Süddeutsche Zeitung

Afropopkolumne:Alles riskieren

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Das neue Album des deutsch-nigerianischen Rappers Ade Bantu und seiner Band Bantu - sowie die Antwort auf die Frage, ob ein Popsong die Trauer, Wut und Machtlosigkeit flüchtender afrikanischer Jugendlicher ausdrücken kann, ohne kitschig zu sein.

Von Jonathan Fischer

Hat die Pandemie die Popmusik Afrikas gelähmt? Wenn man Bantu auf ihrem neuen Album "Everybody Get Agenda" (Broken Silence) hört, mag man eher das Gegenteil glauben: Dass hier eine lange köchelnde Wut höchst kreativ in Form gebracht wurde. Dass die Musiker all das aussprechen, was Fernseh- und Nachrichtensender verschweigen. Dass die Revolution lebt! Zwar ist die nigerianische Hauptstadt Lagos, wo Bandleader Ade Bantu und seine 12-köpfige Band leben, noch ziemlich glimpflich davongekommen. Einerseits. Andererseits mag Ade Bantu deshalb nicht feiern: Denn die Regierung lässt die vielen von der Krise getroffenen Tagelöhner ohne jede Hilfe im Stich - neben Korruption und Meinungszensur ein Dauerthema für Bantu.

Gekämpft hat der deutsch-nigerianische Rapper schon immer: Bereits Mitte der Neunziger gründet er in Köln die "Brotherhood Alliance Navigating Towards Unity", kurz Bantu. Zuvor hatte er sich im deutschen Hip-Hop als Mitbegründer des antirassistischen Projekts "Brother's Keepers" einen Namen gemacht. In seiner Wahlheimat Lagos gehört er zu den wichtigsten lokalen Live-Acts. Das von ihm ausgerichtete "Afropolitan Vibes"- Festival bringt Nachwuchskünstler mit großen Pop-Acts wie Burna Boy oder Wizkid auf die Bühne und soll als Plattform für panafrikanischen Widerstand verstanden werden. "Wir Musiker sind verpflichtet, Stellung zu beziehen, die kleptokratische Klasse unseres Landes anzuklagen", so Ade Bantu zu seiner Mission.

Die aktuelle Single "Animal Carneval" erinnert mit Trommelwirbeln, Bläserfanfaren und Politbotschaft an klassischen Afrobeat aus den Siebzigern. Der Tierzirkus aber spielt in der nigerianischen Gegenwart: "Führende Politiker erklären das Verschwinden großer Geldsummen immer wieder mit verzauberten Tieren. Sie geben vor laufenden Kameras zu Protokoll, eine Schlange hätte es verschluckt, oder eine Bande Affen geklaut."

Einer der Höhepunkte des Albums ist Seun Kutis Gastspiel: Zwar sind Bantu und Fela Kutis Sohn seit ihrer Jugend befreundet, sie haben aber noch nie zusammen einen Song aufgenommen. "Yeye Theory" handelt mit seinem Fela-Sample von der Auslöschung und Umprogrammierung des kulturellen Gedächtnisses Afrikas - durch weiße Theoretiker, die mit ihrem rassistischen Blick benennen, fixieren und limitieren. Das gilt auch für die Musik: So vertraut manche polyrhythmischen Kicks und Chants klingen mögen, retro sind Bantu nicht. Vielmehr mischen die Musiker Zutaten aus Hip-Hop, Rhythm'n'Blues und Funk. Da rollt "Yagu Yagu", ein spiritueller Gesang der Yoruba für ihre Krieger im ungewohnten 6/8 Takt. Erinnern lärmende Gitarren-Breaks mal an Ade Bantus Kindheitshelden Public Enemy und die Band James Browns, während manche Passagen - "das lief daheim bei meiner Mutter" - einen gewissen James-Last-Einfluss erkennen lassen. Etwa in "Water Cemetery". Ein ungewöhnlich leiser Popsong, der sich an die Jugendlichen wendet, die die Flucht nach Europa riskieren. Er setzt mit Balafonklängen ein, lässt federnde Rhythm'n'Blues Gitarren Bantus sanfte Raps untermalen und steigert sich erst gegen Ende mit beschwörenden Chants. "Es war für mich der schwierigste Song auf dem Album", sagt der Songwriter. "Dieses Gefühl von Trauer, Wut und Machtlosigkeit auszudrücken, ohne kitschig zu werden." Bantu prangert dabei gleichzeitig die Untätigkeit der Europäer wie auch der afrikanischen Regierungen an.

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SZ vom 06.10.2020
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