere Moritaten gegen die Pandemie der sozialen Gleichgültigkeit im Westen, die noch wahr sein werden, wenn Corona längst Vergangenheit ist. Während man "Concrete Pony" hört, denkt man plötzlich, es gäbe gerade einen Bombenalarm in der echten Welt, weil man von weit her diese typische grausig singende Sirene hört. Ist aber doch bloß auf Platte. Urgh. Kalter Schauer des Realen.

Joan as Police Woman - "Cover Two" (Pias)

Coveralben sind für die darauf vertretenen Songs immer eine Bedrohung - man erinnere sich nur an fürchterliche Werke, auf denen Punkbretter zu Lounge-Jazz umgedeutet wurden, die dann jahrelang die Karottenkuchen-Cafés der Welt beschallten. Oder - wie heute - Klassiker wie "Bittersweet Symphony", die zum gesichtslosen Autoscooter-House mit Fistelstimmchen verkommen. Joan Wasser aka Joan As Policewoman hat sich für ihr zweites Cover-Album mit dem treffenden Titel "Cover Two" gleich zu Beginn einen Song ausgesucht, an dem man bei seiner Neu-Interpretation fast nur scheitern kann - wie bereits von hunderten Hochzeits-Kapellen bewiesen: "Kiss" von Prince. Bei ihr klappt die Umdeutung allerdings, wie auch bei den anderen Songs, zum Beispiel bei "Out of Time" von Blur oder "Under Control" von den Strokes, die oft zwar doch gefährlich nah an der Zer-Lounge-Jazzung kratzen, dank Wassers außergewöhnlicher Stimme und angeschrägten Piano-Synkopen aber doch immer noch die Kurve kriegen. Alle Folgen der Alben der Woche gibt es hier.

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