Aktionstag:Frauen schreiben das Internet um

Bei einem Editier-Marathon im Lenbachhaus geht es nicht nur darum, das Online-Lexikon Wikipedia weiblicher zu machen

Von Theresa Parstorfer

Bei den Spaghetti links. Da geht es die Treppe hoch in den zweiten Stock des Lenbachhauses. Die Nudeln auf dem Boden sind Teil der Ausstellung im Erdgeschoss. Wer jedoch am Samstag dieser Wegbeschreibung folgt, kann sich nur im Vorübergehen Gedanken über das Kunstwerk machen, denn oben im Studio unterm Dach findet der zweite Münchner Edit-a-thon statt. Auf den Plakaten, die dieses Event ankündigen, ist eine Frau zu sehen, die in den für Lautschrift gebräuchlichen eckigen Klammern "edit" ruft. Ein feministischer Aufruf, das Internet weiblicher zu machen. Angefangen bei Wikipedia. Denn Künstlerinnen und Aktivistinnen bemängeln, dass nur zehn Prozent der Inhalte auf Wikipedia von Frauen verfasst werden, außerdem eine viel größere Anzahl an Einträgen über Männer existiert.

Der erste Editier-Marathon dieser Art fand 2014 im Museum of Modern Art in New York statt, weltweit werden seither regelmäßig ähnliche Events abgehalten. Vor einem Jahr haben Mira Sacher und Laura Lang den ersten Edit-a-thon in München veranstaltet. "Das Tolle an München ist in der Hinsicht, dass man mit solchen Aktionen oft die erste ist", sagt Sacher.

Sie selbst sieht Wikipedia allerdings nur als Aufhänger, um auch über andere Bereiche im Kulturbetrieb zu sprechen, in denen Frauen immer noch benachteiligt werden. Bereits in der lebhaften Diskussion während der Einführung wird denn auch klar, dass Wikipedia als Teil eines Systems gesehen werden kann, in dem Machtstrukturen sich selbst am Leben erhalten. Ein Beispiel sind die Relevanzkriterien, die Wikipedia als erfüllt sehen will, bevor ein Artikel über eine Person verfasst werden darf. "Wie kann es sein, dass eine Künstlerin Hochschulprofessorin sein muss, um als relevant genug zu gelten?", will eine Teilnehmerin wissen, wo doch erwiesen sei, dass es für Frauen viel schwerer ist, einen Lehrstuhl besetzen zu dürfen.

Als es daran geht, selbst Einträge zu verfassen, fällt einer anderen Teilnehmerin auf, dass erstaunlich starre Kategorien daran anfallen, wie ein Artikel geschrieben werden muss. "Wenn ich über eine Person schreibe, die sich nicht den traditionellen Geschlechtern zugehörig fühlt, dann fliegt das gleich raus", sie habe das Gefühl, dadurch das Recht der Beschriebenen, sich selbst zu definieren, zu verletzen.

Sacher und Lang freuen sich, dass der Edit-a-thon nicht nur ähnlich gut besucht ist wie im vergangenen Jahr, sondern auch schnell lebhaft diskutiert wird. Trotz dieser Zweifel an Wikipedia wird nach der technischen Einführung gleich fleißig editiert. Ecco Meineke, der einzige Mann unter den Teilnehmern, hat gar eine ganze Liste an Namen dabei, für die er einen Wikipediaeintrag anlegen möchte. Er ist selbst Galerist in München und stellt seit Jahren ausschließlich Künstlerinnen aus. "Das ist durchaus ein Statement, ich weiß, wie schwer es für Frauen ist, in Galerien vertreten zu sein", sagt er. Dass er an diesem Tag der einzige Mann ist, überrascht ihn nicht. Auch wenn er sich wünsche, dass sich mehr Männer zumindest für die Thematik interessieren würden, findet er es andererseits nicht schlecht, wenn Frauen einen "Raum für sich gestalten können".

Einen solchen Raum möchte auch Künstlerin Sophia Süßmilch schaffen, als es nach dem Mittagessen - es gibt keine Spaghetti, sondern Couscous, Brot und Hummus - mit dem zweiten Punkt des Programms weitergeht. Süßmilch berichtet in einem Workshop, nur für Frauen, wie ihr Instagram und Facebook einen neuen Raum für ihre Kunst gegeben haben, der allerdings durchaus seine Tücken mit sich bringt. Als Performance versteht sie ihre Posts. Während sie erzählt, wie sich dadurch die Grenzen von Persönlichem und Kunst verwischen lassen, wummern tiefe Basstöne durch die Tür, denn nebenan gibt Julia Bomsdorf, die als eine von wenigen Frauen regelmäßig in Münchner Clubs auflegt, einen Crashkurs an den Turntables.

Für alle Anwesenden ist klar: Lediglich ein kleiner Anstoß ist das, noch viel ist zu tun, bis Frauen im Kunstbetrieb so ernstgenommen werden wie sie sich das wünschten. Als sie jedoch am Abend das Lenbachhaus an den Spaghetti vorbei verlassen, ist zumindest Wikipedia ein bisschen weiblicher.

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