Marina Abramovic in "512 Hours":Ein Nichts mit Körper

Marina Abramovic

Die Leere werde noch radikaler sein, die Präsenz noch energetischer: Marina Abramovic bei der Pressekonferenz zu "512 hours" in London.

(Foto: AFP)

Kunst als Gegenüber: Die Performance-Künstlerin Marina Abramovic stellt sich während der Aktion "512 Hours" dem Londoner Publikum. Die Aktion ist nichts Neues, kultiviert aber ihre eigene Berühmtheit.

Von Catrin Lorch

Dass es vom Nichts diesmal mehr gibt. Die Leere noch radikaler sein wird und Präsenz noch energetischer. Das verspricht Marina Abramović, deren Performance "512 Hours" in den kleinen Pavillon der Serpentine Gallery im Hyde Park einzieht. Was sie dort zeigt? Das wisse sie ja selbst noch nicht, teilt sie auf der Pressekonferenz mit, nimmt aber schon mal den einen oder anderen sanft an der Hand - um ihn, Gesicht zur makellos weißen Wand, in einer Ecke zurückzulassen, nicht ohne mit sanftem Druck über seinen Rücken zu streicheln, als massiere sie Reflexzonen oder fixiere eine Skulptur.

"512 Hours" erinnert an parawissenschaftliche TV-Demonstrationen - leitet sich als Titel aber aus der Multiplikation der Öffnungszeit mit der Laufzeit ab (bis 25. August). Sie werde immer da sein, sagt Abramović, habe darüber hinaus aber noch keine Pläne.

Man kann das als offene Situation interpretieren, als einsame Pose der Frau, die als Grande Dame der Performance-Kunst apostrophiert wird. Doch irritieren die Superlative. Die erinnern mehr an die Unterhaltungsindustrie - wo man gut daran tut, die Fortsetzung erfolgreicher Großprojekte nicht unbedingt als neu zu bewerben. Dass diese Künstlerin sich den Besuchern zu den Öffnungszeiten stellt, das gab es ja schon einmal, im Jahr 2010 unter dem Titel "The Artist Is Present" im New Yorker Museum of Modern Art. Ein Auftritt, der die Position der Hauptdarstellerin nicht nur in Art-Rankings festigte, sondern sie auch in die Welt der Celebrities katapultierte.

Seither plaudert die "Großmutter der Performance" auch mit Bloggerinnen über Schönheitsoperationen oder ihr nächstes Filmprojekt (mit James Franco). Ein gegenseitiges Gefallen zwischen Hoch- und Popkultur ist das, deren Höhepunkt ihre Anwesenheit bei der Kunstwerdung von Jay-Z war, wo sie mit aufgerissenen Augen Präsenz symbolisierte.

Ein Goldener Löwe für das Schrubben von Rinderknochen

Wird sie in London sitzen, stehen, spielen, singen? Will der Reporter der Times wissen, und mit wem sie als Gegenüber rechnet. Marina Abramović lächelt ein Sphinx-Lächeln und kündigt an, sie werde Energie ausstrahlen, wohltuend für ein Volk, das vor allem dafür bekannt sei, zynische Witze zu reißen und sich an den Wochenenden zu betrinken.

Energie und Heilung, solche Eso-Allüren irritieren vor allem die, die noch nie von den Amethyst-Pantinen gehört haben, die der Star einst auf einer Documenta reihte, Anfang der Neunzigerjahre, lange bevor der Kern ihrer Marke so richtig herausgearbeitet war: das drastische lebende Bild, in dessen Mitte sie sich stets selbst wirkungsvoll platziert.

Der Katalog erinnert lieber an 1974, als sich Abramović in einer neapolitanischen Galerie neben Messer, Nadeln, Spritzen ihrem Publikum auslieferte. Nackt schwebte sie Ende der Neunzigerjahre über der Wiedereröffnung der Berliner Kunstwerke, fixiert auf einem Fahrradsattel. Erhielt einen Goldenen Löwen, weil sie auf der Biennale von Venedig Rinderknochen schrubbte.

Vertrauen ins Publikum

Damals, so erinnert sie sich rückblickend, habe sie sich noch an Dingen festhalten müssen, jetzt nur noch an sich selbst. "Wenn ich in meinem Glauben daran scheitere, werde ich verlieren", sagt sie, doch setze sie ganz auf ihr Publikum, das, seit sie die Grenzen der Kunstwelt verlassen habe, sehr jung sei und ergeben. Beispielsweise im MoMA, wo sich viele bei wiederkehrenden Besuchen zusammengefunden hätten, um bei gemeinsamen Essen ihre Eindrücke zu teilen.

Was am Pfingstmontag - sogar im geschäftigen London - abendmahlig klingt, aber auch eine der Qualitäten andeutet, die den Erfolg ausgerechnet dieser Künstlerin erklären: Allen, die sich mit stillen Bildern und komplizierten Konzepten langweilen, kommt eine Dramatikerin recht, der das Werk in den eigenen Leib gefahren ist.

Für die Prominentenkultur hat das den Vorteil, dass man die Kunst mit der Gästeliste abhaken kann, für das Publikum, dass Kunst als Gegenüber erscheint, als zugängliche, allzeit bereite Personifikation, die sich jetzt "512 Hours" in die Serpentine stellt. Koons verchromt, Hirst ist der mit den Diamanten, Abramović ist Nichts, großgeschrieben, und mit Körper. Mehr wäre, in diesem Fall, mehr.

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