Christian Thielemann dirigiert "Aida" in Dresden:Dröhnen und donnern

Christian Thielemann dirigiert "Aida" in Dresden: Georg Zeppenfeld als Ramfis und Oksana Volkova als Amneris in Katharina Thalbachs Inszenierung der "Aida" an der Semperoper.

Georg Zeppenfeld als Ramfis und Oksana Volkova als Amneris in Katharina Thalbachs Inszenierung der "Aida" an der Semperoper.

(Foto: Ludwig Olah/obs)

Kann man die Kriegsoper "Aida" unpolitisch aufführen - ausgerechnet jetzt? Katharina Thalbachs Dresdner Inszenierung entscheidet sich überraschend dafür.

Von Helmut Mauró

Die Dresdner Semperoper ist sicher nicht die erste Adresse, wenn es darum geht, alte Stoffe dem kritischen Zeitgeist anzuvertrauen - oder politischen Moden zu unterwerfen. Sie gehört in die Reihe der großen Häuser, wie etwa der Wiener Staatsoper oder der nordamerikanischen Opernhäuser, die mehr auf große Sänger setzen als auf rabiate Regie. In Zeiten, in denen von Sängerinnen und Dirigenten eine erwartete politische Haltung eingefordert wird, darf man sich über eine Bühne schon wundern, die einer politischen Kunst so offen misstraut, wie es nun in Dresden in Katharina Thalbachs Inszenierung von Giuseppe Verdis Opernschlager "Aida" sichtbar wird. Immerhin spielte man, wie inzwischen üblich, vor Beginn der Oper die Nationalhymne der Ukraine. Wenn Kunst und Musik immer politisch sind, wie das derzeit oft recht undifferenziert zu hören ist, worin besteht dann das Politische in "Aida"? Und was kommt da am Ende für eine Kunst heraus, wenn man, wie Katharina Thalbach, den politischen Faktor einfach ignoriert?

Politisch ist Musik zunächst nicht an sich, mag sie auch so dröhnend und donnernd brausen wie in Verdis "Aida". Es geht in dieser Oper ja beinahe durchweg im Forte und Fortissimo dahin und manchmal sogar noch lauter. Der Dirigent Christian Thielemann kann die Extreme mit der Sächsischen Staatskapelle so klangvoll gestalten, dass sie nie über das Euphorische hinaus ins Lärmende kippen. Ist das zu vornehm dirigiert? Sollte es hie und da nicht schmerzlich werden, um eine politische Wirkung zu erzielen? So einfach ist die Sache nicht. Musik bedarf eines begrifflichen Kontextes, um politisch sein zu können. Der reine Klang, die schiere Sprachgeste sind zu abstrakt, um daraus irgendeine Aussage zu konkretisieren. Man kann die gleiche Musik für gegensätzliche Inhalte verwenden; spätestens seit Johann Sebastian Bach ist das gut belegt.

Auch die unpolitische Inszenierung ist ein politisches Statement

Verdis "Aida" ist eine Kriegsoper. Dieses Genre gibt es seit Georg Friedrich Händel, bei ihm bisweilen auch im Dienste der englischen Propaganda. Bei Verdi denkt man: immer im Dienste des Vaterlandes. Der Gefangenenchor aus seiner Oper "Nabucco" wurde rauf und runter gesungen, der Komponist als Held der Einigung Italiens gefeiert. Politischer geht es kaum. Seine "Aida" dagegen sollte so etwas wie politische Folklore liefern zur Eröffnung des Suez-Kanals, sagen die einen, die anderen sagen, für den konkreten Anlass war sie nicht gedacht. Jedenfalls wurde die Oper 1871, zwei Jahre nach der Kanaleröffnung, in Kairo uraufgeführt. Aber seit wann werden italienische Opern in Ägypten uraufgeführt, wenn nicht jemand gut dafür bezahlt? Und ist so eine bestellte Kunst nicht automatisch der propagandistischen Absicht oder wenigstens des gefälligen Inhaltes verdächtig?

Jedenfalls erleben wir in "Aida" das große Volk tapferer Ägypter, die den Angriff der "barbarischen Äthiopier" ein ums andere Mal abwehren, und diese ihrem Reich als Sklaven einverleiben. Hans Neuenfels hat das 1981 in Frankfurt auch mit filmischen Mitteln ziemlich drastisch und politisch dargestellt. Katharina Thalbach dagegen hat nun bühnenhohe mittelbraune Holzpaneele auf die Bühne stellen lassen, was den herrlichen Gesangsstimmen - Krassimira Stoyanova als Aida, Francesco Meli als Radames - beste akustische Bedingungen verschafft, sich aber aller weitergehenden Deutungen entzieht. Am Ende siegt ja die Liebe des Feldherrn zur Sklavin im gemeinsamen Tod über alles andere. Ist diese Inszenierung ein Gegenentwurf zu aktuellen Forderungen, Künstler und Kunst müssten politischer werden?

In Kriegszeiten gelten neue Regeln. Wo man früher Völkerverbindendes begrüßte, vermutet man nun etwa im Wirken des Dirigenten Valery Gergiev ein Vormachtstreben der russischen Kunst und Musik, "die klingende Inszenierung einer aggressiven großrussischen Ideologie, die offen die Vorherrschaft über Europa proklamiert". So war dies im Spiegel zu lesen, und da fühlt man sich doch gleich ermuntert, das Vaterland auch musikalisch zu verteidigen. Sollte man nun aber von Künstlern und der Kunst mehr politische Haltung fordern, auch von bereits verstorbenen, dann muss man nicht nur mit dem Risiko leben, dass man einige auf der falschen Seite wiederfindet. Dann muss man auch wollen, dass die Kunstfreiheit weniger wiegt als eine erwünschte politisch-moralische Haltung. Insofern ist die Dresdner "Aida" auch ein politisches Statement. Nämlich für den derzeit gar nicht so leicht zu verteidigenden Glauben an eine freie Kunst.

Arte überträgt die Inszenierung am 13. März ab 16.25 Uhr live aus der Semperoper.

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