Aida in Bregenz:Der Natur trotzen

Die Festspielzeit in Bregenz hat begonnen. Abermals erblühte für Verdis "Aida" die aufwändige Kulisse auf der Seebühne. Die Premiere fiel ins Wasser. Aber das ist wunderbar.

Lars Langenau

Alles ist eine Frage des Selbstbewusstseins. Wir sind NICHT overdressed, nein. Vielmehr sind all die anderen Besucher der Premiere von Aida in Bregenz underdressed. Die Kleiderfrage beschäftigte uns tatsächlich schon eine ganze Weile im Vorfeld des Besuchs der vorarlbergischen Landeshauptstadt am Rande des Bodensees. Wir hatten da Bilder von Tosca im James-Bond-Film Quantum of Solace im Kopf, wo die Damen in Roben und die Männer im Frack erschienen waren.

Singer Tamar performs on giant floating stage at Lake Constance during premiere of Giuseppe Verdi's 'Aida' in Bregenz

Iano Tamar will als Amneris die Liebe des Soldatenführers Radames erobern.

(Foto: Reuters)

"Das waren Statisten. Und da im Frühjahr gedreht wurde, hatten die teilweise Neoprenanzüge unterm Frack", klärt uns der Pressesprecher auf. Wir hatten uns in Anzug (ohne Krawatte) und langes schwarzes Abendkleid (auch ohne Krawatte) geschmissen. Und kamen uns dann ein wenig deplatziert, wenn auch nicht verloren vor unter etwas älteren Schwäbinnen, die sich ausgestattet hatten wie für ein Wochenende auf dem Campingplatz. Ein Wochenende mit schlechter Wettervorhersage, wohlgemerkt.

Selbstbewusst im Ahoi-Brause-T-Shirt

Tatsächlich hatten sich andere Besucher offenbar nicht so einen Kopf um die Kleiderfrage gemacht: Da kamen manche selbstbewusst im Ahoi-Brause-T-Shirt, andere direkt von einer Bergwanderung und manche fanden Lederhosen angemessen. Weitere Damen hatten sich in Fummel geschmissen, die offensichtlich operierte Kurven zur Geltung bringen sollten.

Ist der Verzicht auf die Abendgarderobe beim Opernbesuch ein Sittenverfall? "Nein", beruhigt der Pressesprecher, "das war auf der Seebühne schon immer so." Womit er recht hat, denn er spricht aus Erfahrung: Die Frage nach der Garderobe hatte sich nach ungefähr drei bis vier Minuten egalisiert. Es fing an zu regnen. Aber wie. Und hörte nicht mehr auf. Eine Dreiviertelstunde lang.

Bitte gehen Sie jetzt nach Hause

Aber das machte nichts - und es war mehr als ein Mückenschutz. Denn manchmal gibt es magische Momente beim Schauspiel, beim Theater, in der Oper. Auf der Bühne und im Auditorium. Da gibt es eine Interaktion zwischen dem Ensemble und dem Publikum. Und an diesem Abend in Bregenz war das wieder mal so. Die Sänger und Komparsen hielten durch, und das Publikum war gewillt, das auch zu tun. Oder war es umgekehrt? Jedenfalls war auf beiden Seiten das starke Gefühl, der Natur trotzen zu können.

Gepriesen seien die, die sich Plastikregencapes präventiv übergestülpt hatten. Da kommt zwar Kinostimmung mit nervenden Nachbarn und knisternden Chipstüten auf, aber die Menschen hatten ja so recht. Ganzkörperkondomgewandet überstanden 7000 Besucher eineinhalb Stunden einer prächtigen Aufführung.

Doch dann erschien Dirigent Carlo Rizzi auf den großen Bildschirmen, auf denen während der Vorstellung Bilder aus dem Orchestergraben aus dem Konzerthaus übertragen wurden - und blies das Konzert ab. Dauerregen. Keine Hoffnung auf Wetterbesserung. Am Ende des dritten Aktes. Und das auf der Klimax, dem Höhepunkt.

"Bitte gehen Sie jetzt nach Hause"

Aber wir hatten Glück, wir hatten - wie 1398 andere auch - noch Karten für das Opernhaus. Die Besitzer der Seekarten wurden freundlich aber bestimmt heimgeschickt: "Bitte gehen Sie jetzt nach Hause." Wir aber durften vollkommen durchnässt aber nun im Trockenen das Ende der Liebesgeschichte zwischen dem ägyptischen Feldherrn Radames und der äthiopischen Sklavin Aida erleben, die in der Arie in dem Ausdruck "tremendo amor", "schreckliche Liebe", kulminiert.

Giuseppe Verdis Oper feierte schon im vergangenen Jahr seine Premiere in Bregenz, doch auch noch diesen Sommer darf man in 25 Aufführungen wieder ein beeindruckendes Spiel auf der Seebühne erleben. Es ist ein nach wie vor faszinierendes Bühnenbild von Paul Brown mit einer zerstörten Kolossalstatue im Zentrum, die sowohl Macht als auch Vergänglichkeit symbolisiert.

Mit zwei Baukränen an den Seiten des Bühnenbildes zaubern Kranführer ein so variables Bühnenbild, dass sich das Ruinenfeld alle paar Minuten überraschend verändert. Auf Hebebühnen unter der Wasseroberfläche lässt Regisseur Graham Vick all seine Kunst und Können spielen: Ständig schlägt Vick eine Brücke zwischen Antike und Gegenwart.

Von den Fragmenten eines zerstörten Koloss in Himmelblau mit goldenen Sternen (der die amerikanische Freiheitsstatur darstellt) bis zum goldenen Elefanten, Pharaonenmasken, den Gewändern von Klerikern (mit frappierender Ähnlichkeit zwischen ägyptischer und päpstlicher Obrigkeit) über ein modernes Wasserballett bis zu Gefangenen, die in der Kleidung von Guantanamo-Häftlingen stecken. Es ist ein Spektakel das die Historizität der Oper in die Wirklichkeit zerrt. Ein großes Erlebnis. Großes Kino. Der Gesang tritt da fast ein wenig in den Hintergrund. Herauszuheben sind neben Maria José Siri als Aida (Sopran), Iano Tamar als Amneris, die Tochter des ägyptischen Königs (Mezzosopran), und der Tenor Arnold Rawls als Radames.

Warum hatten wir eigentlich keine Wechselklamotten dabei? Aber wir waren ja nicht bei einem Bundesligaspiel, sondern eben in einer Oper. Hochkultur quasi. Aida ist einfach DIE "Open-Air-Oper" und zieht ein Massenpublikum an. Wir vertrauten der Intelligenz des Schwarms. Und sind gut damit geschwommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: