"Akademie der Künste der Welt" in Köln:Der spannendste Ort Deutschlands

Kein plumpes Gegenmodell zum üblichen Kulturbetrieb: In Köln hat die Akademie der Künste der Welt ihre Arbeit aufgenommen - zum Glück. 14 internationale Künstler, Kuratoren und Theoretiker sollen diese Institution nun wie ein leeres Gefäß füllen. Zum Einstand wird die neue Vielfalt am Beispiel Beschneidung skizziert.

Alex Rühle

Was für ein gelungener Einstand, was für ein beeindruckender Tag. Gut, dass es diesen Laden ab sofort gibt. Ist ja eh schon ein Wunder, dass in Zeiten des Kürzens und Sparens eine gänzlich neue Institution eröffnet wird. Und dann noch in Köln. Als Kasper König, der scheidende Direktor des Museum Ludwig, seinerzeit davon hörte, dass diese Akademie in Planung sei, grantelte er: "Na, wir brauchen dringend Frischluft." Die Akademie sei "völlig atypisch für diese Stadt - was ja schon mal sehr gut ist".

Das stimmt auch insofern, als es zuletzt eigentlich nur schlechte kulturpolitische Nachrichten aus Köln gab: Uwe Eric Laufenberg wurde vor die Tür der Oper gesetzt, die Direktorin des Schauspielhauses Karin Beyer geht nach enervierenden Querelen nach Hamburg, und soeben wurde bekannt, dass Konrad Schmidt-Werthern, der in den vergangenen fünf Jahren das Kulturamt sehr kompetent leitete, Köln ebenfalls verlässt, in Richtung Berlin.

Jetzt aber passiert in dieser Stadt endlich mal etwas rundum Feines: Die "Akademie der Künste der Welt" hat am vergangenen Samstag erstmals ihre Pforten eröffnet. Wobei sie gar keine eigenen Pforten geschweige denn einen festen Ort in der Stadt hat, weshalb für die Eröffnung das Colonia-Theater angemietet wurde. Dort konnte man in den Festvorträgen der Polithonoratioren schön sehen, wie schwer sie sich doch noch mit dieser geheimnisvollen, neuen Einrichtung tun.

Heterogenität, Wagnis, Experiment, die drei Begriffe waberten so regelmäßig durch den Raum, dass man den Eindruck bekam, sie fungierten als eine Art Marx Brothers der kulturpolitischen Rhetorik, die Heiterkeit und Zuversicht verströmen sollen oder gar ablenken von der großen Frage: Was ist diese Akademie überhaupt? Ein multikultureller Gegenentwurf zu aller chauvinistischen Enge? Ein Gelehrtenclub? Und Akademien, waren das nicht diese homogen-elitären Kulturfabriken?

Also: Die Akademie der Künste der Welt fußt auf vier Säulen. Zum einen sind da die bislang 14 internationalen Künstler, Kuratoren und Theoretiker die dem Ganzen seine Gestalt geben sollen. Internationalität bedeutet hier nicht, ein paar Schweizer, Iren und Skandinavier zu versammeln, sondern tatsächlich Leute aus allen Kontinenten und Kunstsparten zu engagieren: Lemi Ponifasio ist Choreograf aus Samoa, die Dokumentarfilmerin Madhusree Dutta lebt in Mumbai, die australische Komponistin und Musikethnologin Liza Lim hat chinesische Wurzeln, und Liao Yiwu, der Autor, Friedenspreisträger und plötzliche Lieblingsdissident aller Deutschen, der nie eine Schule oder Universität besucht hat, sagt, er habe gar keine Heimat, sei aber stolz über sein Nominierung, "schließlich ist das die höchste Position, die ich je im Leben inne hatte".

"Gebt uns Zeit"

Die israelische Kuratorin Galit Eilat, die von den übrigen Mitgliedern am Freitag zur Präsidentin gewählt wurde, brachte auf die Frage, was sie denn hier nun machen werden, das radikal Neue der Akademie en passant zur Sprache: "Gebt uns Zeit. Wir müssen die Akademie erstmal formulieren." Soll heißen: Es sind die Künstler selber, die diese Institution wie ein leeres Gefäß füllen werden. Dazu passt, dass sie kein fertiges Haus beziehen, schließlich sind sie es, die darüber zu bestimmen haben, was ihre institutionelle Behausung in Zukunft ausmachen wird.

Der Islamwissenschaftler Stefan Weidner, ein weiteres Gründungsmitglied, versprach in seinem unterhaltsamen Eröffnungsvortrag, man werde "keine Relaisstation für Gelderverteilung sein." Die Gefahr droht schon deshalb nicht, weil die Akademie mit einem schmalen Jahresetat von 1,2 Millionen Euro auskommen muss. Von dem Geld wurden bereits die ersten Stipendiaten im Rahmen eines Artists-in-Residence-Programm für 12 Monate nach Köln eingeladen (Säule zwei). Außerdem soll es Best-Practice-Projekte außereuropäischer Kunst geben, die von Künstlern aus aller Welt vorgeschlagen werden. Und es wird eine Akademie mit Kölner Jugendlichen geben, die eigene Vorhaben realisieren können (Säulen 3 und 4).

