Um 1900 war die öffentliche Nacktheit gerade erst wiederentdeckt worden. Dementsprechend wurde in den damals zur Verfügung stehenden Medien und mittels Werbung allgemein und eindringlich zur Körperertüchtigung mittels Sport und frischer Luft aufgerufen - zur besseren Nacktheit.
Doch es gab nicht nur das ideale Bild vom nackten Menschen. Schon damals hatten die Sittenwächter ihre Mühe, das pornografische vom künstlerisch anspruchsvollen, das volkerziehende vom zensierungswürdigen Bild zu trennen. Mithilfe des neuen Paragrafen "Lex Heinze" (benannt nach einem für besondere "Unsittlichkeit" bekannten Berliner Zuhälter) beschlagnahmte die Polizei um 1900 Abertausende von Bildern in den Studios und in den verschiedenen Vertriebskanälen.
Der immer größer werdenden Aktbildproduktion tat das allerdings keinen Abbruch. Einige dieser beschlagnahmten Bilder sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen, und es fällt - bis auf wenige Aufnahmen von Schwergewichtigen oder Prostituierten beim Sex mit teils mehreren Partnern - schwer, zu erkennen, was genau die zensierten von den öffentlich verbreiteten Fotos unterscheiden soll. Am Ende sind es eben alles Bilder von Nackten.
Um 1900 löste man das Problem der "Unsittlichkeit" in vielen Fällen mit dem vorgeblichen Interesse an feinsinniger Kunst. "Nur für Kunstbeflissene" war das Passwort für die unzensierte Produktion von Aktfotografien. Ginge man nach der Menge des verwendeten Materials, so heißt es im Begleittext zur Ausstellung augenzwinkernd, hätten die Künstler um 1900 die mit Abstand größte Berufsgruppe in Deutschland bilden müssen.
Unter dem Vorwand, für Putten, Engelchen und zahllose Venus- und Apollfiguren Modell zu stehen, wurden auch viele Kleinkinder in der damaligen Zeit zum Nacktmodell. Die Ausstellung zeigt eine relativ große Auswahl dieser Bilder. Aus heutiger Sicht, da Pädophilie deutlich stärker negativ konnotiert ist als in früheren Jahrhunderten, eine schwierige Gratwanderung.