"Aheds Knie" im Kino:Schrei in der Wüste

"Aheds Knie" im Kino: Ein Tanz zwischen Gegnerschaft und Anziehung: der Filmemacher (Avshalom Pollak) und die Frau vom Ministerium (Nur Fibak).

Ein Tanz zwischen Gegnerschaft und Anziehung: der Filmemacher (Avshalom Pollak) und die Frau vom Ministerium (Nur Fibak).

(Foto: Grandfilm)

In "Aheds Knie" geht der Filmemacher Nadav Lapid hart mit seiner Heimat Israel ins Gericht. Doch hart ist er auch gegen sich selbst.

Von Philipp Stadelmaier

Heulender Motorenlärm, vorbeiziehende Häuserfronten, prasselnder Regen. Eine Frau auf einem Motorrad, mit heruntergeklapptem Visier über eine Schnellstraße in Tel Aviv rasend, auf Konfrontationskurs. Am Ende betritt sie ein Gebäude, nimmt Platz, öffnet ihre Montur und zerreißt ihre Strumpfhose, unter der die Kniescheibe zum Vorschein kommt. Dazu verliest ein Schauspieler einen Tweet in abgehacktem Stakkato, als würde er eine verbale Maschinengewehrsalve abfeuern: Das Knie habe eine Kugel verdient, um die Trägerin für den Rest ihres Lebens zur Bewegungslosigkeit zu verdammen.

Die Frau, stellt sich heraus, nimmt an einem Filmcasting teil, spielt mit in einer Szene, die von politischen Ereignissen aus den Jahren 2017 und 2018 handelt. Damals verbreitete die 16-jährige palästinensische Aktivistin Ahed Tamimi ein Video, wie sie am Rande von Ausschreitungen im Westjordanland einem israelischen Soldaten ins Gesicht schlägt, dafür wurde sie verhaftet und verurteilt. Der rechts-religiöse israelische Politiker Bezalel Smotrich schrieb daraufhin auf Twitter, sie habe eine Kugel verdient - "mindestens in die Kniescheibe".

Dies ist der Ausgangspunkt für das Filmprojekt des Regisseurs X. (Avshalom Pollak). Beim Casting wird gesungen, ein Trommelfeuer aus Handschlägen prasselt auf die Kniescheibe nieder, und schließlich nimmt X. einen Hammer, "um das Knie zu zertrümmern". Die rebellische Energie der Aktivistin hat X.' Kunst ganz und gar durchdrungen. Die Aggressivität von Politikern wie Smotrich aber auch.

Der Regissseur X. ist eine Art Alter Ego des israelischen Filmemachers Nadav Lapid, der seinen neuen Film "Aheds Knie" genannt hat. Um das Knie, das Casting und den geplanten Film-im-Film geht es dann aber nicht mehr, vielmehr tauchen wir in den Alltag des Filmemachers ein, der - genau wie Lapid selbst - seinem Land äußerst kritisch gegenübersteht. Schon in seinem letzten Film "Synonymes", für den er 2019 auf der Berlinale den Goldenen Bären gewann, folgte Lapid einem jungen Israeli, der nach Paris emigrierte, um seine verhasste Muttersprache zu verlieren. Jetzt kehrt Lapid in seine Heimat zurück, um sie auf eigenem Grund und Boden anzuklagen. Für "Aheds Knie" hat er vergangenes Jahr in Cannes den Jurypreis gewonnen.

Der Regisseur X. reist bald in ein kleines Dorf in der Arava-Wüste, um einen seiner früheren Filme vorzustellen. Hier trifft er Yahalom (Nur Fibak), die im Kulturministerium arbeitet. Sie überreicht ihm ein Formular, auf dem er für das Ministerium ankreuzen soll, worüber er sprechen wird. Zur Wahl stehen nur harmlose Themen. Was aber, fragt X., wenn er über den "Verlust der Seele dieses Landes und seine Verrohung" reden wolle? Könne er das auch ankreuzen?