Neue Wendung einer alten Debatte

All das klingt ja nun so, dass man den Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters mit seinem vagen Heterogenitätsgerede fast schon wieder verstehen kann, nach Experiment und ungedecktem Scheck auf die Zukunft, aber was kommt denn da nun bei raus. Tja, gleich am ersten Tag ihres Bestehens haben die Akademiemitglieder all die Bedenkenträger, die diese Offenheit im Vorfeld als diffusen Quatsch zu desavouieren versuchten, eines Besseren belehrt, indem sie ein Symposium organisierten zu einem Thema, das den vergangenen Sommer über schon von vermeintlich allen Seiten beleuchtet wurde: Dem so kontrovers diskutierten Beschneidungsverbot.

Schon das erste Panel mit drei Schriftstellern, die selbst beschnitten sind, machte deutlich, wie ergebnisoffen, aber auch wie multiperspektivisch und, ja: wie unterhaltsam hier an die Sache rangegangen wurde. Der in Deutschland lebende Iraker Najem Wali, der mit 13 beschnitten wurde, beschrieb diese schockierende Erfahrung derart eindrücklich, dass man ihm ohne Weiteres den Satz abnahm, seine erste Begegnung mit Folter habe nicht in Saddams Gefängniszellen stattgefunden sondern Jahre vorher, auf der Liege des Arztes. Als er vom Kölner Urteil hörte, war sein erster Gedanke: "Nach 44 Jahren bin ich rehabilitiert."

Der Österreicher Robert Schindel, der als Kind jüdischer Kommunisten geboren wurde und sich aus rein medizinischen Jahren als erwachsener Mann beschneiden ließ und das sehr anders erlebte als Wali ("Ohne ist viel besser!"), sagte, er habe den Eindruck gehabt, "die wollten mit dem Beschneidungsurteil den Muslimen in Deutschland eins auswischen. Und dann merkten sie jessas na, da gibt's ja auch noch die Juden. Jetzt wird's kompliziert."

Es gab dann Geschlechtertheorie, Queer-Thesen und Feminismusdebatte, drei Frauen aus Kairo, Istanbul und Libanon lieferten sich einen großartigen und sehr witzigen Schlagabtausch über Geschlechterrollen in der arabischen Welt und der/die intersexuelle Künstler-In Ins A Kromminga erzählte so privat wie eindrücklich von den Leiden eines Hermaphroditen am Zwang der Gesellschaft zur geschlechtlichen Eindeutigkeit und körperlichen Zurichtung und gab dem Thema der Beschneidung so eine ganz neue Wendung.

Vielleicht kann man den Reichtum der thematischen Bezüge und Wechselwirkungen des Symposiums wenigstens an einem Beispiel skizzieren: Die schon erwähnte Liza Lim stellte ein Konzertprogramm zum Thema der Beschneidung zusammen. Klingt bizarr? Ist es nicht: Da der 1. Januar als Tag von Jesu Beschneidung galt und dieser Tag im Kirchenjahr über Jahrhunderte hin fest verankert war, gibt es ein sehr reiches Repertoire an christlicher Beschneidungsmusik: "Viderunt Omnes" von Perotinus Magnus wurde 1199 uraufgeführt, eine der ersten vierstimmigen Kompositionen überhaupt, in der sich endlos scheinende Vokalketten in Sekundschritten um immer dieselben Haltetöne schlängeln. Steve Reich nimmt in seiner Komposition "Proverb" direkt Bezug auf die merkwürdig kreiselnde Polyphonie in Perotins' Komposition - im Konzert wirkte es, als sei der mittelalterliche Mönch ein direkter Vorläufer des Minimalisten Reich.

Ansingen gegen genitale Verstümmelung

Das Typische für diesen Tag war dann, dass nach diesen musikgeschichtlichen Ausflügen die senegalesische Hip-Hop-Sängerin Sister Fa auf die Bühne kam, die selbst als Mädchen beschnitten wurde und in vielen ihrer Songs gegen die genitale Verstümmelung der Frauen ansingt. Es gibt im Netz einen Dokumentarfilm, in dem sie auf einer Tour durch den Senegal begleitet wird, um einzelne Dorfgemeinschaften dazu zu bringen, diese Praxis zu beenden.

Wer nun sagt, das führe zu weit weg vom Thema der deutschen Beschneidungsdebatte, der braucht auch zu den nächsten Veranstaltungen der Akademie nicht zu kommen. Allen anderen aber sei gesagt: Diese Akademie dürfte auch ganz ohne eigenen Ort einer der spannendsten Orte Deutschlands werden.

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