Theaterabriss in Albanien:Platz frei für ein Shoppingzentrum

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Mit Baggern und Polizeigewalt: In der Nacht auf Sonntag begann der Abriss des Theaters, das im Zentrum Tiranas auf lukrativem Baugrund steht. (Foto: Gent Shkullaku/AFP)

Die albanische Regierung reißt aller Proteste zum Trotz das Nationaltheater in Tirana ab.

Von Peter Münch

Schutt und Staub und ziemlich viel Wut sind zurückgeblieben vom Kampf um Albaniens Nationaltheater. Mitten in der Nacht ist das Abrisskommando angerückt mit schwerem Gerät, und den Bildern zufolge wurde das Zerstörungswerk gründlich verrichtet. Parallel dazu ging die Polizei gegen Künstler und Aktivisten vor, die sich in dem traditionsreichen Haus verschanzt hatten. Sie kämpfen seit mehr als zwei Jahren für den Erhalt des Kulturdenkmals. Doch die Regierung hat andere Pläne - und die hat sie nun mit aller Kraft begonnen durchzusetzen.

Das Theatergebäude am Skanderbeg-Platz der Hauptstadt Tirana stammt aus der Zeit der italienischen Besatzung. 1939 hatte es der Architekt Giulio Bertè im futuristischen Stil erbaut. Anfangs beherbergte es ein Kino, nach der Machtübernahme der Kommunisten um Enver Hoxha fanden dort die ersten Schauprozesse gegen "Staatsfeinde" statt, seit 1947 diente es als Nationaltheater. 500 Plätze im Hauptgebäude, dazu noch ein Experimentaltheater mit zwei kleineren Sälen - hier schlug das Herz des albanischen Kulturlebens.

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Die zentrale Lage allerdings hat auch schon lange das Herz der Investoren höher schlagen lassen. Als eine Renovierung des Theatergebäudes anstand, erklärte die Regierung des sozialistischen Premiers Edi Rama den Erhalt des Gebäudes für zu teuer. Präsentiert wurden stattdessen auf dem wertvollen Baugrund Pläne für einen riesigen Gebäudekomplex mit Wohn- und Bürohochhäusern plus Shoppingzentrum, bei dem zwischendrin auch noch Platz sein sollte für ein neues Nationaltheater. Vergeben wurde der Auftrag an den dänischen Architekten Bjarke Ingels. Um die stets klammen Staatsfinanzen zu schonen, sollte das Projekt ursprünglich komplett über eine sogenannte Public-Private-Partnership finanziert werden. Erst im Februar 2020 wurde entschieden, für das Nationaltheater öffentliche Gelder bereitzustellen.

Es wurde eigens ein Gesetz erlassen, um öffentlichen Grund leichter privatisieren zu können

Gegen diese Pläne fand sich im Frühjahr 2018 ein buntes Bündnis zum Schutz des Theaters zusammen. Zu Aktionen und Aufführungen traf man sich erst wöchentlich, später täglich rund um das Theatergebäude. Als sich die Abrisspläne verdichteten, wurde das Haus im Juli 2019 besetzt. Der Protest richtet sich gegen allerlei Ungereimtheiten vor und bei der Vergabe des Bauprojekts. So war das Theatergebäude plötzlich von der Denkmalschutzliste gestrichen worden. Die Gegner kritisierten zudem, dass für das Bauprojekt eigens ein Gesetz erlassen wurde, um öffentlichen Grund leichter privatisieren zu können. Staatspräsident Ilir Meta sprach von einem "Gesetz zum Vorteil von Oligarchen" und weigerte sich, es zu unterzeichnen.

Was als Protest zur Rettung des Nationaltheaters begann, reichte bald schon darüber hinaus. Debattiert wurde über Demokratie und gesellschaftliche Missstände wie die weit verbreitete Korruption im Land. Die Opposition schloss sich an, auch weil sie in diesem Protest eine Möglichkeit zur Schwächung von Regierungschef Rama sieht. Der hatte selbst als Künstler begonnen und später als Bürgermeister von Tirana damit Aufsehen erregt, dass er die heruntergekommenen Häuserfassaden der Hauptstadt in bunten Farben erstrahlen ließ. Heute erklärt er, eine Minderheit von Schauspielern und Politikern könne das Land nicht zur Geisel nehmen. Der Abriss des alten Nationaltheaters sei Teil eines Plans, Tirana zu einer "modernen und europäischen Stadt" zu machen.

Er hörte auch nicht auf Proteste der EU-Botschaft in Tirana, die zum Dialog zwischen Regierung und Zivilgesellschaft aufgerufen hatte. Begleitet wurden die Bulldozer den Berichten zufolge von rund 1500 Polizisten, die hart gegen die Demonstranten vorgingen und selbst die Frau des Präsidenten Meta abführten. Das Theatergebäude ist nun nicht mehr zu schützen. Doch der politische Kampf geht weiter. Der Anführer der oppositionellen Demokratischen Partei Lulzim Basha hat dazu aufgerufen, die Regierung wegen des Abrisses zu stürzen.

© SZ vom 19.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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