Alben der Woche:Alter, der grübelt!

Sero zerfleischt sich selbst, die "Smashing Pumpkins" liefern glitzriges Gebläh. Und es gibt ein "Ton Steine Scherben"-Tribute-Album. Weil: Warum auch nicht.

Von den SZ-Popkritikern

6 Bilder

-

Quelle: SZ

1 / 6

Billie Joe Armstrong - "No Fun Mondays" (Warner)

Heute geht es fast nur um Coverversionen. Billie Joe Armstrong wäre diesen Sommer eigentlich mit seiner Band Green Day auf Tour gewesen. Nun ja. Ersatzweise hat er deshalb immer mal wieder Lieblingssongs aufgenommen und ins Netz gestellt. Das Album "No Fun Mondays" versammelt jetzt 14 davon und erklärt geradezu schulstundengenau, wie Armstrong zu dem Songwriter wurde, der er ist. So, liebe Nachwuchspunkrocker, jetzt lernen wir, woraus sich die Musik von Green Day zusammensetzt: Man nehme Punk-Evergreens wie "Corpus Christi" von den Avengers und "Not That Way Anymore" von Stiv Bators. Dazu Bubblegum-Pop wie "Kids In America" von Kim Wilde und "Manic Monday" von den Bangles. Und dann noch ein bisschen 60s-Pop ("I Think We're Alone Now", "That Thing You Do!"). Alles zubereitet nach dem bewährten Green-Day-Rezept: poppige Melodien plus verzerrte Gitarren plus schnelles Schlagzeug, gut geglättet. Punk-Pop fürs Autoradio. Wer die Originale nicht kennt, käme bei manchen Songs kaum drauf, dass sie nicht von Armstrong sind. Anders gesagt: Wenn einer so sehr wie seine Vorbilder klingt, dann zeigt das doch, wie sehr er sie liebt.

Max Fellmann

-

Quelle: SZ

2 / 6

Clutch - "Weathermaker Vault Series Vol. 1" (Weathermaker)

Auch die großartigen Rocker von Clutch veröffentlichen ein Album mit Coverversionen, und erst denkt man, aha, nächstes Corona-Projekt. Aber die Aufnahmen stammen hauptsächlich aus dem Sommer 2019. Das oft übersehene Quartett aus dem Städtchen Germantown in Maryland hat über die Monate immer mal wieder ein Lied im Internet präsentiert - "Weathermaker Vault Series Vol.1" fasst die besten zusammen. Und allein schon die brachiale Version von Willie Dixons "Evil" zeigt, was die Band so einzigartig macht: Die vier spielen betonharten Riffrock, aber da spitzt immer irgendwo der Blues raus. Besonders gut zu hören bei "Precious And Grace" von ZZ Top oder "Fortunate Son" von Creedence Clearwater Revival. Die eigenen Stücke, die sie einstreuen, können zum Glück sehr souverän mithalten. Und bitte, muss man eine Band, die ein Lied "Willie Nelson" nennt, nicht einfach lieben?

Max Fellmann

-

Quelle: SZ

3 / 6

"Wir müssen hier raus" - Hommage an Ton Steine Scherben und Rio Reiser(Unter Schafen Records)

Ungefähr jeder zweite Musiker in Deutschland erwähnt auf die Frage nach seinen Einflüssen Ton Steine Scherben oder zumindest deren Sänger Rio Reiser. Weil Reiser Texte schrieb wie kaum einer sonst, weil seine Band manchmal so robust zur Sache ging, dass man das - vor Punk - schon Punkrock nennen konnte. Rio Reiser ist 1996 mit nur 46 Jahren gestorben, dieses Jahr wäre er 70 geworden. Deshalb erscheint jetzt das Album "Wir müssen hier raus - Eine Hommage an Ton Steine Scherben und Rio Reiser" mit zwölf Liedern, mal etwas bemüht, mal originalgetreu, mal geschickt verfremdet. Die Sterne spielen "Wenn die Nacht am tiefsten", Gisbert zu Knyphausen singt "Straße" und Rocko Schamoni "Morgenlicht". Jan Delay knatscht sich durch "Für immer und dich", Judith Holofernes schmachtet "Halt dich an deiner Liebe fest". Die Beatsteaks machen Radau mit "S.N.A.F.T", die alten Fehlfarben spielen "Nicht nochmal" und sogar Slime sind dabei mit "Ich will nicht werden". Man hört die Liebe und Begeisterung - und doch fehlt etwas: das charakteristische, lebensgeschmerzte, expressive Krächzen, das diese Lieder unsterblich gemacht hat. "Wir müssen hier raus" ist ein warmherziges Album, aber ach ja, vor allem macht es Lust, sofort Rio im Original zu hören.

