Alben der Woche:"Freizeit und Kuchen statt Arbeit und Brot"

Alben der Woche: Der Sturm vor der Ruhe: Alanis Morissette hat ein Album für Achtsame aufgenommen.

Der Sturm vor der Ruhe: Alanis Morissette hat ein Album für Achtsame aufgenommen.

(Foto: Shelby Duncan)

Alanis Morissette macht jetzt Meditationsmusik. Andreas Gabalier nicht und Ferris MC nun wirklich gar nicht. Und die "Foals"? Haben das beste "Talking Heads"-Sommeralbum geschrieben.

Von den SZ-Popkritikern

Alben der Woche: undefined
(Foto: AP)

Foals - "Life Is Yours"

Hibbelige und trotzdem ganz geradlinig treibende Drums, sehr feiner Percussion-Firlefanz, zappelige Gitarren, ein immer leicht verzogener, fein schwiemliger Gesang. Durchaus fundamentale Bässe. Insgesamt außerdem viel Geflirr und Geglitzer und Gebritzel aus Synthies, Chören und Hall-Effekten. Zu frickelig für Synth Wave das alles, zu poppig für Post-Rock, zu schön für Math-Rock (was in etwa die Stile wären, die man den Foals bislang so angetragen hat). Anders gesagt: Die Briten haben mit "Life Is Yours" (Warner Music) gerade das beste Talking-Heads-Sommeralbum veröffentlicht, das die Talking Heads nie geschrieben haben. Jakob Biazza

Alben der Woche: undefined
(Foto: Label)

Alanis Morissette - "The Storm Before The Calm"

Jetzt ist die Pandemie wohl auch im Pop richtig angekommen. Inhaltlich. Also ästhetisch. In der Literatur suhlen sich die Experten ja schon lang in Agonie und Ekel angesichts der Corona-Romane, Corona-Essays, Corona-Erfahrungsberichte, Corona-Tagebücher. Vor allem der Tagebücher. Insgesamt natürlich: ganz schwieriges Sujet. Es leiden ja alle auf ganz unterschiedliche Art gleich an dieser Zeit. Gibt nur ganz wenige, die da etwas wirklich anderes zu sagen haben als die anderen - und bei denen wirkt es sehr leicht furchtbar gewollt. Oft auch wahnsinnig manieriert.

Der Pop hat demgegenüber nun natürlich die ganz wunderbare Möglichkeit, gar nichts zu sagen und trotzdem etwas auszudrücken, was man sich für die Welt allgemein ja womöglich öfter wünschen würde. Jedenfalls: Alanis Morissette, eigentlich gerade in Europa unterwegs, um das 25-Jährige ihres episch guten Albums "Jagged Little Pill" von 1995 live nachzufeiern, veröffentlicht am Freitag parallel ein neues: "The Storm Before The Calm" (Sony Music). Ein Meditationsalbum. Und was soll man sagen: wirklich überhaupt nicht schlecht. Auch, nein, gerade für Menschen, die Meditationsmusik sonst für geeignet halten, Gehirnmasse in langzeitdurchnässtes Bircher-Müsli zu verwandeln. Diese überachtsamen Akkorde, die Chakren flutenden Nicht-Beats, die Flöten. Vor allem die Flöten. Morissette hat zusammen mit dem Produzenten und Multiinstrumentalisten Dave Harrington (der ist mit Nicolas Jaar sonst das Electro-Duo Darkside) nun aber ein paar erstaunlich dreidimensionale Songs gebaut. Tragfähige Melodien statt platten Gewabers, elegant morphende Synthies, eiskristallhelle Gitarren. Gegen Ende (Song: "Mania") bricht das Ganze sogar in einen schwer rollenden Groove mit viel Zerre aus.

"Das Album zu machen, ermöglichte es mir, verbunden und verantwortungsbewusst zu bleiben, als ich in der Corona-Zeit das Gefühl hatte, ich würde mich einfach auflösen und verschwinden", sagt Morissette dazu. Was womöglich wieder zeigt, was oben schon angedeutet wurde: besser schweigen - und ein Philosoph bleiben.

Alben der Woche: undefined
(Foto: dpa)

Andreas Gabalier - "Ein neuer Anfang"

Wie kommt man von da jetzt am besten zu ... ah, ja: Das Gegenteil von Achtsamkeit? Genau: Andreas Gabalier. Dieses Grobschrötige, Auftrainierte. Das Frauenbild. Ständig Heimat. Immer auf irgendwas stolz. Der Gabalier-Hass hat sich, gerade in der achtsamen Community, ja zu einem ganz eigenen Genre entwickelt, und es gibt dafür natürlich Gründe, und viele davon sind wirklich gut. Auch auf "Ein neuer Anfang" (Universal), seinem neuen Album, auf dem ein Song - kein Witz - "Bügel dein Dirndl gscheit auf" heißt. Aber von Morissette mürbe meditiert kann (muss?) man vielleicht auch mal dies einräumen: Das, was Gabalier machen will, krachledernen, dickwadeligen Schlagerrock, das kann man - musikalisch - nicht viel besser machen. Ob man es machen muss? Gott ja, irgendwas muss der Mensch ja machen.

Alben der Woche: undefined
(Foto: Label)

Ferris MC - "Alle hassen Ferris"

Gilt vielleicht auch hier: Nachdem Sascha Reimann, besser bekannt als Ferris MC, jüngst Helena Anna Reimann (seiner Frau) seine ziemlich einnehmende Autobiografie diktiert hat (Titel: "Ich habe alles außer Kontrolle"), macht er jetzt wieder Musik. "Alle hassen Ferris" (Arising Empire/Edel) heißt sein neues Album, und es ist auf ganz ähnlich einnehmende Art faszinierend und verstörend: Mit derselben quasimanischen Inbrunst, mit der er vor Jahrzehnten den deutschen Hip-Hop erst verstört, dann zerfetzt und damit bis heute geprägt hat, hat er ihn dann ja verlassen. Erst als ziemlich feine Klangfarbe der Band Deichkind. Dann weiter Richtung Selbstfindung. Seither pogt, prügelt und brüllt er mit 90er-Crossover als Underdog-Marie-Antoinette derart brachial am Zeitgeist vorbei, dass es auch schon fast wieder ein eigenes Genre ist. Oder, in seinen Worten: "Freizeit und Kuchen statt Arbeit und Brot."

Alben der Woche: undefined
(Foto: Paper Plane Records Internationa)

Alice Merton - "S.I.D.E.S."

Die Sängerin ohne Wurzeln, mit der klaren, starken Stimme, also Alice Merton, wechselt die Seiten. Das lässt zumindest der Titel ihres Albums "S.I.D.E.S." (Paper Plane Records) vermuten. Ebenso "The Other Side", das letzte der 15 Lieder. Und wie hört sich die andere Seite an? Nun, nach sehr solidem Pop. Alle Nuancen von Verlust, Trennung und Lebenskrisen tauchen auf, in sehr eingängigen Melodien. Hin und wieder wird es etwas rockiger, bleibt aber auch dabei entspannt. "What a long long road it's been/ I am on the other side of it now". Muss man man ja auch erst mal schaffen, bevor man 30 wird. Eva Goldbach

Zur SZ-Startseite

SZ PlusCampino zu 40 Jahre "Die Toten Hosen"
:"War in Ihrer Zeitung der Beitrag von Habermas zum Ukraine-Krieg?"

Sänger Campino über 40 Jahre "Die Toten Hosen", Krieg, Karneval, seine Probleme mit dem Gendern - und den Moment, in dem "Die Ärzte" den besseren Song hatten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: