Alben der Woche:Ewig-nostalgische Männerkraftmeierei

Saltatio Mortis spielen Musik, die klingt, wie Kerle in Gladiatoren-Filmen aussehen. Und Ufo361 vertont seine eigene Todesanzeige.

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Animal Collective - "Tangerine Reef" (Domino)

Animal Collective

Quelle: Stay High

Eine gute Weile lang war die amerikanische Avantgarde-Indiepop-Band Animal Collective die hippste Band der Welt. Das war Ende des vergangenen Jahrzehnts. Ihre Musik wehte psychedelisch-versponnen so dahin, und nach dem ersten Staunen umfing einen etwas, das man vielleicht unwiderstehliche Langeweile nennen kann. Eigentlich waren und sind Animal-Collective-Songs keine Songs, sondern Tonspuren zu irritierenden Tagträumen aller Art. Das neue Album der Band, "Tangerine Reef" (Domino), ist nun konsequenterweise auch mal wieder gar kein klassisches Pop-Album. Es ist ein "audiovisuelles Album", das zusammen mit einer Videoinstallation des Künstlerduos Coral Morphologic entstanden ist, zur Feier des "Jahres des Riffs" und aussterbender Unterwasserwelten. Tja, und was soll man sagen: Exakt so klingt es auch. Anders gesagt: "Tangerine Reef" ist eher ein Klangteppich für ein öffentliches Aquarium, in dem es allen Lebewesen ziemlich schlecht geht.

Jens-Christian Rabe

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Stefflon Don - "Secure" (Universal)

Stefflon Don

Quelle: Polydor

Ist Stefflon Don die britische Antwort auf Nicki Minaj? Das ist schon oft behauptet worden, aber natürlich hört Stephanie Victoria Allen, wie die jamaikanisch-britische Rapperin und Sängerin bürgerlich heißt, das überhaupt nicht gern. Wie alle Pop-Künstler und Pop-Künstlerinnen findet sie nämlich, dass sie absolut einzigartig ist. Für ihren genial andeutungsreichen Künstlernamen stimmt das ja schonmal. In dem steckt nämlich nicht nur der Obermobster John Gotti alias "Teflon Don", sondern auch ihr bürgerlicher Vorname sowie die Stadt, der Stefflon Don ihre musikalische Erweckung verdankt: Lon-Don. Ihr Hit "Hurtin' Me" mit French Montana hat auf Youtube schon 96 Millionen Plays. Und wie klingt das neue Mixtape "Secure" (Universal) der 26-Jährigen? Super! Dancehall-, Ragga- und Trap-Beats, scharfe Raps in derbem jamaikanischen Patois, dazu raffiniert käsige Autotune-Melodien. Neben Cardi B und Nicki Minaj reiht sich das bestens ein. Gute Ratschläge, wie man die Pussy sauber hält, wie man mit lästigen Bitches und üblen Gangstern klar- und überhaupt erhobenen Hauptes durchs harte Leben kommt, hat Stefflon Don auf ihrem Mixtape auch viele. Fangen wir mal vorne an: "Rule number one: never fuck with a gun"!

Jan Kedves

3 / 5

Death Cab For Cutie - "Thank You For Today" (Atlantic/Warner)

Death Cab for Cutie - 'Thank You For Today'

Quelle: dpa

Es ist jetzt gute fünfzehn Jahre her, da spielten Ben Gibbard und seine Band Death Cab For Cutie die schönste Rettungsmusik für weltschmerzende Teenagerherzen. Ben Gibbards Stimme war ein Wegbegleiter, fürsorglich, verständnisvoll, sie sagte: Die Dunkelheit, die du siehst, die seh' ich auch. Und welche Abgründe dieser Mann zwischen zwei einsam in der Nachtluft zitternde Gitarrenakkorde packen konnte! Heute, Jahre später und erwachsen, drängt sich beim Hören von "Thank You For Today", dem neuen Album von Death Cab For Cutie, die Frage auf: Funktioniert diese Musik nur dann, wenn sie die ganze existenzielle Verzweiflung einer Teenagerseele als Resonanzraum hat? Die Songs auf "Thank You For Today" sind beinahe artifiziell perfekt, sie pressen wie computergesteuert überkorrekt voran - und sind doch in ihrer Verneblung überraschungs- und höhepunktlos. Bis plötzlich "60 & Punk" beginnt, der letzte Song der Platte. Nur Ben Gibbards Stimme, warm und freundlich wie eine Hand auf der Schulter, und ein windschiefes Piano, das sich mehr schleppt als spielt durch dieses Lied. Und auf einmal ist alles wieder da. Ben Gibbard sieht die Dunkelheit. Und wir sehen sie auch.

