Alben der Woche:Den Themendiebstahl sauber verhauen

Fettes Brot klauen bei den Falschen, Schandmaul verabschieden in vollbärtigen Zeilen große Seefahrer. Und Vampire Weekend schreiben maßgebliche Refrains für krisenanfällige Zeiten.

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Vampire Weekend: "Father Of The Bride" (Sony)

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Quelle: AP

Ihre exzentrischen Kammerpop-Hits haben Vampire Weekend vor zehn Jahren beinahe über Nacht berühmt gemacht. Smarter Collegepop mit Snobverdacht und viel Stilbewusstsein war das damals. Nach einer langen Pause nimmt Bandleader und Universalkünstler Ezra Koenig nun mit "Father Of The Bride" eine überfällige Neuverortung vor: Von der Ost- an die Westküste, von jugendlicher Euphorie mit Popkultur hin zu einem großen, erwachsenen Sound, der sich mit der veränderten Gegenwart auseinandersetzt - krisenanfällige Zeiten verlangen schließlich nach mehr als ein bisschen Banjo-Pop auf Teakholz-Yachten. Aber Ezra Koenig spielt seine Rolle als führender Zeitgeist auch vor derart unheilvoller Kulisse gut: 18 Songs in denen er zwischen Barockpiano und Americana-Folk auf Identitätssuche geht und die Zweifel seiner Generation in ebenso mühelose wie maßgebliche Refrains legt: "I don't wann live like this, but I don't wanna die", heißt es etwa in "Harmony Hill" einem der besonders schönen Arrangements der Platte. Eine Millennial-Erkenntnis, die zwanzig Jahre nach DJ Westbams Knalleransage: "We will never stopp living this way!" wohltuend demütig klingt. Bei aller Zerrissenheit in seiner Lebenswelt, hat Koenig mit "Father Of The Bride" also eine Platte aufgenommen, die als Opus magnum der Band durchgeht. Nicht so flirrend gewitzt wie die frühen Sachen, aber von profunder Schönheit und, wenn es so etwas gibt, munterer Traurigkeit.

Max Scharnigg

2 / 6

Bad Religion - "Age of Unreason" (Epitaph)

Quelle: Epitaph

Schwer unterschätztes Geräusch in der Pop-Kultur: das langgezogene Kratzen des Plektrums auf den tiefen, also umwickelten Saiten der E-Gitarre. Für Nicht-Gitarristen: Es klingt in etwa, als würde ein kleiner Ritter in voller Kampfmontur sehr schnell eine feine Käsereibe herunterrutschen (und dabei vergnügt jauchzen). Und es ist ein mächtiger Trigger. Plektrum auf tiefen Saiten sagt: "Es ging bis hierhin ja schon gehörig ab, aber wartet nur, was jetzt kommt!" Was hier wichtig ist, weil das ja auch quasi jeden Bad-Religion-Song der vergangenen - Achtung - 39 Jahre beschreibt. Das und die Erkenntnis, dass die amerikanische Politik paranoid, die westliche Zivilisation im Allgemeinen geistig angeschlagen und aktuell Donald Trump im Speziellen widerlich ist - und nicht nur deshalb Pogo-Tanzen den Menschen besser bekommt als dumm sein und regiert werden. Was ja nicht weniger wahr wird, nur weil die Kalifornier es seit inzwischen vier Jahrzehnten in ihrem Melodic Hardcore (schneller Punk auf Steroiden mit, doch, doch: Schlagermelodien) skandieren. Anders gesagt: Innovationspreise werden Bad Religion in diesem Leben nicht mehr gewinnen. Aber sie sind auf "Age of Unreason" immer noch die unbestrittenen Großmeister all dessen, was auf das anschiebende Saiten-Kratzen folgt. Und viel mehr braucht es meistens schließlich nicht.

Jakob Biazza

3 / 6

Big Thief - "U.F.O.F." (4AD)

Big Thief â€" „U.F.O.F.“ (4AD)

Quelle: 4AD

Es gibt Leichteres, als einem Genre wie dem Folk noch überraschende Facetten abzugewinnen. Entsprechend eindrucksvoll ist die Kunst der New Yorker Indiefolk-Band Big Thief, Folk-Pop jenseits von Folk-Pop-Kitsch zu erschaffen. So auch auf "U.F.O.F.". Mit spielerischer Mühelosigkeit lässt die Band darauf klassische Scheunentanz-Rumpler kaum merklich ins Sphärisch-Warme hinübergleiten oder das mitunter fast körperlose Hauchen von Sängerin Adrianne Lenker auch mal mit dröhnenden Slow-Core-Riffs kontrastieren. Ätherische Leichtigkeit und bleischwere Wucht, melodische Griffigkeit und rhythmische Vertracktheit - selten passt das so gut zusammen wie auf diesem Album.

