Aladdin-Neuverfilmung:Ist "Aladdin" rassistisch?

Mena Massoud, Will Smith

Die neue Disneyverfilmung von „Aladdin“ mit Mena Massoud (links) und Will Smith.

(Foto: Daniel Smith/Disney via AP)

Und was bildet für den Stoff eigentlich die Vorlage? Über Entstehung und Wirkung eines literarischen Hybrids, der durch dreihundert Jahre verwurstet ist.

Gastbeitrag von Stefan Weidner

Diesen Aladdin mag ich, muss ich gestehen. Er ist mein erster arabischer Freund gewesen. Noch bevor ich lesen lernte, begegnete er mir in Gestalt einer Hörkassette. Ich hörte sie so oft, dass ich sie schließlich auswendig konnte und die Geschichte allen erzählte, wobei aus heutiger Perspektive kritisiert werden müsste, dass ich den Orient weder authentisch noch politisch korrekt wiedergegeben habe. Ganz abgesehen davon, dass eine solche Hörkassette für Kinder eine höchst zweifelhafte philologische Quelle ist. Sie hatte mit der überlieferten Originalversion der Aladdin-Saga so wenig zu tun wie das klamaukartige Musical, das Disney nun auf die Leinwand gebracht hat.

Die Vorlage für dieses Remake ist ohnedies nicht der originale Aladdin-Stoff, sondern der Trickfilm aus dem Jahre 1992. Was aber ist das Original? Die ursprüngliche Quelle ist nach gegenwärtigem Stand der Dinge gar nicht arabisch, sondern französisch. Sie stammt aus dem Jahr 1712 und findet sich im neunten Band von "Les mille et une nuit", der ersten Übersetzung von Tausendundeine Nacht ins Französische durch Antoine Galland.

Der Aladdin-Stoff zählt damit zu den Texten von "Tausendundeine Nacht", für die sich partout keine arabische Vorlage ausmachen lässt. Gemäß einem Tagebucheintrag Gallands von 1709 hat er "Aladdin" von einem maronitischen Christen aus Aleppo in Paris erzählt bekommen. Die Geschichte ist auch in heutigen Druckversionen so lang wie ein kleiner Roman. Es stellt sich die Frage, wie hoch der Anteil Gallands bei der Ausgestaltung des Stoffes ist.

Einige Literaturwissenschaftler sind überzeugt, dass sich etliche europäische Märchenmotive in den arabischen Kern der Geschichte eingeschlichen haben. Klar ist jedenfalls, dass der Stoff bereits bei seinem erstmaligen Auftauchen 1712 in Paris ein Hybride ist, ein literarischer Bastard. Folglich ist es unsinnig, seine weiteren Bearbeitungen, Übersetzungen und medialen Transformationen mit Maßstäben der Treue zum Original oder der Treue zu Schauplätzen, Milieus, geschweige denn der Aussageabsicht irgendeines Verfassers zu messen.

Wenn je ein Stoff offen war für Plagiate aller Art, dann dieser

Das aber wiederum heißt: Die Disney-Studios verfahren mit der Aladdin-Geschichte genau so, wie immer schon damit verfahren wurde. Wenn je ein Stoff frei war, ohne Copyright, offen für Plagiate aller Art, dann dieser. Es gibt wohl kaum ein Medium oder Genre, in dem Aladdin in den letzten dreihundert Jahren nicht verwurstet wurde. Das neunzehnte Jahrhundert verzeichnete sage und schreibe sieben deutsche, zwei französische, zwei englische, eine italienische und eine dänische Aladdin-Oper. Der dänisch-deutsche Dichter Adam Oehlenschläger legte 1815 ein Aladdin-Drama vor, das von Zeitgenossen auf einer Ebene mit Goethes "Faust" angesiedelt wurde. Die Hörkassette, der Disney-Trickfilm von 1992 und nun die Variante mit echten Schauspielern sind nur die jüngste Fortschreibung dieser hybriden Stoffgeschichte, in der Plagiat, Parodie und freie Bearbeitung gar nicht mehr zu unterscheiden sind. Woran soll man eine solche Geschichte messen, außer an ihrem - unbestreitbaren - (Massen-)Erfolg?

Dass es sich bei den orientalischen Märchen um gut verkäufliche Unterhaltungsliteratur handelte, wusste man immer schon, und war der Grund, warum Galland sich weitere arabische Geschichten mündlich berichten ließ, als die Manuskripte, die er von seinen Reisen in den Orient mitgebracht hatte, erschöpft waren. Schon die gebildeten Araber des Mittelalters sahen auf diese und andere volkstümliche Erzählungen herab wie die Gebildeten heute auf die Disney-Verfilmung. Die Verachtung, die den Geschichten von Tausendundeine Nacht - und Aladdin ganz besonders - seit jeher entgegenschlug, ist zu einem integralen Teil von ihnen geworden.

Nun hat der Rat für amerikanisch-islamische Beziehungen (CAIR) vor dem Aladdin-Film gewarnt und darauf hingewiesen, dass der Stoff tief in Rassismus, Orientalismus und Islamophobie verwurzelt sei. Dabei haben sich die Macher diesmal angeblich besonders viel Mühe gegeben, um die rassistischen Stereotypen zu vermeiden, die im Zeichentrickfilm von 1992 noch offensichtlich waren. So kommt der Islam im Film gar nicht mehr explizit vor, abgesehen davon, dass die Schauplätze unübersehbar solchen nachempfunden sind, wie wir sie aus der muslimischen Architektur kennen. Die vielen Türmchen suggerieren Minarette, der Palast des Sultans ähnelt der Hagia Sophia - die freilich ursprünglich eine Kirche war -, und der Taj Mahal, ja überhaupt die Mogularchitektur Indiens ist ebenfalls kräftig in dieser Disneyland-Kulisse verbaut.

