Alben der Woche:"Ob das noch lange gut geht? Ey, hoffentlich!"

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Sehr enthusiastisch gesungen, ganz viel Mojo in der Stimme und womöglich auch so etwas wie Wut: Beth Hart singt "Led Zeppelin". (Foto: Roxanne De Roode)

Neue Musik von Casper, Hannah King, DJ Lag, Beth Hart und Swampp Dogg - und die Antwort auf die Frage, wie man im Pop würdevoll altert.

Von den SZ-Popkritikern

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DJ Lag - "Meeting With The King"

Zuletzt gab es immer wieder Meldungen, dass inzwischen erheblich weniger neue Musik gehört wird (also Songs, die jünger als 18 Monate sind), als noch vor wenigen Jahren. Das bedeutet nicht, dass nichts Neues mehr passiert. Es ist nur womöglich nicht mehr ganz so häufig und es fällt einem nicht mehr zwangsläufig bequem direkt vor die Füße, zumal dann nicht, wenn man nicht mehr der Jüngste ist. Es ist insbesondere für alternde Hipster und sonstige Pop-Nasen mitunter nicht ganz leicht, sich das einzugestehen. Deshalb mache man den Test mit der guten alten Frage: Ist die Welt so langweilig - oder bin ich Buddhist geworden? Andere Option: Man höre einfach erst mal ins neue Album "Meeting With The King" (Ice Drop / Black Major) von DJ Lag hinein. Der südafrikanische DJ und Produzent, der bürgerlich Lwazi Asanda Gwala heißt, ist Pionier von Gqom, der jüngsten, in den mittleren Zehnerjahren in Durban aufgetauchten elektronischen Tanzmusik, die so abstrakt und nervös ruckelt und doch unwiderstehlich rollt. Jens-Christian Rabe

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King Hannah - "I'm Not Sorry, I Was Just Being Me"

Apropos neue Könige: Die Sängerin Hannah Merrick und der Gitarrist Craig Whittle aus Liverpool sind die Band King Hannah und ihr Debütalbum "I'm Not Sorry, I Was Just Being Me" (City Slang) ist ein wunderbar tagtraumhaft verwehtes Stück Indie-Pop geworden. Denkbar weit entfernt natürlich vom ganz Neuen. Weniger allerdings ein Beweis dafür, dass der alte Pop den neuen umbringt, als - im besten Sinne - dafür, wie fruchtbar das Neue das Alte macht. Man höre nur "A Well-Made Woman" oder "All Being Fine" oder "Big Big Baby". Düster dahingeraunt durch diverse zäh-verzerrte Gitarrenwolken, und doch nicht ohne Swing. Wie der Soundtrack zu einem David-Lynch-Neo-Noir-Film, in dem der Horror des Unterdrückten und Irrationalen unserer Existenz mal nicht zur Verzweiflung getrieben, sondern zum Tanz gebeten wird. Jens-Christian Rabe

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Casper - "Alles war schön und nichts tat weh"

Auf dem neuen Album von Casper "Alles war schön und nichts tat weh" (Eklat Tonträger / Sony) hat Produzent Max Rieger dem 39-jährigen Künstler geholfen, weitere Facetten zu zeigen (Gesang), ohne vorhandene zu schwächen. Wieder gibt es eine für Rap beachtliche musikalische Breite, in der ein Feature mit Lena Meyer-Landrut genauso seinen Platz hat wie lupenreine Beats und Rock-Gitarren. In den Texten taucht zum Beispiel ein Verrückter mit "Armageddon"-Schild um den Hals auf, der brüllt, das Ende sei nah. Es gibt außerdem mit "Billie Jo" einen Antikriegssong, ein Stück über mentale Gesundheit ("TNT", mit Rapper Tua) und die Klimakatastrophe schließlich bringt bei Casper mehr als nur "Das bisschen Regen". In der Summe ergibt das eine üppige Reiseapotheke mit allen gegenwärtig nötigen Mittelchen zur Stabilisierung. Und Heimat im Hören. Casper entwickelt nach wie vor seine ganz eigenen Energien, nicht nur in zum Beispiel dieser programmatischen Textzeile: "Ob das noch lange gut geht? Ey, hoffentlich." Cornelius Pollmer

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Beth Hart - "A Tribute To Led Zeppelin"

Beth Hart, die große kalifornische Blues-Rock-Stimme, widmet Led Zeppelin, der enorm großen britischen Blues-Rock-Band, ein Album. Also was heißt widmen: Auf "A Tribute to Led Zeppelin" (Provogue /Mascot Label Group) finden sich die riesigsten, größten Hits der Band - sehr enthusiastisch gesungen, ganz viel Mojo in der Stimme und womöglich auch so etwas wie Wut. Sehr originalgetreu damit also auch, und man könnte sich nun natürlich fragen, warum man dann nicht direkt ein Zeppelin-Best-of auflegen soll? Nun, stimmt schon. Andererseits macht es kurzzeitig ein bisschen Spaß zu sehen, wie eine Frau in der Breitbeinigkeit mit dem Ur-Rock-Reptil Robert Plant mithalten kann. Jakob Biazza

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Swamp Dogg - "I Need a Job... So I Can Buy More Auto-Tune"

Mehr als würdevoll zu Altern ist im Pop den wenigsten gegeben. Und das ist ja auch schon schwer genug in einer Kunst, in der es darum geht, dem Ehrwürdigen schön einzuheizen und derweil vor aller Welt mit voller Wucht so zu tun, als traue man keinem über 30. Was soll man da erst tun, wenn man jenseits der 80 ist und nicht aufhören muss oder möchte? Tja, sagen wir so: Zum Beispiel einfach mal das, was der 1942 geborene amerikanische Soulsänger Jerry Williams Jr. alias Swamp Dogg so tut: Im achtundsechzigsten Karrierejahr ein Album aufnehmen mit dem Titel "I Need a Job... So I Can Buy More Auto-Tune" (Don Giovanni Records) - und das dann aber nicht so grandseigneurhaft kritisch meinen, sondern wirklich mit ganzem Herzen mit Auto-Tune singen, diesem teuflischen Tonhöhenkorrekturprogramm. Der Geißel des modernen Pop. Ursprünglich erfunden wurde es, um Menschen, die nicht singen können, unbemerkt so klingen zu lassen, als könnten sie es. Wurde dann aber natürlich alles fröhlich übertrieben und der Gesang flatterte plötzlich gespenstisch roboterhaft kristallin in alle Richtungen. Cher machte den Effekt mit ihrem Hit "Believe" Ende der Neunziger weltberühmt. Kanye West gelang es 2008 auf seinem Album "808s & Heartbreak" sogar, ganz große Popkunst daraus zu machen. Im klassischen Oldschool-Soul kam der übertriebene Auto-Tune-Einsatz nie an, keine Popkunst verehrt die Stimme schließlich so sehr als Medium des Herzens. 2018 nahm sich Swamp Dogg der Sache auf "Love, Loss & Autotune" dann kongenial an. Nun also noch einmal und kein bisschen schlechter. Man höre nur die Single "I Need A Job". Ewiger Zauber des Pop: Etwas sehr Lächerliches so ernst nehmen bis man damit über sich selbst lachen kann. In einer besseren Welt wäre das jetzt schon der größte neue Sommerhit aller Zeiten. Jens-Christian Rabe

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