Martin Pfnür

4 / 6

Oh Land - "Family Tree" (Tusk or Tooth)

Oh Land - "Family Tree"

Quelle: Awal Recordings

Eine Standard-Masche des Pop ist der "Musik ist für mich wie Therapie"-Ansatz: Negatives Lebenszeug ins Werk gießen, umrühren, restlos kathartisiert weiterleben - Deal. Beifang: eine authentische Entstehungsgeschichte zur Platte. Nanna Øland Fabricius aka Oh Land hatte während der Produktion ihres "Family Tree" eine Geburt, dann Scheidung und dann Umzug - von New York zurück nach Dänemark - zu überstehen. Sowas will natürlich umgerührt werden. Fabricius erzählt sich dementsprechend durch Höhen und Tiefen ihres Privatlebens (mehr Tiefen), der Zuhörer sitzt quasi neben dem Therapiesofa und ist sich nicht immer sicher, ob er der Geschichte noch folgen kann. Das Piano darf dabei gleichberechtigt neben der Stimme mitmischen, der Instrumentalrest ist außer im breitwandigeren "Speak to Me With Love" eher Staffage: ein paar Synth-Pads und leise Beatchen alá Weilheim wollen vor allem nicht stören. Müssen sie auch nicht, die Stimme ist nämlich sehr schön und die Songs in ihrer Reduziertheit auch. Nur schade, dass man beim abschließenden "After The Storm" noch mit dem Pathos eines Motivationstrainers reingedrückt bekommt, dass es Oh Land nach dem ganzen Stress jetzt auch echt viel besser geht. Wobei das abseits der Musik natürlich absolut erfreulich ist.

Quentin Lichtblau

5 / 6

Schandmaul - "Artus" (Universal)

Schandmaul - "Artus" (Universal)

Quelle: Universal

Da ist also dieser Kapitän - man kann gar nicht anders, als ihn sich seebärig vorzustellen, meeresweiten-einsam und an wirklich allen Körperstellen schwielig. Der Kapitän ist tot oder, ganz eindeutig lässt sich das nicht dechiffrieren, bricht, falls er doch noch lebt, gerade zum alleine Sterben auf. Jedenfalls sind alle Anwesenden auf diese wettergegerbte Art von Männern aus einem früheren Jahrhundert traurig. Und Thomas Lindner, das ist der Sänger von Schandmaul, wünscht ihm deshalb: "Ahoi Kapitän, gute Reise / Mast- und Schotbruch alter Hund, lebe wohl / Halte Kurs hart am Wind mit vollen Segeln gen Ziel / Habe stets ne Handbreit Wasser unterm Kiel". Wobei "wünschen" ein wirklich wimmeriges Wort für das ist, was Lindner in einem vollbärtig-gutturalen, gischt-rauen Brumm-Gesang schnurrt. Die sehr auftrainierte Musik der Band hat da gerade mal Pause, die Stimme deshalb viel Platz zum Erzählen und Leben entwickeln. Und plötzlich wird "Artus", das neue Album der Band, zum Quasi-Hörspiel. Ist mehr Fabel oder Kostümfilm als Musik. Und damit zwar poptheoretisch immer noch furchtbar unbedeutend, aber - ganz ironiefrei - sehr rührend.

Jakob Biazza

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Fettes Brot -"Lovestory" (FBS/Groove Attack)

Fettes Brot -"Lovestory" (FBS/Groove Attack)

Quelle: (FBS/Groove Attack)

"Talent Borrows, Genius Steals", diesen Satz hat entweder Oscar Wilde bei T.S. Eliot geklaut, oder andersherum. Oder, noch wahrscheinlicher, beide bei Tocotronic. Kern der Botschaft ist, dass Themendiebstahl unter Künstlern in Ordnung geht - wenn die Idee, die man obendrauf klopft, kreativ genug ist. Wenn! Fettes Brot beweisen auf ihrem neuen Album "Lovestory" nämlich, dass man auch Themendiebstahl sauber verhauen kann, zumindest wenn man sich bei Mark Forster (Body Positivity) und Andreas Bourani (Wie geil sind wir eigentlich?) bedient. Die Songs des neuen Albums, die "iKea", "Geile Biester" und "Denxu" heißen, sind wahlweise mit melancholischem Klaviergeplänkel unterlegt, oder mit Beats, die in ihrer Schlagkraft klingen, als hätte eine Computersoundkarte von 1989 sie kurz vorm Schwächetod noch mit schwindsüchtiger Hand überreicht. Der beste Song ist eine Hommage an den Hit "Jein", nur, dass die Rapper in "Deine Mama" einer jungen Frau beibringen müssen, dass sie auf ihre Mutter stehen. Das ist altersgerecht selbstironisch - aber halt trotzdem ein bisschen peinlich, genau wie die sehr besorgte politischen Botschaft in "Du driftest nach Rechts" und das kinderreimige "Opa und Opa". 23 Jahre nach ihrem Durchbruch-Album, auf dem Fettes Brot sich besorgt erkundigten: "Hallo Hip-Hop, hoffentlich geht es dir besser", wünscht man dem deutschen Hip-Hop nicht nur, er möge schnell wieder genesen - sondern auch mal wieder was wenigstens halbwegs Neues hinbekommen.

Theresa Hein

© sz.de/biaz
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