Eine Parodie des orientalistischen Klischees

Ist das aber per se schlecht oder auch nur negativ gemeint? Zwar stellt dieser Fantasieorient eine fremde, andere, exotische Welt dar. Aber es ist keine solche, vor der wir uns fürchten und gegenüber der wir (Islamo-)Phobien haben, sondern ganz im Gegenteil eine Welt, nach der wir uns sehnen. Sonst könnten weder Reiseveranstalter mit ähnlichen Motiven werben, noch Disney die eskapistischen Bedürfnisse des globalen Kinopublikums damit befriedigen. Der Orient ist und bleibt ein Sehnsuchtsort, jedenfalls für den Westen. Und dass er, wie jeder Sehnsuchtsort, mehr aus Fantasievorstellungen als aus Realität besteht, dass er also idealisiert wird, kann man beim besten Willen nicht als negative Einstellung werten.

Disney wird aber noch durch ein anderes Argument entlastet. Genauso wie die originale Aladdin-Geschichte in ihren Schauplätzen zwischen China und Marokko pendelt - der Sultan ist im Originaltext der Herrscher von China -, sind die Schauplätze auch im Film ein wilder Mix von allem, was irgendwie orientalisch anmutet, inklusive einer karnevalesken Samba-Einlage, die eindeutig nach Brasilien gehört. Das ist so überdreht, dass es nicht mehr nur klischeehaft ist, sondern zugleich die augenzwinkernde - um nicht zu sagen mit dem Zaunpfahl winkende - Parodie des orientalistischen Klischees. In der neuen Version mit den echten Schauspielern merkt man es auch daran, dass diese nicht nur ihre Rollen, sondern stets auch sich selbst spielen, etwa Will Smith als rappender Flaschengeist.

Kommt hinzu, dass Aladdin ja nicht nur Held und Sympathieträger der Geschichte ist, sondern schon seinem Namen nach unverkennbar Muslim und Araber. Mag man ihm, wie Kritiker sagen, auch die Verhaltensweisen eines weißen amerikanischen Jugendlichen angedichtet haben, er bleibt der Held einer fiktiven Welt, in der niemand über Arabern und Muslimen steht. Ein Rassismus, der sich dieser Geschichte bedient, stößt daher mit dem Kopf ziemlich schnell an die Decke. Bei mir führte er dazu, dass ich bereits als Kind Arabisch lernen wollte, weil das für die Bedienung der Wunderlampe und für die Befehle an den hilfreichen Geist, der aus ihr aufsteigt, unerlässlich war.

Der Rassismus ist kein spezifisch westlicher, orientalistischer

Dennoch trifft die Kritik von CAIR einen wunden Punkt, indem sie darauf hinweist, dass der Aladdin-Stoff an und für sich bereits mit rassistischen und orientalistischen Stereotypen aufwartet. Aladdin lebt gemäß der ursprünglichen Fassung in China, und der böse Zauberer, der in dem Film (anders als in der Galland-Version) mit dem bösen Wesir verschmilzt, ist Afrikaner ("Africain", aber keineswegs "nègre" heißt es bei Galland). Unabhängig von der Frage, ob die Quelle dafür europäisch oder arabisch war, versteckt sich darin zweifellos ein Rassismus, denn weder die Araber noch die Europäer des 18. Jahrhunderts hatten eine hohe Meinung von Schwarzafrikanern. Auch die Juden kommen übrigens in der Originalversion schlecht weg, wobei völlig unklar ist, ob Galland die entsprechenden Passagen eigenhändig verfasst oder aus anderen Quellen übernommen hat.

Der Rassismus, der also wie in vielen alten Stoffen auch in diesem wirksam ist, ist kein spezifisch westlicher, orientalistischer, sondern ebenso ein arabischer und muslimischer, der gegen Afrikaner und Juden gerichtet ist. Damit müssen wir zwar zugestehen, dass es Rassismus im Aladdin-Stoff gibt, aber eben auch, dass dieser kein Spezifikum der westlichen Kultur ist, selbst dann nicht, wenn eines Tages herauskommt, dass die Geschichte eine bloße Erfindung Gallands ist. Denn rassistische Vorbehalte und Stereotype gegen Afrikaner und Juden weist die arabische und islamische Geschichte zur Genüge auf. Und sie finden sich auch in jenen Geschichten von "Tausendundeiner Nacht", die eindeutig arabische Quellen haben.

Die Aladdin-Verfilmung scheint daher nicht der richtige Anlass zu sein, um mit großen kulturkritischen Kanonen auf Hollywood zu schießen. Stattdessen sollten wir uns fragen, wie viel Ambiguitätstoleranz wir womöglich schon verloren und was zwei Jahrzehnte Kampf gegen den Terror mit uns gemacht haben, wenn wir einen solchen Film als Anlass für eine Gewissensprüfung nehmen. Für die gebildeten Araber des Mittelalters war klar, dass "Tausendundeine Nacht" wie alle anderen Märchen Erzählungen fürs Volk waren, Fiktion und Fantasie durch und durch. Folglich beurteilte man sie auch nicht nach Kriterien der Hochliteratur und der Moral, ja man gab sich gar nicht erst mit ihnen ab. Das ist zwar nach unseren heutigen Maßstäben eine sehr hochnäsige und elitäre Einstellung. Aber sie hatte den Vorteil, der Massenkultur ihren Raum zu lassen und nicht alles, was anderen Spaß machte, zwanghaft über den eigenen, anspruchsvollen Kamm scheren zu müssen.

Der Autor ist Islamwissenschaftler. Demnächst erscheint von ihm: "1001 Buch. Die Literaturen des Orients." Edition Converso.

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