Salzburger Festspiele:Aufmarsch der Bilder

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Aida (Elena Stikhina) und die Klagefrauen am Meeresstrand. (Foto: Ruth Walz/Salzburger Festspiele)

Shirin Neshat hat ihre Inszenierung von Verdis "Aida" bei den Salzburger Festspielen überarbeitet. Jetzt gibt es schöne Videos, aber immer noch kaum Theater.

Von Egbert Tholl

Für die Salzburger Festspiele ist der Vorgang reichlich ungewöhnlich: 2017 inszenierte hier die iranische Fotografin und Filmemacherin Shirin Neshat Verdis "Aida". Es war ihre erste Arbeit als Opernregisseurin, und die hatte mit Opernregie nicht sehr viel zu tun, in Erinnerung ist der Eindruck einer aufwendigen konzertanten Veranstaltung. Nun kehrte Neshat zurück, um ihre damalige Arbeit zu überarbeiten. Tatsächlich dringt sie nun zum Wesenskern ihres künstlerischen Tuns vor, baut eigene Videoarbeiten ein, Filme und soghafte Porträts von erlesener Bildqualität. Von Personenführung hat sie indes immer noch keine Ahnung.

Angeblich wollte sie bereits 2017 viel mit Video arbeiten, der Widerstand des Dirigenten Riccardo Muti habe dies verhindert. So heißt es. Klingt schlüssig, denn nun ziehen, bevor die Musik erklingt, seltsam verhüllte Gestalten an der Bühnenkante im Großen Festspielhaus vorbei (Ku-Klux-Klan? Karfreitag in Spanien? Schwarze Tannenbäume?). Sie tragen eine Schale mit Weihrauch und werden als drohendes Menetekel auch immer wieder in der Aufführung vorbeischauen. Zudem setzt die Musik zwischen den Szenen immer wieder aus, und man sieht grobkörnige Menschenporträts, dazu hört man ein zwitscherndes Flüstern. Das schaut gut aus, aber mehr als den wohlfeilen Hinweis darauf, dass Neshat alle Menschen ansprechen will, gibt es nicht her.

Amneris (Ève-Maud Hubeaux) und die Priester (im Video). (Foto: Ruth Walz/Salzburger Festspiele)

Sinnstiftender sind die Filme, meist schwarz-weiß, die während der Aufführung zu sehen sind und aus älteren Arbeiten Neshats ("Passage", "Rapture") entlehnt sind. Schwarz verhüllte Frauen, mal als selbstbewusste Gruppe, mal wie schmerzzerrissene Klageweiber, Szenen auf einer Zitadelle mit ebenjenen Frauen und Herren in weißen Hemden und schwarzen Hosen, die wie aus einer Camus-Verfilmung wirken. Meer, Strand, Wüste, ein kleines Boot mit Frauen, das hilflos auf die See hinaustreibt. Die Bilder haben viel Atmosphäre, sie schaffen mitunter sogar einen zwingenden Assoziationsraum für das Bühnengeschehen, doch letztlich bleibt es bei dem Eindruck, man schaue sich gerade eine Videoinstallation an, in der zufällig noch ein paar echte Menschen herumstehen. In "Aida" geht es auch um einen Krieg, den zwischen Ägypten und Äthiopien; dass derzeit ein Krieg am Rande Europas tobt, kann man nur als dräuendes Fluidum von Unterdrückung und Gewalt erspüren. Shirin Neshats Überarbeitung zielt nie auf Aktualisierung. Und wird dennoch herzhaft ausgebuht.

Erlesene Ästhetik ist halt nicht alles in der Oper. Das Bühnenbild von Christian Schmidt, ein riesiger Kubus, den man aufklappen und zweiteilen kann, ist immer noch beeindruckend, zudem er nun als Projektionsfläche taugt. Aber drumherum oder auch darin passiert wenig. Chormassen werden arrangiert in aufwendig gestalteten Kostümen, die wie eine Luxusvariante der Oberammergauer Passionsspiele wirken, Geistliche aller Art, die, immerhin das wird spürbar, die Macht in der Hand halten. Das Militär ist hier nur ein Werkzeug des religiösen Regimes, Radamès kein Held, sondern ein kleiner Krieger, der tun muss, was man ihm sagt. Piotr Beczala gibt in der Partie sein Rollendebüt, er wirkt angestrengt, aber letztlich doch souverän, nur Liebe darf er nicht spielen, er kommt Aida kaum nah.

Die Mezzosopranistin Ève-Maud Hubeaux springt als Amneris ein und begeistert

Alain Altinoglu dirigiert dazu die Wiener Philharmoniker mit exakt zwei Aggregatszuständen: laut und leise. Laut ist laut und undifferenziert, leise ist betörend. Gerade im Verbund mit Elena Stikhina, die als Aida über ein wundervolles Pianissimo verfügt, auch sonst ihre Partie vollkommen beherrscht - und unsichtbar wird, wenn sie nicht singt. 2017 war die Aida Anna Netrebko, sie füllte die Statuarik der Inszenierung mit Leben, trug ein Kleid wie eine altägyptische Skulptur. Stikhina hat ein schwarzes, unscheinbares Kleid an. Das bringt ihre Präsenz nicht weiter. Luca Salsi, der Aidas Vater Amonasro singt, hilft sich selbst auf hemdsärmelige Art: Die Absenz jeder Spielidee füllt er als süditalienischer Mafiaboss, weniger als äthiopischer König.

Eine strahlt. Ève-Maud Hubeaux erfuhr Anfang August, dass sie die Amneris singen wird. Ihr Einspringen ist ein Triumph. Sie füllt die Szene mit ihrer Erscheinung, sie liebt und leidet, sie ist ein Mensch aus Stimme, Fleisch und Blut. Neben ihr verblassen alle anderen.

Und dann gibt es einen kleinen Moment, da finden Musik und Szene zueinander, da wird es Theater. Die Priester stacheln die Kriegsbereitschaft des dummen Volks an, bei Verdi folgen brachiale Rufe nach Krieg ("Guerra!"), hier indes ist das Volk müde. Keine Begeisterung, schon gar nicht für einen Krieg. Das ist fast ein Trost.

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