Alben der Woche:Es wird Gift getrunken

Bruce Springsteen braucht vier Tage für ein Album, die "Gorillaz" besuchen den Rand der Wirklichkeit. Und Ferris MC? Will "Bullenwagen klauen und die Innenstadt demolieren".

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Gorillaz - "Song Machine Season One: Strange Timez" (Parlophone Label Group/Warner)

Gorillaz - 'Song Machine Season One:Strange Timez'

Quelle: dpa

"Song Machine, Season One: Strange Timez" ist das siebte Studioalbum der Gorillaz, falls Zahlen in der Welt der Gorillaz dieselbe Bedeutung haben wie in unserer. Es ist als Webserie entstanden und hat ein Gastmusiker-Kontingent in Kirchenchorstärke (unter anderem Elton John, Beck und Robert Smith). In den Videos zu "Strange Timez" laufen Musiker und Cartoonfiguren durcheinander, es wird Gift getrunken und eine Boottour an den Rand der Wirklichkeit veranstaltet. So klingt das Album auch, wild, durcheinander und doch catchy. Der Song "Momentary Bliss" (mit Slowthai & Slaves) wirft dem Hörer sein eigenes Unglück vor: "It makes me sick to think you ain't happy in your skin".

Juliane Liebert

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Adrianne Lenker: "Songs and Instrumentals" (4AD)

Adrienne Lenker: „Songs and Instrumentals“ (4AD)

Quelle: 4AD

Sogar Barack Obama hatte die New Yorker Indie-Folkband Big Thief auf seiner letzten Jahres-Playlist. Adrianne Lenker, Sängerin und Songschreiberin der Gruppe, legt nun ein etwas schrulliges Soloalbum vor, das beim ersten Hören wie eine Demo-Sammlung klingt, es aber in sich hat. Die Platte wurde während einer Social-Detox-Phase geschrieben und produziert, die Lenker im Frühjahr in einer Berghütte in Massachusetts verbrachte. Wie so oft haben ihre Songs unfassbare poetische Gravitas und fantastische Melodien, die Atmosphäre der Schaffensphase wurde auch akustisch exzellent eingefangen. Ein schwieriges, aber ungeheuer lohnenswertes Album.

Joachim Hentschel

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Major Lazer - "Music Is The Weapon" (Mad Descent)

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Quelle: SZ

Major Lazer meinen, Musik sei eine Waffe. Das Verständnis haben sie aus der jamaikanischen Soundclash-Kultur, in der konkurrierende "Soundsystems" mit Dancehall-Platten ihre Revierkämpfe austragen. Die drei Produzenten Diplo, Ape Drums und Walshy Fire treten auf ihrem neuen Album "Music Is The Weapon" (Mad Descent) allerdings eher gegen sich selbst an, also: gegen den riesigen Erfolg, den sie bislang mit Hits wie "Lean On" (mit DJ Snake) oder "Cold Water" (mit Justin Bieber) hatten. Die Sounds müssen also noch mal schärfer, noch krasser auf Hit geschmirgelt sein. Gut geht das in "Rave De Favela", einem hart eiernden Baile-Funk-Hybrid. Zu Gast hier: der brasilianische Superstar Anitta, die kürzlich mit Cardi B kollaborierte. Auch toll: die Bollywood/Baile-Funk-Kreuzung "Marijiuana", entstanden in Kollaboration mit dem indischen Produzenten Nucleya und der indischen Sängerin Rashmeet Kaur. Alles auf diesem Album klingt derbe und prall. Wenn es um die Chart-taugliche Aufbereitung und kalkulierte Prollisierung subkultureller Musikstile aus dem sogenannten globalen Süden geht, macht Major Lazer immer noch niemand etwas vor.

