Alben der Woche:Drogen, Drogen, Drogen - und Liebe!

Dua Lipa gibt die Alphafrau, Childish Gambino wäre gern Kendrick Lamar. "Pearl Jam" versuchen Neues im Rock und Sufjan Stevens will aufregenden New Age machen. Irre Zeiten.

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Legowelt - "Tips For Life" (Nightwind Records)

Legowelt

Quelle: Nightwind Records

Der Niederländer Danny Wolfers, besser bekannt als Legowelt, hat ein Faible für die Low-Fi-Sättigung von Kassettenrecordern. Er lässt seine Produktionen deshalb vor dem endgültigen Mastering durch alte Geräte vom Flohmarkt laufen. Die stilistische Bandbreite der Stücke auf "Tips for Life" (Nightwind Records) reicht dann zwar von trap-artigen Instrumentals, die man sofort auch als Grundlage für das nächste Drake-Album verwenden könnte ("Buying ZIPdisks in Memphis"), bis zur Den-Haag-Variante von Detroit-Techno ("In the Dominion of Melchezedik"), von Wolfers als "Dutch Polder Techno" bezeichnet. Verbindendes Element bleibt aber stets die staubige Ästhetik, die den Hörer sofort auf den Rücksitz eines vollbesetzen weißen Golf circa 1994 beamt. Zwischen den fürchterlich hässlich bemusterten Sitzbezügen klemmen alte Chips, alle rauchen komisches Zeug und der große Bruder am Steuer dreht das Tapedeck auf, bis das Handschuhfach scheppert. Großartiges Gefühl. Wer das in der sterilen Heim-Quarantäne gerade vermisst, kann sich "Tips for Life" zu einem selbstgewählten Preis auf Legowelts Bandcamp-Seite herunterladen.

Quentin Lichtblau

2 / 9

Dirty Projectors - "Windows Open EP" (Domino Recording)

Dirty Projectors - "Windows Open EP" (Domino Recording)

Quelle: Domino Recording

Diesmal keine großen vertrackten Indie-R'n'B-Symphonien von Eklekto-Pop-Genie Dave Longstreth, sondern vier zarte, fast schwebende Folk-Songs, allesamt grandios beiläufig elegisch gesungen von Bandmitglied Maia Friedman. Musik zur Zeit. Musik für zu Hause. Musik zum Aus-dem-Fenster-schauen-und-dem-Hund-und-der-leicht-gebückten-alten-Dame-hinterhersehen, der mit dem eleganten braunen Mantel und der hübschen pinken Wollmütze. Wenn man dazu Maia Friedmans auf "On the Breeze" oder "Overlord" hört, sieht es dann nicht fast so aus, als zählte sie versonnen ihre wenigen Schritte im Freien für den Tag?

Jens-Christian Rabe

3 / 9

Sufjan Stevens - "Aporia" (Asthmatic Kitty Records)

Sufjan Stevens - "Aporia" (Asthmatic Kitty Records)

Quelle: Asthmatic Kitty Records

Sufjan Stevens, der große Formwandler des Pop, ist (mal wieder) bei so etwas wie New Age angekommen und das könnten grausige Nachrichten sein. Der Multiinstrumentalist aus Detroit neigt schließlich dazu, sehr ernst zu nehmen, was er gerade vermisst. "Enjoy Your Rabbit" (2001) widmete sich entsprechend gewissenhaft den chinesischen Tierkreiszeichen. 2009 untersuchte er den "Brooklyn-Queens-Expressway". Sein womöglich wirklich einst ernst gemeinter Plan, jeden amerikanischen Bundesstaat auf einem eigenen Album musikalisch zu durchdringen, brachte immerhin die zwei tief in der Seele Amerikas wühlenden Werke "Michigan" und "Illinois". 2015 verarbeitete er auf "Carrie & Lowell" Leben und Sterben seiner Mutter in wirklich herzzerfetzend schönen, geisterhaften Folk-Wunderwerken. Und jetzt erforscht er, zusammen mit seinem Stiefvater Lowell Brams, also das Flirren und Wabern und Treiben und Fließen und Morphen und Umspülen von allerlei elektronischem Klangkram. Nicht einfach so natürlich. Er verbiegt und verdreht sein Klangmaterial vortrefflich, übergießt es mit Säure und poliert es abschließend doch wieder auf Hochglanz. Und das ergibt dann auf jeden Fall die beste Musik für Yoga-Retreats und Spa-Tempel, die man je gehört hat.

Jakob Biazza

4 / 9

Pearl Jam - "Gigaton" (Universal)

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Quelle: SZ

"Gigaton" (Universal) hält, was man sich vom elften Album von Pearl Jam versprochen hat: immer noch Unmut über den Zustand der Welt, immer noch Rock, oder das, was davon 30 Jahre nach Grunge noch übrig ist. Auf dem anachronistischen Terrain haben sich Pearl Jam eine eigene Nische erfunden: Sie probieren darin hier und da etwas Neues, aber auch nicht zu viel, sie sind politisch durchaus explizit, aber nie richtig zornig. Und Eddie Vedder singt über die Schieflage der Welt (Klima! Hass! Ausbeutung!), was wir alle ahnen: "It's going to take much more than ordinary love / To lift this up" - nur mit ein bisschen Liebe wird man das Ruder nicht rumreißen.

