Süddeutsche Zeitung

Alben der Woche:Eine Ode an den Penis, der nicht mehr will

Derek Smalls, bekannt aus dem Film "This Is Spinal Tap", besingt die geriatrischen Leiden eines alternden Metal-Helden. Und DJ Koze war vielleicht noch nie besser als auf "Knock Knock".

Von den SZ-Popkritikern

DJ Koze - "Knock Knock" (Pampa)

Dafür, dass sie der Soundtrack des organisierten Kontrollverlusts ist, ist elektronische Clubmusik oft eine erstaunlich strenge, schwere Angelegenheit. Aber gut. Aus Spaß wurde Ernst in den Höhlen des Hedonismus dieser Welt, und längst müssen alle erstmal ernsthaft zusehen, dass sie drei Tage wach bleiben. Die Musik von Stefan Kozalla alias DJ Koze flatterte in dieser Welt dagegen immer viel leichter herum. Ohne sich dabei allerdings an die Albernheit zu verkaufen - oder an den billigen Dance und seine käsigen Trottel-Refrains. Auf dem letzten Album "Amygdala" hieß 2013 ein Song "Nices Wölkchen" und exakt so, wie einem dieser Titel durch die Birne über die Zunge aus dem Mund fällt, exakt so schwebt die Kunst dieses klügsten und cleversten aller Stimmungspuzzlers dahin. Und jetzt kommt das Beste: Vielleicht war er auf einem ganzen Album noch nie so gut wie auf seiner famosen neuen Platte "Knock Knock" (Pampa), auf dem einem mit Kurt Wagner von Lambchop, Róisín Murphy, Speech von Arrested Development oder José González auch noch ein paar der hinreißendsten Indiepopsänger der Gegenwart auflauern.

Jens-Christian Rabe

Derek Smalls - "Smalls Change (Meditations Upon Ageing)" (BMG)

Viele Heavy-Metal-Musiker kommen allmählich ins geriatrische Alter. Warum also nicht mal darüber singen, wie kränkend es ist, wenn der eigene welke Körper mit der diabolischen Wut und Sexlust nicht mehr klarkommt? Genau dies tut Derek Smalls auf "Smalls Change (Meditations Upon Ageing)" (BMG). Smalls heißt in Wirklichkeit Harry Shearer und ist Comedian, legendär wurde er als Autor und Darsteller des Films "This Is Spinal Tap" (1984), der brüllend komischen "Mockumentary", in der eine abgehalfterte Metal-Band namens Spinal Tap breitbeinig an ihren Instrumenten und Haaren fummelt und gegen ihre Pleite anspielt. 34 Jahre später ist die Kunstfigur Derek Smalls Mitte 70 und gesundheitlich am Ende, aber noch immer beliebt, weswegen hier so berühmte Musiker wie Derek Crosby, Joe Satriani oder Donald Fagen mitspielen. Smalls' Meditationen über das Altern fallen wie gehabt laut aus: "Memo To Willie" ist eine hervorgegrummelte Ode an den Penis, der ohne Pille nicht mehr will. Der "Butt Call" ist kein Date mit einem Groupie wie früher, sondern ein eingehender Anruf, weil sich irgendwo wieder jemand auf sein Handy gesetzt hat. Am lustigsten: "She Puts The Bitch In Obituary" - ein Witz, der nur richtig ausgesprochen funktioniert. Smalls zerlegt den Priapismus der Metal-Szene, wie er es auch in "This Is Spinal Tap" schon getan hat: Da entpuppte sich seine fette Beule bei einer Flughafenkontrolle als in Alufolie eingewickelte Salatgurke.

Jan Kedves

Leon Bridges - "Good Thing" (Sony)

Leider kein großer Wurf ist das neue Album "Good Thing" (Sony) des Gospel- und Soulsängers Leon Bridges aus Texas. Der 28-Jährige hat eine wunderbare Stimme und verkörpert Retro-Soul originalgetreu bis in die Gesten und Outfits. Gut gelang ihm 2015 der Hit "Coming Home" (17 Millionen Klicks auf Youtube). Sein neues Album fängt auch gut an: "Bet Ain't Worth The Hand" ist eine aparte Sixties-Soul-Ballade, danach folgt "Bad Bad News", ein neuer Sound für Bridges. Kein Retro-Soul, sondern eine langsame House-Nummer, die stark an das Pariser St. Germain-Projekt aus den Neunzigerjahren erinnert. Damals sampelte St. Germain alte amerikanische Blues-Platten und machte loungige House-Tracks daraus. "Bad Bad News" klingt so, als eigne sich Bridges diese Blues-Aneignung an. Interessant! Danach folgt aber nur noch Beliebiges. "Beyond" sticht dadurch hervor, dass Bridges im Refrain so konsequent an den höheren Noten vorbeischrammt, dass man sich fragt, warum der Produzent nicht eingegriffen hat. Verbieten sich digitale Tonhöhenkorrekturen in Bridges' Retro-Universum?

Jan Kedves

Cut Worms - "Hollow Ground" (Jagjaguwar)

Retro-Fans deshalb eher hier entlang: Max Clarke, der sich als Songwriter Cut Worms nennt, hat gerade ein ganz wunderbar überflüssiges Debüt-Album produziert. Alles, wirklich alles auf "Hollow Ground" (Jagjaguwar) klingt wie etwas, das jemand anderes vor ein paar Jahrzehnten schon mal so oder so ähnlich gemacht hat. Wahrscheinlich besser. Vielleicht aber auch nur früher. Wie ein etwas weniger näselnder Dylan, der mit The Band schlecht bis gar nicht asphaltierte Nebenstraßen entlangtrottet. Wie die Everly Brothers, denen jemand ein schrammeliges Garage-Make-Over verpasst hat. Wie die Beatles, zur Zeit von "Rocky Raccoon", die ihren "Love-Me-Do"-Ichs erklären, dass LSD schön ist, aber auch viel Schaden anrichten kann. Wie die Kinks, die sich in die dunklen Ecken eines leicht mysteriösen Antiquitätenladens verlaufen haben und zwischen dem ganzen Plunder vom Spieltrieb übermannt wurden. Allerdings ist das alles so herrlich liebevoll zusammengepuzzelt, hingeschmalzt und aufgenommen, dass es zwar immer noch niemand braucht - aber dringend jeder mal gehört haben sollte. Wer kennt denn heute schließlich noch wirklich die Kinks? Jakob Biazza

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