Der Staat Israel, sagt Nadav Lapids Alter Ego, verachte seine Künstler

Für X. ist die Liste ein Ausdruck von Zensur und Gängelung: Künstlern mit "abweichenden Meinungen" werde Förderung erschwert oder verweigert. Gemeint ist hier wohl die Kulturpolitik der bis 2020 tätigen Ministerin für Kultur und Sport, Miri Regev, gegen die in Israel heftig protestiert wurde. Weswegen X. die Frau vom Ministerium auf Band aufnehmen und ihr das Geständnis entlocken will, dass das Ministerium für Kunst die Kunst verachte, allen Künstlerinnen und Künstlern den Krieg erklärt habe. Doch am Ende ist er es, der seinen ganzen Hass auf sein Land in die Wüste hinausschreit.

In seiner Namenlosigkeit steht X. für Lapid und andere linke israelische Künstler. Er ist weniger eine Figur als eine Verdichtung filmischer Energie und politischer Wut, die den Film maximal unangenehm macht. Nicht nur mit Bezug auf seine Inhalte, sondern vor allem mit Bezug auf seine Form. Im Vordergrund sieht man einen Rücken, der Hintergrund ist unscharf. Das bisschen übrig gebliebene Schärfe wird "herausgepresst", als würde Lapid zeigen wollen, dass man in Israel kaum einen politischen Film drehen kann, ohne jede Einstellung dem Staat abringen zu müssen.

Zudem ist da eine zähe, quälende erotische Spannung zwischen dem Künstler und der Ministeriumsfrau, eine ständige Annäherung, in der sich ihre Lippen immer wieder näherkommen, ohne sich je zu berühren. Das ist nur konsequent: Der Kuss wäre die ultimative Verschmelzung zwischen Künstler und Staat, zu der es nicht kommen darf. Außerdem muss zwischen den Lippen genug Platz bleiben zum Sprechen, Schreien, Anklagen. Würden sie sich küssen, wäre X.' Mund vernäht, der Protest tot. Und doch bleiben sich Künstler und Staat unerträglich nah, auf Kussnähe.

Diese Spannung durchzieht den ganzen Film. Die nervös umherschwenkende, beinahe federnde Kamera illustriert X.' Wut und seine Energie, aber sie verbindet den Filmemacher auch mit der Wüste, die er durchschreitet, in der er telefoniert, manchmal auch tanzt. Sie verortet den Filmemacher geografisch genau in dem Land, gegen das er sich zur Wehr setzt, und auf dem X. einmal bäuchlings landet, sodass die Lippen die Steine berühren. Und dann ist da noch X.' militärische Vergangenheit, von der er Yahalom in Rückblenden erzählt, und in der seine Rolle so ambivalent und offenbleibt, dass die Grenzen zwischen Täter und Opfer komplett verschwimmen.

Auch der Stadt Jerusalem möchte X. entkommen und muss doch erkennen: "Nichts kann sie und mich je trennen!" Zu seinem Protest gehört die intrinsische Verbundenheit. Darin liegt die politische Intelligenz von Lapids Filmen: in der Evidenz der Unmöglichkeit, Angeklagtes und Gehasstes loszuwerden, wenn es sich schon in einem selbst befindet. Ob es sich nun um eine Muttersprache handelt, wie in "Synonymes", oder um ein Territorium, wie hier. Ohne diese präzise, formal gnadenlose Auseinandersetzung mit dieser Verbundenheit wäre Lapids Kino ein beliebiges politisches Pamphlet, eine "Position", eine schiere Behauptung. Lapid verwandelt seinen Film in eine Waffe, die sich selbst zerlegt. Und ganz am Schluss, als alles schon abgedreht war, nahm er sogar finanzielle Förderung vom israelischen Kulturministerium an.

Ahed's Knee, Israel, Deutschland, Frankreich 2021 - Regie und Buch: Nadav Lapid. Kamera: Shaï Goldman. Schnitt: Nili Feller. Mit Avshalom Pollak, Nur Fibak, Yoram Honig. Grandfilm, 109 Minuten. Filmstart: 17.03.2022.

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