Alben der Woche:Gemütlich in der Retrofalle

Das softe Klangsoufflé von Parcels ist überzuckert, aber doch lecker. Und Kurt Vile schickt liebe Grüße an Neil Young.

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John Grant - "Love Is Magic" (Bella Union)

John Grant

Quelle: Bella Union

Allen, die auf der Suche nach Songs sind, die zu exakt gleichen Teilen verstören und faszinieren, sei das neue Album von John Grant ans Herz gelegt. Auf seiner vierten Platte "Love Is Magic" (Bella Union) hat der amerikanische Musiker nun die beiden Arten von Songs, die er am besten beherrscht, endgültig zu einem einzigen Sound verschmolzen: die Gefühlsballaden am Piano und die Elektro-Pop-Dramen, in deren flimmernden Räumen er seine schrägen Performances aufführt, wie die als geteerter, gefederter und pink beschienener Hühnermann auf dem Cover. Der fast sechsminütige Opener "Metamorphosis" ist ein Ausblick auf die Kurvenfahrt, die folgen wird. Eine Warnung: Das ist nichts für zarte Gemüter. Er beginnt mit knatternden Synthesizern aus Arcade-Games- und Soft-Cell-Zeiten und einer Art verirrtem, surrealistischem Spoken-Word-Theatermonolog, verwandelt sich in eine schwül-verträumte Ballade, und am Ende kehrt Gaga-Grant wieder zurück. Bei all der Exzentrik, schreibt John Grant aber tolle, kluge Zeilen über die Liebe, wie im Titelstück: "And this thing called intimacy / Is it what you always thought it would be? / (. . .) Do you feel like you are in control? / Did you find out that there's really no such thing? / Love is magic".

Annett Scheffel

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Kurt Vile - "Bottle It In" (Matador)

Kurt Vile

Quelle: Matador

Ein imposanter Lockenschopf, ein Gesichtsausdruck zwischen in sich gekehrt, verpeilt, sanft spöttisch und selbstbewusst - Kurt Vile ist die ideale Inkarnation seiner Musik. "Bottle It In" (Matador), sein neues Album, klingt phantastisch unprätentiös. Dass einer der längsten Songs, "Bassackwards", auch einer der schönsten ist, spricht für sich. "I was on the beach, but i was thinking about the bay", singt Vile dort, wie als Gruß an Neil Young. Er muss den Vergleich nicht scheuen. Sein Talent, ungemein eingängige Riffs aus den Tiefen der amerikanischen Gitarrentraditionen von Country bis Grunge zu erfinden, ist das eine. Unwiderstehlich werden diese Riffs, weil er sie fast beiläufig, aber mit sicherem Gespür für Dramaturgie, über teils mehr als zehnminütige Songs vor sich hin eiern lässt. Dabei zaubert er mal eben aus einem cheesy Computerbeat eine verschrobene Hymne wie "Hysteria" oder lässt in "Come Again" ein lebensernstes Banjo hoppeln.

Juliane Liebert

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Der Nino aus Wien - "Der Nino aus Wien" (Problembär Records)

Der Nino aus Wien

Quelle: Problembär Records

Zehn Alben in zehn Jahren hat der Songwriter Nino Mandl, bekannt unter dem Künstlernamen Der Nino aus Wien, veröffentlicht: An seinen Prinzipien hat der Österreicher zum Jubiläum zwar nichts mehr verändert, aber auf "Der Nino aus Wien" (Problembär Records), wieder aufgenommen mit Wanda-Produzent Paul Gallister, spielt er seinen smarten Austropop noch einmal in all seinen Formen und Farbtönen durch. Da sind die Wiener-Schmäh-Momente, aber auch die Anti-Folk-Momente. Da ist die Klavierballade "Bevor Du schläfst", die als eine Art österreichisches "Don't Look Back In Anger" mit heller, leicht hingerotzter Melancholie vom Ende des Sommers erzählt und von den kleinen und großen Geschichten, die sich darin Jahr für Jahr spiegeln: "Es wird bald wieder scheußlich / Und dann wird's immer schlimmer / Doch es hat immer noch gepasst / Weil all you need is love / Und meist gelingt's nicht ganz / Aber manchmal fast." Da sind seine Geschichten aus der Kneipe, in der der Zigarettenrauch kalt in der Luft hängt und Wolfgang Ambros aus der Jukebox tönt, bis alle nach einem letzten Wein im Taxi nach Hause fahren. Und diesem blumigen, batzweichen Dialekt kann man ja ohnehin stundenlang lauschen.

Annett Scheffel

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Parcels - "Parcels" (Kitsuné)

Parcels

Quelle: Kitsuné

Parcels machen es sich gemütlich in der Retrofalle. Die fünf Musiker sehen aus wie ausgeschnitten aus einem Vintage-Plattencover und hören sich auch so an: als hätten sich die Siebziger-Fleetwood Mac zusammen mit Steely Dan in die Disco verirrt. Doch ins zugängliche Klang-Amalgam ihres selbstbetitelten Debüt-Albums sind aktuelle Bezüge untergerührt, vor allem französische: zum Beispiel die polierten Sound-Oberflächen von besagten Daft Punk und das Kennertum der Indie-Popper von Phoenix, das hier mit weit weniger Ironie auskommt. Bei Parcels ist alles pop-gewordener Hedonismus. "Tieduprightnow" federt lässig um einen Refrain, für den das Attribut "catchy" noch eine Untertreibung ist. Immer wieder schiebt sich Gitarren-Gelicke vom Siebziger-Porno-Soundtrack direkt hinein ins softe Klangsoufflé - überzuckert, nicht gerade vollwertig, aber doch lecker.

Simon Rayß

© SZ.de/doer
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