Süddeutsche Zeitung

Neue Musik:Das sind die Alben der Woche

Lesezeit: 3 min

Todesursache Langeweile und Scham: Die "No Angels" haben neue Songs aus alten Songs gemacht. Gute Musik gibt es aber auch: von Billy Gibbons, Paul Gilbert, Chris Thile und sogar aus Deutschland.

Telquist - "Wild Haired" (Blickpunkt Pop)

Zum Reinkommen erst mal eine kleine, feine Platte der Woche - "Wild Haired" von Telquist. Aus Deutschland. Bayern sogar. Und trotzdem: viel Ambition. Großer Pop-Habitus in den Refrains. Melodien mit Drang in die Küchen der Menschen, aber drumherum fizzelig gefilterte Drums, verbeulte Synthies, fein verbogene Strophen. Bisschen sommerschwüler Ennui, bisschen schluffiges Kifferleiden an der Welt. Musik für Menschen, die sich, wenn der Sommer das jetzt dann bald diktiert, zur Not auch an den Badesee setzen - aber eher in langen Hosen und auch ansonsten erträglich gekleidet. Jakob Biazza

Paul Gilbert - "Werewolves of Portland" (Mascot)

Paul Gilbert hatte als Teil der Band Mr. Big vor inzwischen auch schon wieder ganz schön vielen Jahren den sehr großen Hit "To Be With You". Danach teilte er die Gitarren-Welt solo in zwei Zeitrechnungen: Prä- und Post-Gilbert, was von den Rechnenden nicht nur schmeichelhaft gemeint war. Die Markscheide Gilbert trennt das Fach der (E-)Gitarre schließlich in jene Schüler, die mit ihrem Instrument noch Musik machen. Und die Shredder (deutscher Fachterminus: Gniedler) - Menschen also, die, egal, was alle anderen tun, 64-Quintolen bei 160 bpm spielen. Popistisch gesehen ein relativ ekliges Völkchen natürlich. Allerdings sollte man (Pop-)Tugend auch hier nicht mit dem Mangel an Gelegenheiten verwechseln. Will sagen: Wenn wir könnten, würden wir halt doch alle ...

Jedenfalls: Gilbert selbst ist, was die Gitarren-Poserei betrifft, noch ein Wesen aus der Zwischenwelt. Es gibt ein Video, das das sehr schön verdeutlicht: Bei irgendeinem sehr gut besuchten "Guitar War" im Jahr 2007 spielt er ein ungefähr zu gleichen Teilen steinblödes und wirklich grandioses Live-Mash-up aus "To Be With You" und "Aint Talkin' Bout Love" von Van Halen, blendet die Ballade also mit dem Oberton-Gitarren-Riff zusammen, gniedelt und singt, tappt und schmachtet also irgendwie gleichzeitig - was eigentlich alles gar nicht zusammengehen dürfte, aber hier eben doch seltsam zusammengeht. Sein neues Album "Werewolves of Portland" (Mascot) funktioniert ähnlich: blutleere Technik-Angeberei neben sehr intensiv gefühltem Solo-Geschmachte. Metal-Jazz, durchbohrt von Groove-Rock. Slide-Guitar-Schönheit zerfetzt von Sweeping-Wahnsinn. Blues neben Prog-Rock neben Pop-Lieblichkeit neben Whammy-Gefiepe. Muss man im Detail nicht verstehen, den Gitarristen-Kauderwelsch. Im Grunde heißt es einfach: Es ist sehr schnell, es ist ziemlich kompliziert, es ist phasenweise unhörbar - aber auf verwirrende Weise ist es trotzdem beeindruckend und manchmal fast schön. Jakob Biazza

Chris Thile - "Laysongs" (Nonesuch Records)

Chris Thile wiederum ist ein Genie. Heute mal nicht in diesem "Der Popkolumnist braucht dringend noch einen Superlativ"-Sinn, sondern quasioffiziell zertifiziert. Der Mandolinist war MacArthur Fellow, also Träger eines Preises, den der amerikanische Volksmund "Genius Grant" nennt. Dotierung damals (2012): 500 000 Dollar. Inzwischen sind es sogar 625 000 Dollar, die, Achtung: mal keine Belohnung für erbrachte Leistungen sein wollen, sondern eine Investition in "Originalität, Einsichten und Potenzial" der Träger. Thile hat seither unter anderem Bach auf der Mandoline interpretiert - allein und mit Menschen wie Yo-Yo Ma. Er hat Folk mit Marcus Mumford gemacht, Jazz mit Brad Mehldau, Bluegrass mit seinen Punch Brothers. Jetzt macht er auf "Laysongs" (Nonesuch Records) solo eine Art mild verfrickelten, spirituellen Emo-Folk-Pop. Ein winziges bisschen zu verkopft womöglich, um beim ersten Hören direkt ins Herz zu fließen. Aber dann! Jakob Biazza

No Angels - "20" (Warner Music)

Grundsätzlich wird jede Kritik bis hierhin aber ohnehin zur Beckmesserei. Die No Angels haben schließlich ein "neues" Album: "20" (Warner Music) - irgendwas mit Jubiläum und "Celebration-Versionen" alter Songs. Klingen tut es jedenfalls alles, als hätte man bei der Begleitautomatik eines mittelteuren Keyboards das Pre-Set "Deutschdancepop 2000" gewählt und wäre dann, die Hände in die zweite Umkehrung eines C-Dur-Akkordes verkrallt, aus Langeweile und Scham verstorben. Jakob Biazza

Billy Gibbons - "Hardware" (Universal)

Warum es statt des inzwischen dritten Solo-Album von Billy Gibbons nicht mal wieder eines von seiner Band ZZ Top gibt? Er brummt die Geschichte so ins Telefon: "Ach, ich hatte meinen Partnern schon vor Ewigkeiten ein paar Songs geschickt - die wollten sie üben. Aber sie meinten: ,Gib uns noch ein bisschen Zeit.'" Gab er ihnen. Und ging währenddessen mit dem Super-Schlagzeuger Matt Sorum und dem viel jüngeren Gitarristen Austin Hanks ins Studio irgendwo in der Wüste. Hanks spielt eine Gitarre, die auch Bass-Saiten hat. Prompt geht mehr: Gibbons hat schon Salsa-Stücke mit Hardrock-Elementen gemischt, er hat Blues-Klassiker brachial modernisiert, jetzt, auf dem neuen Album, spielt er hin und wieder sogar ein bisschen Surf-Sound, scharfkantig und schwungvoll.

Also, nicht falsch verstehen: Natürlich erfindet Gibbons sich dabei nicht neu. Er hat seine Tricks, seine Licks, seine Erkennungszeichen. Sobald die Gibbons-Stimme und die Gibbons-Gitarre zu hören sind, klingt es nun mal ein wenig nach ZZ Top. Aber jetzt immerhin so frisch und euphorisch, wie die ungefähr seit ihrem Album "Rhythmeen" nicht mehr geklungen haben (und das war 1996). Anders gesagt: "Hardware" ist das beste neue Album, das es von ZZ Top nicht gibt. Max Fellmann

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5311351
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.