Annett Scheffel

5 / 9

Sorry - "925" (Domino)

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Quelle: SZ

Unbedingt empfehlen muss man in dieser Woche eine andere Platte: Dem Londoner Duo Sorry gelingt auf ihrem Debütalbum "925" (Domino) Erstaunliches: Die Songs bedienen sich zwar aus der Vergangenheit - es gibt Grunge-Riffs, Trip-Hop-Rhythmen, Glam und Indierock -, haben aber trotzdem eine rätselhaft originelle und irgendwie dystopische Textur. Die ergibt sich aus dem Aufeinandertreffen von eingängigen Melodien und nihilistischer Grundstimmung. "I want drugs and drugs and drugs and drugs, I want love", geht der Refrain von "More": Drogen, Drogen, Drogen und Liebe. Noch besser sind aber die vielen unerwarteten Momente: etwa das schlenkernde Saxofon am Anfang von "Right Round The Clock", das später mit einem Tears-For-Tears-Zitat endet, oder der Würgelaut, ein saftiges "ueeerrghhh", das als rhythmische Interpunktion den Refrain von "Starstruck" einleitet.

Annett Scheffel

6 / 9

Little Dragon - "New Me, Same Us" (Ninja Tune)

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Quelle: SZ

Neues gibt's auch von Little Dragon. "New Me, Same Us" (Ninja Tune) heißt das sechste Studioalbum des schwedischen Bandprojekts um Sängerin Yukimi Nagano. An die Klasse der Platte, die sie 2011 berühmt machte, "Ritual Union", kommen die neuen Songs allerdings leider wieder nicht heran. Damals hing ihr geschmeidiger Synthie-R'n'B-Pop noch in der aufregenden Schwebe zwischen Selbsterfindung und Mainstreamkompatibilität. Auf "New Me" machen sie immer noch alles richtig - aber eben doch auch etwas zu sehr. Oft klingt alles so, als wäre die Band spätnachts zu pluckernden House-Beats mit der Janet Jackson der neunziger in den Whirlpool gestiegen. Andererseits ist für diese Art von Eskapismus gerade ja auch irgendwie die Zeit.

Annett Scheffel

7 / 9

Childish Gambino - "3.15.20" (Sony Music)

Childish Gambino

Quelle: Wolf+Rothstein/RCA Records

Donald Glover alias Childish Gambino lieferte 2018 mit "This Is America" genau die Hymne, die die USA im Zeitalter von Trumpismus, Polizeigewalt, weißem Terror und Waffenwahnsinn brauchten. Dass er ein begnadeter Comedian und vermutlich ein ebenso begnadeter Schauspieler ist - alles unbenommen. Aber was er mit seinem neuen Album "3.15.20" (Sony Music) will, wird nicht so klar. Außer vielleicht, dass er etwas Ähnliches machen wollte wie Kendrick Lamar mit "untitled unmastered"? Lamars Album bestand aus übriggebliebenen Songs, hatte ein monochromes Cover und Zahlen als Songtitel - und war fantastisch. "3.15.20" klingt, als bestünde es aus übriggebliebenen Songs, es hat ein monochromes Cover und Zahlen als Titel - und ist langweilig. Na gut: Dass Glover in die Reime von "12.38" eine Referenz an die afrofeministische Autorin bell hooks und deren Buch "All About Love" einbaut, ist eine schöne Überraschung. Aber ansonsten kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass man hier eine deadpan-komödiantische Simulation von Pop hört, oder: ein fahriges Gemisch aus Kanye West, Frank Ocean, "Black Panther"-Soundtrack und Queens "Bohemian Rhapsody", das der Schöpfer selbst nicht so ganz ernstnimmt. In "39.28" singt er im gekonnten Prince-Falsett "I say thank you, I say thank you", dann kommt ein 50(!) Sekunden langes Fade-out. Schon zu Ende? Nö, das Album ist erst bei der Mitte. Aber die Lust, es weiter anzuhören, ist irgendwie vorbei.

Jan Kedves

8 / 9

Dua Lipa - "Future Nostalgia" (Urban/Universal Music)

Dua Lipa

Quelle: Urban/Universal Music

"Wenn du nicht mit ansehen willst, wie ich mit jemand anderem tanze, dann fang jetzt besser nicht damit an!", singt Dua Lipa in ihrer aktuellen Knaller-Single "Don't Start Now". Ein schöner Neuzugang im Pop-Regal mit der Aufschrift: Hits, die raffiniert mit verwirrenden Doppelverneinungen gereimt sind. Auch ansonsten kann man sagen, dass das zweite Album "Future Nostalgia" (Universal) der 24-jährigen Britin mit kosovo-albanischen Wurzeln gar nicht dumm, sondern ziemlich schlau ist. Avantgarde braucht man hier halt nicht zu erwarten, klar. Lipa mimt in Songs wie "Break My Heart" und "Good In Bed" überzeugend die Alphafrau, die sich nun auch mal ein bisschen Verletzlichkeit gönnt. Das Songwriting ist durch sämtliche zur Verfügung stehenden Hit-Rechenmodelle abgesichert, was durchaus faszinieren kann. Beim Sound wurde strikt darauf geachtet, das Beste der Achtziger und der Neunziger mit dem Besten von heute so zusammenzurühren, dass die Börse beruhigt ist. Aber es macht halt in der Corontäne auch einfach gute Laune! Man will sich doch zu Hause fit halten, es ist ja nicht ganz ausgeschlossen, dass man im Sommer noch einen Beachbody brauchen könnte. Die Single "Physical", die zum einen straff auf Olivia Newton-Johns gleichnamigen Aerobic-Hit anspielt und zum anderen auf "Maniac"-Tempo (Michael Sembello) beschleunigt wurde, taugt da schon sehr gut.

Jan Kedves

9 / 9

MTV EMAs 2019 - Show

Quelle: Getty Images for MTV

"Wenn du nicht mit ansehen willst, wie ich mit jemand anderem tanze, dann fang jetzt besser nicht damit an!": Dua Lipa bei den MTV EMAs 2019.

Alle Folgen der Alben der Woche gibt es hier.

© sz.de/biaz
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