Alben der Woche:Gegen Politikverdrossenheit und alte weiße Brexit-Männer

Endlich ist Pop wieder politisch: Yungblud und Bodega bohren den Finger in die Wunde eines kaputten Landes. Und The Nude Party klingen wie die blasierten Schrammel-Stones der Sechziger.

Yungblud - "21st Century Liability" (Universal)

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(Foto: Universal Music)

Alles im Eimer in Great Britain? Zwei Jahre nach dem Brexit ist die Politik ratlos, Nationalismus und Fremdenhass wachsen, in London sterben die Clubs, dafür explodieren die Mieten, das Sozialsystem kollabiert, und Boris Johnson grinst mit Klopapier-Sprüchen in die Kameras. Da wundert man sich schon, warum aus der britischen Popmusik so wenig Gegenwind kommt - wir reden immerhin vom Land der Sex Pistols. Umso interessanter, dass einem viel politische Haltung nun ausgerechnet auf dem Debüt eines 20-Jährigen Engländers entgegenschlägt, dessen Markenzeichen pinke Socken und ein Teenie-Grinsen sind: Die Songs auf "21st Century Liability" (Universal) von Dominic Harrison alias Yungblud zielen mit ihrem Sound-Querschnitt durch Pop, Hip-Hop, Reggae- und Punk-Einflüssen ganz klar in Richtung Mainstream. Ähnlich wie Mike Skinner von den Streets oder Jamie T geht es Yungblud vor allem darum, etwas gegen sein kaputtes Land zu sagen: gegen Politikverdrossenheit und Party-Sexismus, gegen Gentrifizierung und alte weiße Brexit-Männer, gegen Fehlentwicklungen im sozialen Wohnungsbau und das marode Gesundheitssystem. Macht einen richtig optimistisch, so viel Politik auf einem Pop-Album.

Bodega - "Endless Scroll" (What's Your Rupture)

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(Foto: What's Your Rupture)

Kritisch sehen auch Bodega den Lebensalltag unserer Gegenwart. Der Art-Rock-Band aus Brooklyn geht es aber weniger um große politischen Missstände, als um die vielen kleinen und großen Verrücktheiten, mit denen man sich als junger Großstadtmensch im Jahr 2018 herumschlagen muss. Die bündeln sie auf ihrer Debütplatte "Endless Scroll" (What's Your Rupture) in smarten Texten und mit trockenem Humor. Und wie die Internet-Feeds und ihre Informationsflut, durch die wir uns täglich wühlen und auf die der Titel anspielt, sind auch die Songs dicht durchzogen von popkulturellen Querverweisen: auf das Oxford Dictionary ebenso wie auf The Smiths' "Heaven Knows I'm Miserable Now" oder Leonardo DiCaprios Rolle im Blockbuster-Schmachfetzen "Titanic". Gleich im Opener stellen sie zum schönen rumpligen und Bass-getriebenen Sound die berechtigte Frage "How did this happen" und feuern dann ein paar kluge Diagnosen ab: "Your playlist knows you better than a closest lover." Und wie es in Zeiten der Spotify-Algorithmen eigentlich um die konkrete politische Wirksamkeit von Popmusik bestellt ist, das umreißen Bodega in einer einzigen Zeile: "This machine, you know, it's just a guitar." Diese Maschine tötet keine Faschisten mehr, wie der Folk-Fürst Woody Guthrie noch auf sein Instrument schrieb. Diese Maschine ist nur eine Gitarre.

The Nude Party (New West Records)

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(Foto: New West Records)

Es ist faul und führt meistens in mehr Sackgassen als Auswege, wenn man die Musik einer unbekannten Band mit der Musik bekannter Bands vergleicht. Die Gefahr zum Beispiel ist sehr groß, dass sich unter dem Hinweis, jemand klinge wie der frühe Springsteen, sechs von zehn Menschen gar nichts und die übrigen vier womöglich sechs verschiedene Dinge vorstellen dürften. Als Kritiker soll man seine Arbeit machen und Kritik ist schließlich eigentlich die Kunst der Unterscheidung. Aber dann hat man das neue, unbetitelte Debüt-Album der amerikanischen Indierock-Band "The Nude Party" (New West Records) zwischen den Ohren, hört Songs wie "Records" oder "Water On Mars" und es geht ausnahmsweise doch leider nicht anders: Diese Band klingt exakt wie die blasierten Schrammel-Stones der Sechziger, wenn die eine amerikanische College-Band gewesen wären. Nur nicht auf "Chevrolet Van". Da klingen sie wie die Stones, wenn Bob Dylan ihr Sänger gewesen wäre. Keine Ahnung, wohin das führen soll, aber sie machen es wirklich sehr gut.

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