Süddeutsche Zeitung

Alben der Woche:Elder-Statesman-Reggae mit einem Herz aus Gold

Sting und Shaggy spielen sanften Offbeat im Schloss Salem. Außerdem: die beste Stuttgarter Band der Welt und ein brodelndes Manifest gegen die Arriviertheit.

Die Nerven - "Fake" (Glitterhouse/Indigo)

Wer über den Echo in diesen Tagen mal wieder den Glauben an die deutsche Popmusik verloren hat, dem sei unbedingt "Fake" (Glitterhouse/Indigo) empfohlen, das neue Album von Die Nerven. Auf ihrem vierten Album hat die beste Stuttgarter Band der Welt die Punk-Attitüde ein wenig (wirklich nur ein klein wenig, versprochen!) zurückgenommen und ihren Sound geöffnet. Zwischen New-Wave-Synthies wabern immer noch mit scharfer Kante gespielte Gitarren. Im Musikvideo zu "Angst", dem Song, der der Band 2014 ihren Durchbruch bescherte, verkörperten Dirk von Lowtzow und Tocotronic die Band. Heute verwandeln sich Die Nerven immer mehr in Tocotronic. Die grandiose Single "Niemals" ist so eine klassische lowtzowsche Ablehnungsgeste. Das Schlagzeug rumpelt voran, die offenen Gitarrenakkorde purzeln in den Song hinein, und Sänger Max Rieger singt: "Finde niemals zu dir selbst, niemals, niemals, niemals." Ein Manifest gegen die Arriviertheit. Der Rest ist mal wütend brodelnde, mal zärtlich verlorene Gitarrenmusik. Und auch schon wieder so erstaunlich gut, dass man sich fragt, was da jetzt noch kommen soll.

Julian Dörr

A Perfect Circle - "Eat The Elephant" (BMG/Warner)

Pop ist eine schnelllebige Kunst, aber manchmal muss man trotzdem eine Ewigkeit warten. 37 Jahre auf Brian Wilsons "Smile" etwa, immerhin 15 Jahre auf "Chinese Democracy" von Guns n' Roses. Vor 14 Jahren ist das letzte Album von A Perfect Circle erschienen, jener Alternative-Rock-Prog-Metal-Supergroup, die sich darauf verstand, komplizierte Frickelmusik für Menschen zu spielen, die komplizierte Frickelmusik eigentlich nicht mögen. Das neue Album "Eat The Elephant" (BMG/Warner) ist nun gar nicht so kompliziert, dafür aber auch gar nicht so liebenswert. Zusammengeklatschte Genreversatzstücke in einer bitterkalten Produktion, in der immer irgendetwas klirrt, sei es das Piano, das Glockenspiel oder die Stimme von Maynard James Keenan. Lieber schnell vergessen und auf das neue Album von Keenans Hauptband Tool warten. Das ist ja auch erst seit zwölf Jahren fällig.

Julian Dörr

Sting & Shaggy - "44/876" (Interscope/Universal)

Eine Veröffentlichung aus der Kiste mit den Merkwürdigkeiten der besonderen Art: Sting und Shaggy haben eine gemeinsame Platte gemacht. Sie heißt "44/876" (Interscope/Universal) und klingt genauso wie die Orte, an denen Sting und Shaggy sie im Sommer aufführen werden: sanfte Bläser für den Barockgarten des Füssener Festspielhauses, Offbeat im Schloss Salem. "Der Geist von Bob Marley verfolgt mich", singt Sting. Das könnte schauerlich sein, ist aber Elder-Statesman-Reggae mit einem Pop-Herz aus Gold.

Julian Dörr

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SZ vom 18.04.18/doer
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