Süddeutsche Zeitung

Alben der Woche:Im zweiten Leben konservativ

Neue Musik von den "Foo Fighters", A. J. Croce, Sarah Mary Chadwick, "The Staves" und Steven Wilson. Und dazu eine etwas unklare Sehnsucht nach Panflöten und Blasorchestern.

Sarah Mary Chadwick - "Me and Ennui Are Friends, Baby" (Ba Da Bing!)

Das Cover von Sarah Mary Chadwicks neuem Album "Me and Ennui Are Friends, Baby" zeigt einen Schritt. Rot lackierte Fingernägel ruhen auf gespreizten Beine, die stecken in Jeansshorts, und da, wo die Jeansshorts enden, sieht man einen Anflug von Schamhaar. Das Bild ist dabei gar nicht besonders sexuell - nicht die Art sexuell, wie sonst Albencover sexuell sind, mit glattgephotoshopten Frauenkörpern, die einem zum Albumkauf verführen sollen.

Das Aufblitzen der Schamhaare auf Sarah Mary Chadwicks Albumcover ist eher eine spirituelle Vision. Oder ein Suchbild. Sind sie da? Oder nicht? Die in Neuseeland geborene Musikerin beruft sich in ihren Lyrics auf die Dichterinnen Anne Sexton und Sylvia Plath; und tatsächlich sind viele ihrer Texte Bekenntnisse. An eine unglückliche Liebe, die Eltern, die eigenen Mängel. Alle Songs sind weitgehend auf Klavier und ihre Stimme reduziert. Trotzdem haben die besten Lieder nichts Skizzenhaftes oder Hingeklimpertes, sondern die Substanz ausgewachsener Popsongs. Das Klavier klingt wie in einen dicken Teppich verpackt, die Hämmer mit schwerem Samt gedämpft. Dumpf, aber klar artikuliert; immer wieder knarzt die Mechanik, das Holz. Als würden die Songs im Resonanzkörper des Instruments wohnen oder darin ihr zerschlissenes, robustes Fundament finden, auf dem aus Einfällen, Gegrübel und Trübsinn tatsächlich Lieder entstehen.

Foo Fighters - "Medicine At Midnight" (Ariola / Sony Music)

Paul McCartney hat vor vielen Jahren mal behauptet, es habe in den 70er-Jahren Fans seiner Band Wings gegeben, denen gar nicht klar gewesen sei, dass er vorher bei den Beatles war. Nun ja, da wollte sich jemand wohl von den Schatten der Vergangenheit befreien. Dave Grohl sieht das Thema lockerer. Er weiß, dass er als Sänger der Foo Fighters immer auch der einstige Schlagzeuger von Nirvana ist. Der Mann mit den zwei Leben. Das zweite ist inzwischen das deutlich längere, die Foo Fighters veröffentlichen am Freitag ihr inzwischen zehntes Album "Medicine At Midnight". Und es ist ein Jammer, dass sie gerade keine Konzerte geben können. Denn auf Albumlänge wird klar, wie sehr die Band live von den ironischen Brüchen lebt, von Grohls Umgang mit dem Publikum, von den lustigen Cover-Versionen (Queen, Rick Astley). All das fehlt hier sehr. Was bleibt, ist breitbeiniger Rock, muskulöse Riffs und stadionkompatible Refrains. Ganz schön konservativ - aber grundsympathisch.

The Staves - "Good Woman" (Warner Music)

Drei Schwestern, die seit zehn Jahren zusammen musizieren, zauberschöne Chorgesänge, Songs zwischen Folk und Indie, und spätestens jetzt denkt man, es geht schon wieder um Haim. Aber nein: The Staves aus England. Auch drei Schwestern, auch Satzgesang, auch seit zehn Jahren unterwegs, aber bisher weniger gefeiert als die anderen drei. Interessant: Wo Haim mit ihrer Rolle als Schwesternband oft hadern (ein Album nannten sie "Women in Music, Pt. III", weil sie immer die gleichen Genderfragen gestellt kriegen), gehen die Schwestern Emily, Jessica und Camilla Staveley-Taylor das Thema direkt in den Songs an. Ihr neues Album heißt "Good Woman", die Lieder behandeln, wie sie selbst sagen, "Tod und Geburt, Frausein, Muttersein, Schwesternsein". Heraus kommen dabei traumschwebende Folksongs, bei denen es sich lohnt, immer mal wieder zwischen Album und Internet zu wechseln: Ihre Studioaufnahmen sind fein produziert, mit besonderen Sounds aus dem Computer - auf Youtube aber finden sich viele Videos, in denen die drei einfach nur zur akustischen Gitarre singen. Das eine wie das andere: ausgesprochen wunderbar.