Max Fellmann

-

Quelle: AP

4 / 6

Smashing Pumpkins - "Cyr" (Sumerian)

Grausames Spiel, immer wieder dasselbe: Erwartungen schaffen. Erwartungen steigern. Erwartungen sanft enttäuschen. Erwartungen leicht korrigieren. Erwartungen erfüllen - ein bisschen natürlich nur. Erwartungen vollständig zerfetzen. Der Welt erklären, dass sie sich ihre Erwartungen am besten dorthin steckt, wo es sehr dunkel ist, dies hier sei schließlich Kunst. Ein bisschen wie in der Liebe, wenn sie scheußlich wird, aber noch lodert. Unberechenbarkeit kann die Liebenden ja binden. Manchmal macht sie sie auch glücklich.

Die Smashing Pumpkins sind schließlich seit jeher die dysfunktionalste leidenschaftliche Daueraffäre unter den Alternative-Rock-Leidenschaften. Und Frontmann Billy Corgan der manischste Erwartungsverweigerer unter der Sonne. Gerade gibt es die Band fast wieder in Originalbesetzung - was auch immer das noch heißen kann - und jetzt kommt ein neues Doppelalbum. 20 Songs. Angeblich hatte man Hunderte zur Auswahl, viele sollen noch aus den Neunzigern stammen. Man kann den Fans nicht direkt vorwerfen, dass sie da - wider besseren Wissens - eine kleine Dosis vom alten, LSD-vergifteten Gitarren-Zeug erwarten. Deshalb ist "Cyr", Ehrensache: ein Synthie-Album. Wolkiges, glitzriges Gebläh, stoische Drums. Ein paar sehr schöne Melodien und immer wieder mal eine Atmosphäre, die die Seele heraushebt aus dem ganzen Stumpfsinn der Isolation. Aber vor allem eine Produktion, für die man viel gebraucht hätte - aber eher keine Band mit einem der musikalischsten Schlagzeuger seiner Generation.

Jakob Biazza

Sero Regen Album

Quelle: Sony

5 / 6

Sero - "Regen" (Sony)

"Vielleicht" - was für ein irres Wort. Rap-Songs fangen in Deutschland schließlich nicht mit "Vielleicht" an. Hip-Hop ist hier doch immer noch ein Ansagen-Genre. Für Zweifler ist da kein Platz. Und jetzt kommt dieser Sero und macht sich mit "Regen" (Sony Music) genau das: Platz. Für seine dunkelverschatteten Selbstzerfleischungen. Für seine Grübeleien. Für sein vergleichsweise aufgeklärtes und darin wirklich sehr wohltuendes Bild von Männlichkeit: "Ich hab' schon immer das Gefühl, irgendwas stimmt nicht ganz mit mir / Und ich krieg's nicht repariert und ich hass' mich so dafür". Und plötzlich ist da eben doch Platz für Zweifler, weil: "Vielleicht, nur vielleicht / Hat's Lucy gefallen / Zu fallen". Und vielleicht, nur vielleicht, fehlt dem Ganzen in Summe noch etwas Unterleib. Und ganz vielleicht kommt er auf der nächsten Platte mit ein paar Regen-Metaphern und ein paar glühenden Zigaretten in der Dunkelheit weniger aus. Und zack: neuer Rap-Superstar. Und bis dahin gilt eh: "Das Geheimnis vom Regen, ist das Fallen zu lieben".

Jakob Biazza

Sero 2020

Quelle: Philipp Gladsome

6 / 6

Waghalsig, weil so selten: Sero grübelt, so richtig. Und das als Rapper.

© SZ.de/tmh
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: