Süddeutsche Zeitung

Afrikanische Literatur:Wenn es kein Warum gibt

Der nigerianische Schriftsteller Elnathan John erzählt in seinem Debütroman "An einem Dienstag geboren" von einer Jugend ohne Zukunft und voller Gewalt, die bis in die Gegenwart fortwirkt.

Von Cornelius Wüllenkemper

Was muss man erlebt haben, um sich nach dem Baobab-Baum zurückzusehnen, unter dem die Dorfjugend "wee-wee" rauchte und sich mit den letzten Morden und Diebstählen brüstete? Für den gerade volljährigen Dantala aus der fiktiven nigerianischen Kleinstadt Bayan Layi steht der Baobab für das Gefühl von Unbesiegbarkeit und den Traum, fliegen zu können. "Jeder Tag ist eine Plage, lässt mein Leben mehr verglühen, zu Asche werden. Ich weiß nicht mehr, welche meiner Erinnerungen echt und welche Träume sind, die sich mein Kopf zusammenspinnt, damit ich nicht aufgebe" - diese düsteren Worte legt der nigerianische Schriftsteller Elnathan John seinem Protagonisten Dantala am Ende eines siebenjährigen Martyriums zwischen religiöser Unterdrückung, ethnischer Segregation und erschütternden Gewaltexzessen in den Mund.

Elnathan John wurde 1982 in Kaduna im Nordwesten des Landes geboren, als die Grenzregion zum Tschad noch ein ethnisch-religiös vielfältig geprägter Ort war. In den Neunzigerjahren dann explodierte ein Pulverfass, dessen Zündschnur die britischen Kolonialherren bereits 1960 gelegt hatten, als sie die unterschiedlichen Volksgruppen in ein willkürlich geschaffenes Korsett namens Nigeria zwangen. Elnathan John, der heute laut Selbstbeschreibung als "Satiriker, Anwalt auf Erholung und Schriftsteller" in Nigeria und Deutschland lebt, wirft in seinem Romandebüt "An einem Dienstag geboren" einen ebenso präzisen wie schmucklosen Blick auf die ethnisch-religiösen Konflikte seiner Heimat.

Johns Protagonist Dantala ist einer der Jungen ohne Alter und ohne Identität, die unter dem Baobab-Baum ihr Bewusstsein vernebeln und auf den nächsten kriminellen Auftrag warten. Die Handlung setzt im Jahr 2003 ein, als Dantala und seine Mitstreiter während der Parlamentswahlen von der "Kleinen Partei" beauftragt werden, den Wahlkampf der Konkurrenz aufzumischen. Die lukrative Mission endet mit einem brennenden Wahlkampfbüro, dessen Chef unter Dantalas Machete zu Boden geht und Schüssen der Polizeimiliz in eine aufgebrachte Menschenmenge. Seine Familie bietet Dantala keinen Schutz, sein bester Freund stirbt während der Ausschreitungen bei der Wahl. Der ansehnliche Geldbetrag, der ihm bei seiner Flucht vor den Regierungstruppen zufiel, wird ihm im Tumult während einer Nahrungsmittelverteilung gestohlen. Das ist erst der Auftakt einer Geschichte, die man als düsteren Beweis dafür lesen kann, dass der Mensch des Menschen ärgster Feind ist.

"Ich höre besser auf, mir Gedanken zu machen, von denen ich Kopfweh kriege."

Dass Hoffnung den Weltenlauf verändern oder dass zwischenmenschliche Bezogenheit Halt geben kann - das erscheint hier illusorisch. Die stilistische Konsequenz, mit der Elnathan John den Lebensweg seines Helden Dantala aufschreibt, ist bemerkenswert. Hier ist vom Schicksal derjenigen Menschen die Rede, die sich demselben längst ergeben haben. Immerhin keimt Hoffnung auf, als der Imam einer moderaten islamischen Gemeinde Dantala ein Dach über dem Kopf und vor allem das Gefühl von Freundschaft und eine Lebensperspektive bietet.

Bei seinem Zimmergenosse lernt Dantala die englische Sprache und setzt sich so erstmals mit bisher unbekannten Begrifflichkeiten auseinander, Worten wie "familiär", "Anthropologie", "Kajal", "Angst", aber auch "entdecken" oder "warum" spielten in seinem Leben bisher keine Rolle. So entdeckt Dantala erstmals Vorstellungswelten jenseits von Gewalt und Unterdrückung. Am Ende aber stürzt ihn das nur umso tiefer in die Hoffnungslosigkeit: "Es gibt kein Warum, und ich höre besser auf, mir Gedanken zu machen, von denen ich Kopfweh kriege. Allah ist allwissend" - so lautet seine Erkenntnis, nachdem Salafisten seinen Imam ermordet und die Moschee niedergebrannt haben und er selbst als Verdächtiger eines Putschversuchs von Regierungstruppen neun Monate lang eingekerkert und gefoltert worden ist.

Drei Namen trägt Elnathan Johns Held im Lauf der sieben Jahre umspannenden Leidensgeschichte. Zuletzt stellt er sich als das "Schwarze Gespenst" vor, das die unvorstellbaren Qualen im Folterknast überlebte. Elnathan John hat einen außergewöhnlich konsequenten Roman geschrieben, der seine Aussage ohne jeden Zweifel formuliert: Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben ist in seiner multi-ethnischen und -religiösen Heimat Nigeria nicht in Sicht. Gewalt schürt Gegengewalt, so lautet das einzige verlässliche Gesetz an diesem Ort. Aktuelle Medienberichte über Folter und Mord, begangen von nigerianischen Regierungstruppen im Kampf gegen die Terroristen von Boko Haram, zeigen Momente der Wirklichkeit, der John seinen Roman abgewonnen hat. Er gibt den Menschen in Nigeria eine Stimme, die längst im Trauma verstummt sind, die weder an Identität noch an Hoffnung einen Halt finden. Das ist erkenntnisreicher als jede Nachrichtenmeldung über den gescheiterten Staat in Westafrika.

Elnathan John: An einem Dienstag geboren. Roman. Aus dem Englischen von Susann Urban. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2017. 252 Seiten, 24,80 Euro. E-Book 16,99 Euro.

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SZ vom 09.11.2017
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