Süddeutsche Zeitung

Afropop-Kolumne:Highlife Hep Cats

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Nachdem man die Soul-Singles aus den Südstaaten gezogen hatte, kümmerte man sich um die afrikanische Verwandtschaft von Jazz, Soul und Funk. Hier sind einige der Preziosen.

Von JONATHAN FISCHER

Nachdem um die Jahrtausendwende herum Plattensammler und Rare-Groove-Fetischisten noch die letzte Soul-Single aus den Lagern irgendeines Ware Houses in den Südstaaten gezogen hatten, alle raren B-Seiten und unveröffentlichten Studiotakes jeder lokalen Funk-Band wiederveröffentlicht worden waren, kam die Frage auf, ob man nicht mal den Blick auf die andere Seite des Atlantiks richten sollte. Warum nicht die afrikanische Verwandtschaft von Jazz, Soul und Funk suchen? Und nach vergessenen Klangschätzen des schwarzen Kontinents schürfen? Als der Berliner DJ Frank Gossner vor 15 Jahren bei einem Plattenkaufzug in Philadelphia zufällig auf eine Platte des nigerianischen Tabansi-Labels stieß, war er elektrisiert: Der psychedelische Afrobeat eines Musikers namens Pax Nicholas klang anders als alles, was er bisher gehört hatte. Etwas später saß er im Flugzeug Richtung Westafrika. Er wühlte sich durch aufgegebene Plattenläden, gab Anzeigen auf und klebte Poster mit den von ihm gesuchten Platten. Der Berliner wurde zum Pionier für eine ganze Schar von Sound-Archäologen, die damals Afrika als Ausgrabungsstätte für seltenes Vinyl entdeckten. Unter anderem "Analog Africa", "Strut Records", "Soundway" und "Mr. Bongo" veröffentlichten die in den Archiven von Radiostationen, Nachlässen von Musikern und Lagern einstiger Plattenfirmen aufgespürten Tonaufnahmen. Stellten diese archäologischen Trips nicht eine Form von Neokolonialismus dar? Hätte man die Tonträger als historische Kulturzeugnisse nicht besser in Afrika lassen sollen?

Bezeichnenderweise wurde diese Diskussion nur im Westen geführt - und unter Auslassung der Fakten: Meist hatte sich niemand vor Ort für die Schallplatten interessiert. Hätten ihnen ein paar rührige Wiederveröffentlichungslabel nicht ein zweites Leben geschenkt, wären sie für eine jüngere Generation verloren gewesen, aus dem Kultur- und Geschichtsgedächtnis Afrikas gelöscht. Zudem darf man die meisten der Wiederveröffentlichungen als reine Liebhaberei betrachten. So auch im Fall des Londoner Labels BBE (Barely Breaking Even, deutsch: "Gerade mal rentabel"), das den gesamten Backkatalog des nigerianischen Labels Tabansi offiziell lizenziert hat.

In den Siebziger- und Achtzigerjahren hatte Chief Tabansi mit eigenen Studios und Vinylpresswerk in Lagos die Lücke gefüllt, die der Abzug westlicher Plattenfirmen aus Westafrika hinterlassen hatte. Nun legt BBE die ersten acht von geplanten 60 Reissues vor: Im Originaldesign - mit krachigen, mal an Disco-Mode, mal an Afro-Folklore erinnernden Covers. Und natürlich neben CD auch auf Vinyl.

Um es vorwegzunehmen: Nicht alle der Wiederveröffentlichungen werden die Gemeinde der Afrobeat- und Rare-Groove-Fetischisten ansprechen. Gerade in den Achtzigerjahren kopierten viele nigerianische Künstler die Popmoden aus Amerika. Im besten Fall funktioniert da ein Album wie Nkono Teles' Album "Partybeats" als Fundgrube für Hip-Hop-DJs und Breakbeat-Bastler, die sich am Charme der rumpelnden Synthies und ungeschliffenen elektronischen Effekte berauschen.

Aber dann bleiben doch einige ganz famose Fundstücke: Etwa Zeal Onyias "Trumpet King Zeal Onyia Returns" ein energiestrotzendes, frisch-fröhliches Highlife-Album des von Louis Armstrong als "highlife hep cat of Nigerian Jazz" gehypten Trompeters, er hatte zuvor in Deutschland klassische Musik studiert. Eine weitere Highlife-Preziose ist die von afrokubanischen Bläsersätzen angetriebene "Dytomite Starlite Band Of Ghana". Oder Ojo Balingos "Afrotunes": eine Rarität, die repetitive, percussionlastige Juju Sounds mit Psych-Rock-Gitarren hochkocht. Auch der ghanaische Afrobeat-Pionier Ebo Taylor ist mit "Palaver" vertreten: Er hatte das Album während einer Tournee in Nigeria aufgenommen, wo es dann in den Studioregalen verstaubte. Sollten Geld oder Neugier aber nur für ein einziges Album ausreichen, dann empfiehlt es sich unbedingt, hier reinzuhören: "Ewondo Rhythm" von Ondigui und Bota Tabansi International. Die silbrig klingelnden Gitarren des kongolesischen Soukous, Highlife-Bläser und Harmoniegesänge entfachen auch vier Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung ihre Magie. Frisch klingt das. Und - auf eine leichtfüßige Art - funky. Kein Wunder, dass die kolumbianischen Champeta-Soundsystems (sie kombinieren Afro- und Latinstile) auf der anderen Seite des Atlantiks dieses Album seit Langem auf ihren Playlists haben und ambitionierte DJs Unsummen für "Ewondo Rhythm" hinlegen. Auch deshalb noch mal ein Danke an alle Vinyl-Archäologen: Afrika braucht Digger, die solche Kulturschätze für alle zugänglich machen!

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SZ vom 27.08.2019
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