Alben der Woche:Altes Theater

Liam Gallagher betreibt Legendenbildung mit einem "MTV Unplugged". Jack Garratt will den Pop neu erfinden, Norah Jones wenigstens sich selbst. Und Ellen Allien? Träumt den Techno immer weiter.

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Ellen Allien - "AurAA" (BPitch)

Ellen Allien - „AurAA“ (BPitch)

Quelle: BPitch

Techno ist noch lange nicht ausgeträumt. Die Utopien der strammen Bassdrum locken weiter. Das ist auf dem neuen Album "AurAA" (BPitch) der Berliner DJ, Produzentin und Labelbetreiberin Ellen Fraatz alias Ellen Allien sehr gut zu hören. Wie kaum eine Figur der Technowelt versteht sie es, die ewigen Zukunfts-Tropen dieser Musik - spacige Sounds, Technik-Euphorie, Sehnsucht nach Aliens - zu nehmen und ihnen einen ganz eigenen, poppigen Spin zu geben. Im Track "True Romantics" singt sie zum Beispiel mit plastisch in den Keller gepitchter Stimme davon, dass gemeinsames Denken viel schlauer sei als isoliertes, vereinzeltes Denken. Das Acid-Wimmern im Hintergrund ist zart, dafür wummert der Bass umso doller. Auch im Opener "Hello Planet Earth" oder im Track "Traum" bewirken zuckende Lasersounds zugleich eine kontemplative wie heißkalte Stimmung - im ersten Fall als Ambient-Track, im letzten als rasender Emo-Stomper. Dass Allien Kontraste liebt, erinnert an die Neunzigerjahre, als die Rave-Glückseligkeit sich am besten in entkernten Betonruinen entfaltete. Man denkt, solche brutal hallenden Räume gebe es in Berlin gar nicht mehr. Aber als sie aufgrund der Corona-Pandemie Ende Mai nicht wie geplant in Detroit, der Mutterstadt des Techno, beim Movement-Festival auflegen konnte, fand Allien noch genau so eine Ruine - auf dem Gelände des alten DDR-Funkhauses in Köpenick. Dort hinein stellte sie sich und eine Nebelmaschine für ein im Netz übertragenes DJ-Ersatz-Set. Fertig war der Stream aus Geschichte und Zukunft des Techno. "AurAA" gießt dieses Gefühl in ein tolles Album.

Jan Kedves

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Jack Garratt - "Love, Death & Dancing" (Universal Music)

Jack Garratt

Quelle: Universal Music

Den Pop in Eigenregie neu zu erfinden, ist eigentlich eine noble Sache. Jack Garratt wirft auf "Love, Death & Dancing" Genres durcheinander, koppelt etwa krautrockige Synthesizer-Sequenzen mit einem kompletten Blasorchester ("Time"). Oder schreibt Songs, die als zarte Ballade beginnen, dann Richtung Two Step morphen, um am Ende zu einem Clubstampfer a lá Daft Punk zu werden ("Mend A Heart"). Das ist alles ziemlich innovativ und als zweites Album eines Künstlers, dem die Kritik seit Jahren nichts sehnlicher wünscht als den großen, internationalen Durchbruch, auch absolut mutig. Leider: Es funktioniert nicht. Kein Song auf diesem Album setzt sich im Ohr fest. Die Vielschichtigkeit dieser Musik verdeckt vollständig, was Garratt uns eigentlich mitteilen will. Es bleibt jeweils nur die vage Erinnerung an ein auf Songlänge gepresstes Ideen-Feuer, das zwar irgendwie überrascht hat, aber eben auch sehr, sehr stressig war.

Quentin Lichtblau

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Norah Jones - "Pick Me Up Off The Floor" (Blue Note)

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Quelle: SZ

An was denkt man, wenn man den Namen Norah Jones hört? An den schmeichelnden Gesang, der wahrscheinlich im Hintergrund mehrerer Millionen Dinner-Partys lief. Dabei ist die Sängerin und Pianistin vielseitiger als der Lounge-Jazz ihrer Anfangsjahre. Das zeigte sich an der Zusammenarbeit mit anderen Musikern: Herbie Hancock, Danger Mouse, Mavis Staple, OutKast oder dem coolste aller Flanellhemdenträger Jeff Tweedy, Kopf der Americana-Band Wilco. Aus dieser und anderen Songwriting-Sessions ist "Pick Me Up Off The Floor" (Blue Note) entstanden: eher Songsammlung als Album, gebunden durch Jones' Stimme, die warm und rauchig durch die Stücke schleicht. Das ist nicht unbedingt Musik für die Gegenwart, aber sehr anmutig: besonders in "How I Weep", in dem der Gesang über dezenten Cello- und Violinen-Arrangements schwebt wie Nebel über einem See.

Annett Scheffel

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Jehnny Beth - "To Love Is To Live" (Caroline)

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Quelle: SZ

Konfrontativer geht es bei Jehnny Beth zu. Als Sängerin der Punkband Savages fiel sie wegen ihrer Qualitäten als laute Performerin auf. Die Stücke ihres Solo-Debüts "To Love Is To Live" (Caroline) sind ähnlich scharfkantig und angriffslustig, öffnen aber einen größeren Raum: ein dunkles Fantasiereich zwischen Industrial-Rock, Synthie-Noise und Jazz-Dissonanzen. Es geht um die Liebe zu Monstern, um Sex, Wut und Verletzlichkeit - "und natürlich Schuld, weil ich katholisch erzogen wurde". Darauf folgt die geflüsterte Erotik von "Flower", ein Lovesong für eine Bikini-Bar-Kellnerin, austariert zwischen Portishead und Pattis Smith. Später schlüpft sie in "I'm The Man" getrieben vom Schlagzeug in die Rolle eines aggressiven Arschlochs, das mit seinem "harten Schwanz" prahlt. Jehnny Beth umarmt menschliche Widersprüche, bis es wehtut.

Annett Scheffel

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Liam Gallagher - "MTV Unplugged" (Warner Music)

Liam Gallagher - "MTV Unplugged" (Warner Music)

Quelle: Warner Music

Liam Gallagher ist ja schon etwas länger im Stadium der Legendenverwaltung angekommen. Anfang des Jahres hat er dafür erst eine Promo-Doku über sich selbst drehen lassen. Jetzt der nächste Schritt: ein "MTV Unplugged". Bei manchen Künstlern (Nirvana, Eric Clapton, Jay-Z, womöglich auch den Fantastischen Vier) hat das noch mal ein paar ganz neue künstlerische Facetten herausgekitzelt. Bei Liam Gallagher: keine.

Jakob Biazza

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Liam Gallagher - "MTV Unplugged" (Warner Music)

Quelle: Warner Music

Viele der Songs auf "MTV Unplugged" (Warnur Music) sind natürlich trotzdem grandios - es wird in der akustischen Version nur keiner besser als im Original. Altes Theater quasi: Liam Gallagher beim Konzert in der Hull City Hall in Kingston upon Hull.

© sz.de/biaz
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