Jan Kedves

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Juana Molina - "ANRMAL" (Crammed Discs)

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Quelle: SZ

Wenn künftige Generationen einmal fragen, "Mama, Papa, was ist ein Live-Konzert?", wird man ihnen als erstes das Album "The Concert In Central Park" von Simon & Garfunkel (1981) vorspielen, klar. Das Johlen des in Trance gerissenen Publikums, dieses euphorisierte Reingröhlen aus den vordersten und hintersten Reihen - das Album dokumentiert sehr gut das Erlebnis eines gelungenen Live-Auftritts. Ach, damals, als es noch Publikumsmassen geben durfte! Als neuer Beleg für die Kraft des Live Konzerts darf nun "ANRMAL" (Crammed Discs) gelten, das neue Album von Juana Molina. Die argentinische Sängerin und Gitarristin ist bekannt für ihren hypnotisch-spiralisierenden Lo-Fi-Punk-Rock. Das hier festgehaltene Konzert spielte sie mit ihrer Band im März 2020 in Mexiko, wenige Tage vor dem globalen Corona-Lockdown. Sphärengesänge schichten sich bis unter die Decke, die Schlagzeug-Freak-Outs scheppern noch exzessiver als auf Molinas Studio-Aufnahmen. Darunter liegt dieses konstante Brodeln der beglückten Fans. Ein Brodeln, das sich in der Enge umso besser durch den Raum wühlt. Wann wird man so etwas wieder erleben?

Jan Kedves

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Ferris MC - "Missglückte Asimetrie" (Arising Empire)

Ferris MC - "Missglückte Asimetrie" (Arising Empire)

Quelle: Arising Empire

Lustiger, böser, deutscher Rapper, was nun? Ferris MC gefällt sich, seit er nicht mehr Mitglied von Deichkind ist, ganz gut in der Rolle des linken Losers, der nicht mehr viel auf die Reihe kriegt. Dem aber immer noch feine Reime einfallen. Auf seinem neuen Album "Missglückte Asimetrie" (Arising Empire) kann das ganz lustig werden. Etwa ließe sich der hin und her geschrieene Punkrock-Song "Bul..." als Addendum zur sommerlichen Aufregung um die "Arbeitsunfähig"-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah in der Taz hören. Ferris MC möchte in dem Song die Polizei nicht abschaffen und auch nicht auf eine Deponie verfrachten. Nein, zusammen mit der heftig schrammelnden und gröhlenden Hamburger Zecken-Rap-Band Swiss und die Andern möchte er Polizei-Autos klauen und damit durch die Gegend rasen: "Wo wollen wir hin? Auf die Reeperbahn! Was wollen wir tun? Bullenwagen klauen und die Innenstadt demolieren!"

Jan Kedves

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Actress - "Karma & Desire" (Ninja Tune)

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Quelle: SZ

Der britische Produzent Darren J. Cunningham alias Actress ist in der elektronischen Musik berühmt für fein ziselierte, manchmal auch wunderbar stolpernde Tracks. Sein neues Album "Karma & Desire" (Ninja Tune) verbindet Sound-Collagen, Ambient-Flächen und sorgsam abgewogene Zitate aus der Geschichte der frühen analogen Techno- und House-Musik. Auffällig ist die große Brüchigkeit dieser Musik. Eindrucksvoll etwa in "Walking Flames" mit dem Sänger Sampha. Nichts auf diesem Album klingt abgeschlossen, alles bleibt offen. Das ist, in diesem Fall, aber komischerweise der Reiz dieser Platte.

Jan Kedves

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Bruce Springsteen: "Letter To You" (Sony)

Bruce Springsteen - ´Letter To You"

Quelle: dpa

Mit seinem 20. Studioalbum hat der letzte große amerikanische Rockstar schon vor Veröffentlichung einen Rekord aufgestellt: Nur vier Tage brauchte Bruce Springsteen mit seiner seit 45 Jahren schlachterprobten E Street Band, um die zwölf Songs zu produzieren. Corona oder der US-Wahlkampf spielen hier keine Rolle, auf "Letter To You" geht es ums Ende der großen Rock'n'Roll-Ära und die Frage, was vom Erbe der 60er und 70er bleiben wird, wenn die Musiker irgendwann nur noch als Geister durch die Mythen schweben. Inhaltlich ist das toll, musikalisch leider nur ein solides, eher ereignisarmes Springsteen-Album. Ein treuer Begleiter, der das Risiko scheut.

Eine ausführliche Rezension gibt es hier.

Joachim Hentschel

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Quelle: Warner Music Group

Falls Zahlen in der Welt der Gorillaz dieselbe Bedeutung haben wie in unserer, haben sie eben ihr siebtes Album veröffentlicht.

Mehr zum Thema Pop gibt es hier.

© SZ/biaz
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