TV Priest - "Uppers" (Sub Pop / Cargo)

Die Sleaford Mods werden zu Recht bejubelt, unter anderem dafür, dass sie nur mit einem Laptop und einem Mikrofon die Wucht einer ganzen Punkband hinkriegen. Jetzt kommt die englische Punkband TV Priest mit ihrem Debütalbum "Uppers" daher und kriegt, ja nun, mit vier Mann die Wucht eines ganzen Duos hin. Ähnlich stoisches Schlagzeug-Bass-Gedübel, ähnlich wütend skandierte Texte, ähnliche Themen (Kapitalismus, Arbeitslosigkeit, Absturz). Das ist ziemlich energisch und ziemlich toll, auch wenn es einem hier und da wie ein Evolutionsschritt rückwärts erscheint. Aber solange Wucht und Wut so gut zusammengehen wie hier, kann das Ganze gern auch von einem zwölfköpfigen Blasorchester kommen. (Oh, interessante Vorstellung - könnte das vielleicht bitte mal jemand ausprobieren?)

A. J. Croce - "By Request" (Compass / H'Art)

Prinzipiell gilt in diesem Format: Fassung bewahren, schön die Argumente sortieren, ausgewogen bewerten. Aber manchmal fegt man dann halt doch die Argumente vom Tisch und springt glücklich durchs Zimmer. Zumindest wenn da einer fast ein halbes Jahrhundert nach Billy Preston dessen Handstandüberschlagsnummer "Nothing From Nothing" noch mal so mitreißend, so himmelhochjauchzend raushaut wie A. J. Croce. Wuuuh! Alle anderen Coverversionen spielt der Sohn des berühmten Jim Croce auf seinem Album "By Request" leider etwas arg klassisch. Nur Lieder aus der Ära seines Vaters - Sam Cooke, Tom Waits, Beach Boys, Neil Young. Alles sehr familienfreundlich, nie weit weg vom Original, gedacht als Verneigung vor den alten Meistern. Na schön. Aber der Mann kann auch ein Panflötenalbum machen, egal, für dieses "Nothing From Nothing" hat er zehn Freifahrtscheine gut. Und wofür gibt es schließlich die Auto-Repeat-Funktion?

Steven Wilson - "The Future Bites" (Caroline / Universal Music)

Das Phänomen des Musicians's Musician hat oft eine leicht trübe Komponente: Da wird jemand von Kollegen und Fachleuten verehrt, das Publikum reagiert aber eher verhalten, und das eben oft mit gutem Grund. Steven Wilson zum Beispiel wird in Fachzeitschriften interviewt, weil er sich mit Gitarrentechnik auskennt. Man zieht ihn zurate, wenn klassische Pop-Alben noch mal im Surround-Sound-irgendwas gemischt werden sollen. Leider klingt seine eigene Musik aber oft auch eher nach Fachwissen als nach Herzblut. Auf seinem sechsten Album "The Future Bites" beschäftigt er sich mit digitaler Kommunikation und moderner Technologie. Die Musik dazu hat allerdings nichts von "Future": hier ein bisschen Peter Gabriel, da ein paar demonstrative Kanten, zwischendrin seichter Autoradio-Pop. Schade. Seine Fans sehen das sicher anders, und vermutlich gibt es auch Gutes an Wilson, nämlich - äh, Entschuldigung, was sagen Sie? Wie bitte? Pardon, Sie sind nicht zu hören ... hier läuft immer noch auf voller Lautstärke "Nothing From Nothing".

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