Julian Dörr

4 / 5

Saltatio Mortis - "Brot und Spiele" (Universal)

Saltatio Mortis

Quelle: Universal Music

Das Unbehagen kommt früh. Das Cover löst es schon aus - eine Art römischer Mad-Max-Kampfhelm, das Visier mit der amerikanischen Flagge bemalt, eingefasst von einer (Apple-)Tastatur und oben besetzt mit einer Jesus-Statue mit Vogelkopf. Bröckelnde Heilsversprechen im letzten, gemeinsamen Gefecht vielleicht. Oder doch einfach Feindbilder. Schwer zu sagen. Deshalb kriecht das Unbehagen auch weiter. Nicht durch die Musik. Die Musik besteht weitestgehend aus Gitarren, die klingen, wie Kerle in Gladiatoren-Filmen aussehen, und Dudelsäcken, die in dieser Verwendung zeigen, dass sie der nervigste Synthesizer der Welt sind. Das mag man - oder eben nicht. Beides eher im Extrem. Das Unbehagen kommt von den Texten. "Brot und Spiele" (Universal), das elfte Studioalbum von Saltatio Mortis, ist durchtränkt von ewig-nostalgischer Männerkraftmeiersymbolik: "Halt uns Zusammen, wie die Lieder unserer Zeit", "Am Ende der Zeiten, werden wir streiten / Mit Feuer, Eis und mit Blut" und immer wieder "ein Stück Unsterblichkeit". Dazu eine weithin unklare, weil phrasig-oberflächliche Eliten- und Mainstream-Kritik: "Das Maß ist voll (...) Ich hör nur Phrasen und Parolen - gelogen wird ganz unverhohlen", "Wir sind der Stachel im Arsch der Angepassten". Das ergibt - trotz Hass-Song gegen "Besorgte Bürger" und Wehklagen über den Zerfall von "Europa" - eine ambivalente Früher-war alles-besser-Rhetorik. Man muss und kann die gut aushalten. Ob man sie in diesen Zeiten auch noch von Künstlern braucht, ist aber eine andere Frage.

Jakob Biazza

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Ufo361 - "VVS" (Stay High)

Ufo361

Quelle: Stay High

Drei Monate nachdem Ufo361 sein Debütalbum "808" veröffentlicht hatte, postete der Berliner Rapper auf Instagram seine eigene Todesanzeige. "R.I.P. Ufo361", stand da, "2010 - 2018". Er brauche jetzt Zeit für sich und für seine Familie. Noch ein Album, dann sei er raus. Das ist natürlich Legendenbildung allererster Klasse. Einerseits. Andererseits aber auch eine der spannendsten Geschichten des Deutschrap. Und die endet mit einem kleinen Coup. Für "VVS" (Stay High) konnte Ufo361 den Rapper Quavo von den viel gerühmten Migos als Feature gewinnen. "VVS" verbindet den deutschen Cloud-Rap mit der Hauptschlagader des Trap, Berlin mit Atlanta, Georgia. "VVS" ist damit ein Schwanengesang, das melancholisch in der Abendsonne glitzernde Gegenstück zur Slo-Mo-Dampfwalze von "808". Wo einst flammende Wutrede loderte, ist jetzt alles ausgebrannt. All das "ackern", es hat nichts genützt. "Deutscher Rap ist nicht meins/ Ja, ich habe es versucht/ Es war nicht leicht". Und das ist im Spiegelspiel des Hip-Hop schon ziemlich schonungslose Selbstbespiegelung.

Julian Dörr

© SZ.de/doer/biaz
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