Alben der Woche:"Sie suchen nach Mehl, um dein Gesicht zu panieren"

Alben der Woche: "Ich fliege wie ein Schmetterling und meine Gedankenbienen saugen wieder Honig aus euren Blütenköpfen." Jacques Palminger und "The Kings of Dubrock".

"Ich fliege wie ein Schmetterling und meine Gedankenbienen saugen wieder Honig aus euren Blütenköpfen." Jacques Palminger und "The Kings of Dubrock".

(Foto: Simone Scardovelli)

Neue Musik von Jan Delay, "The Kings of Dubrock", Andrew Bird und Andreas Doraus. Und dazu die Antwort auf die Frage, wer die Sonne anknipsen kann.

Alben der Woche: undefined
(Foto: Loma Vista Recordings)

Andrew Bird - "Inside Problems"

Reggae jetzt auch noch. Geigen-Pizzicato-Reggae, um genau zu sein. Seltsam. Also, nicht falsch verstehen: "Stop n'Shop", der Song mit den zirpend gezupften Off-Beats, ist hübsch, verspielt, groovt auch manierlich. Aber ein bisschen verschroben ist er auch. Und folgt damit einem Muster, das man nicht betrauern muss - aber darf: Andrew Bird, dieser sehr fähige Jazz- und Folk-Geiger (und -Pfeifer! Himmel, wie der pfeift!), kann ja eigentlich Hits schreiben oder zumindest Indie-Folk-Hits. Getragene, schwelgende, trotzdem ganz locker hingepatsche Kleinst-Hymnen. Man höre, zum Beispiel, "Sisyphus" vom 2019 erschienenen Album "My Finest Work Yet". Und dann am besten direkt weiter das restliche, meisterlich schöne Album. Seither wurde Bird allerdings wieder eine Spur experimenteller, spontaner. In seinen Ideen unmittelbarer. Fein natürlich. Er duckt sich aber auch öfter weg, bevor die Melodien zur vollen, süßlichen Schönheit aufgerichtet sind. Schlägt Haken, tänzelt, torkelt und pirouettiert, um auch nur annähernd Erwartbares zu vermeiden. Die Songs auf "Inside Problems" (Loma Vista Recordings), seinem neuen Album, purzeln ihm dabei manchmal ein klein wenig auseinander. Auf höchstem Niveau freilich. Außerdem geht es um verschiedenste Ausprägungen innerer Dämonen. Wann, wenn nicht dabei, darf es mal ein bisschen zerfasern? Eben. Jakob Biazza

Alben der Woche: undefined
(Foto: Label)

The Kings Of Dubrock - "Dubbies On Top"

Manche Musiker wollen stürmischen Applaus, andere hoffen auf kontemplative Ergriffenheit ihrer Hörer, dann wieder gibt es die, denen es schlicht um gemeinschaftliches Rumgerocke geht. Und schließlich Jacques Palminger: Der ist offensichtlich immer dann zufrieden, wenn er möglichst ungläubiges Kopfschütteln erzeugt. Als Teil des Hamburger Scherz-Trios Studio Braun und der Fake-Doku "Fraktus" geht er da noch vergleichsweise konventionell zur Sache. Bei seinen Soloprojekten wird es abseitiger. So auch auf dem dritten Album seiner Band Kings Of Dubrock: "Dubbies On Top" (Misitunes/Broken Silence) führt, wie er selbst sagt, in "musikalische Erlebniswelten und tanzbare Wohlfühllandschaften". Die Musik ist tatsächlich gefälliger Dub-Reggae. Aber wenn Palminger dazu singt, klingt er wieder wie ein Kinderhörspiel-Sprecher, der leider den Verstand verloren hat und jetzt Fremde an der Bushaltestelle anspricht.

"Wie konnte ich nur vergessen, dass ich es bin, der die Sonne anknipsen kann" säuselt er. "Ich fliege wie ein Schmetterling und meine Gedankenbienen saugen wieder Honig aus euren Blütenköpfen." Da geht es um Männerbilder, Franco-Nero-Phantasien oder, warum nicht, auch mal um abstruse Foltertechniken ("Sie suchen nach Mehl, um dein Gesicht zu panieren"). All das ist auf perfekte Weise meilenweit daneben. Oder halt ganz genau auf den Punkt - von Palminger aus gesehen. Beim Hören fühlt man sich irgendwann eigenartig leicht, der banalen Logik des Alltags enthoben, mal rätselnd, mal lachend, mal tanzend. Großartig. Oder wie der Meister der Post-post-post-Ironie es in seinem selbstverfassten Infotext sagt: "Alle Dub-Däumchen hoch!" Max Fellmann

Alben der Woche: undefined
(Foto: Label)

Jan Delays - "Earth, Wind & Feiern: Live aus dem Hamburger Hafen"

Von Palminger direkt zum nächsten Hamburger: Jan Delays neues Album "Earth, Wind & Feiern: Live aus dem Hamburger Hafen" (Universal) ist der Mitschnitt des Heimspiels, mit dem er im vergangenen Sommer das Erscheinen seines Albums "Earth, Wind & Feiern" beging. Und da der etwas müde Fire/Feiern-Gag hier schon zum zweiten Mal auftaucht, steht ja schon allmählich die Frage im Raum, warum Jan Delay immer nur halbhoch hüpft, wenn's um Wortspiele geht. Die Titel seiner letzten Alben: "Hammer und Michel", "Wir Kinder vom Bahnhof Soul", "Mercedes-Dance". Joa. Luft nach oben. Aber halb so wild, dafür fängt das Livealbum die Hafenstimmung groß ein, die Bläsersätze sitzen, die Hamburger gehen ab. Und Klassiker wie "Oh Johnny", "Klar" und das Gastspiel "Türlich Türlich" (Das Bo) machen auch jetzt wieder großen Spaß. Für den etwas vielschichtigeren Humor sind halt andere zuständig. Siehe oben. Max Fellmann

Alben der Woche: undefined
(Foto: Label)

Und jetzt bleiben wir an dieser Stelle einfach in Hamburg. Da lebt ja auch Andreas Dorau. Der tanzt schon ewig in seiner eigenen Seifenblase zwischen Riesenerfolg ("Fred vom Jupiter", 1982), Nischen-Erfolg (alles danach) und Zufallserfolg ("Girls In Love" in den französischen Top Ten). Aber egal, ob sein Stern gerade hell leuchtet oder eher nicht, der Mann zieht sein Ding so beharrlich durch, dass er rundum Respekt dafür verdient. "Ich bin der Eine von uns Beiden", das Album von 2005, wird jetzt noch mal neu aufgelegt (Tapete Records), und beim Durchhören merkt man sofort wieder: Was Dorau macht, macht sonst keiner in Deutschland. Mal House-Beats als Fundament, mal Heimorgel-Schlager, darüber mehrere Schichten aus obskuren Samples, seifigen Mädchenchören und den düdeligen Synthie-Sounds, die man aus TV-Serien der 70er-Jahre kennt. Ganz oben Doraus Erstklässlergesang - schlauerweise hat er ja die Erkenntnis "Oje, wenn ich singe, klinge ich wie ein kleiner Junge" einfach zum Prinzip erhoben. Hier sind ein paar echte Perlen wiederzuentdecken, unter anderem das großartige "Hinterhaus" ("Aus dem Hinterhaus, aus dem Hinterhaus / kommen die Mieter vorne raus"), dazu "Kein Liebeslied", geschrieben zusammen mit Sven Regener, der als Gast mittendrin Themen aufzählt, die seiner Meinung nach auch ein gutes Lied ergeben würden, "zum Beispiel Feuer, Träume, Farben, Zäune". Ein eigenartiges Album, im besten Sinne - unverwechselbar. Max Fellmann

Zur SZ-Startseite
Akustik-Konzert von Billie Eilish

SZ PlusBillie Eilish und die Influencer
:Manche mögen's nice

Kunst, Klicks und vegane Hotdogs: Ein Abend in Bonn mit Billie Eilish und dem deutschen Social-Media-Adel.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: