Affäre Trojanow:Die Türsteher der USA

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Ilija Trojanow: Sein Fall eröffnet Interpretationsspielräume in alle Richtungen. (Foto: dpa)

Der Schriftsteller Ilija Trojanow, dem zuletzt das Visum für die USA verweigert wurde, durfte jetzt doch plötzlich nach New York einreisen. Im dortigen Goethe-Institut kritisierte er prompt den Überwachungsstaat. Doch weil sich die US-Heimatschutz-Beamten wie Türsteher vor der Disco verhalten, können sie ihm noch nicht einmal Hybris vorwerfen.

Von Peter Richter, New York

Die gute Nachricht ist: Der Schriftsteller Ilija Trojanow durfte jetzt doch in die USA einreisen. Das bedeutet, er kann nun auch hier - wie an diesem Mittwochabend in den Räumen des New Yorker Goethe Instituts - öffentlich darüber nachdenken, was wiederum die schlechte Nachricht zu bedeuten hatte, die ihm Ende September auf einem Flughafen in Brasilien überbracht wurde: Dass ihm die Einreise diesmal verweigert sei.

Die Wege der Herren vom Department of Homeland Security aber sind unergründlich. Es liegt nun einmal nicht in ihrem Selbstverständnis, sich zu erklären. Eine belesene Dame aus dem Publikum führte deswegen sogar Machiavelli an, weil der ja auch schon der Ansicht war, zur Macht des Machthabers gehöre es dazu, keine Begründungen liefern zu müssen. Discobesucher kennen das von Türstehern.

So etwas macht das Gegenüber dieser Macht allerdings nicht unbedingt kleiner - das ist die Pointe der Affäre Trojanow. Solange nämlich die amerikanischen Behörden nicht erklären, was genau die Ampeln für Trojanow auf Rot geschaltet hat, solange kann ihm auch keiner wirklich vorwerfen, dass er sich womöglich zu wichtig nimmt, wenn er das auf seine Schriften zu den Stichworten Sicherheitswahn und Überwachungsstaat bezieht. Oder auf den offenen Brief, in dem die Bundeskanzlerin aufgefordert wurde, etwas in der Sache NSA zu unternehmen.

Man kann ihm noch nicht einmal vorwerfen, seinen Fall zu hoch zu hängen, wenn er nun auch noch annimmt, dass die USA nach der Sache mit dem Merkelhandy keinen weiteren Ärger mit Deutschland riskieren wollten und ihn deshalb lieber doch noch rein ließen.

Anders als bei den dissidentischen Dichtern des Ostblocks, zu deren Tragik es gehörte, dass ihnen ausgerechnet die Überwachung Relevanz und ihre treuesten Leser verschaffte, braucht es heute ja nicht einmal mehr jemanden, der sich persönlich den Strapazen der Lektüre unterzieht: Das Füttern der Algorithmen mit bestimmten Reizwörtern reicht vermutlich schon.

Dystopische Prognose

Trojanow verwies auf den Fall des Österreichers Gabriel Kuhn, der sich in seinen Büchern über die Zusammenhänge von Poststrukturalismus und Anarchismus Gedanken gemacht hat, und danach ebenfalls keine Einreiseerlaubnis für die USA mehr bekam. (Lustige Nachfrage der Moderatorin: "Wegen Strukturalismus?" Lustige Antwort von Trojanow: "Nein - wegen POST-Strukturalismus!" Und, wo wir schon dabei sind, hier noch der dritte heitere Moment des Abends: Bei der amerikanischen Botschaft in Berlin wurde Trojanow die Auskunft ausgerechnet mit dem Verweis auf "privacy laws" verweigert.)

Es kann also - solange die amerikanischen Behörden den von ihnen Abgewiesenen mit enigmatischem Schweigen begegnen, und so lange dieses Schweigen Interpretationsspielräume in alle Richtungen hin öffnet - Trojanow leider niemand stichhaltig widersprechen, wenn er nun von einer Amok laufenden Bürokratie spricht und von der Ineffizienz der Apparate, die sich, befangen im Wachstumsrausch der eigenen Möglichkeiten, offensichtlich gar nicht mehr die Frage stellen, ob sie wirklich Terroristen das Leben schwer machen oder vielmehr denen, die sie vor ihnen schützen sollen.

Am Ende, so seine dystopische Prognose, werde in schierer Ermangelung echter Kriminalität noch jedes normabweichende Verhalten kriminalisiert werden, um den Überwachungsaufwand zu rechtfertigen.

Dafür konnte Trojanows Mitdiskutantin Suzanne Nossel vom amerikanischen PEN-Zentrum zumindest mit ein paar konkreten Daten aufwarten. Der amerikanische PEN hatte am Montag erst eine Umfrage veröffentlicht, wonach 78 Prozent der befragten Schriftsteller noch nie so besorgt über die Freiheit der Meinungsäußerung und ihr Recht auf Privatheit waren und fast 30 Prozent bereits ihr Verhalten in der Öffentlichkeit, auf sozialen Netzwerken und dergleichen verändert hätten.

Wo Trojanow für die Nonchalance, mit der das von den meisten pragmatisch so hingenommen wird, das Bild von dem Frosch gebraucht, der nicht aus dem Topf springt, weil das Wasser nur langsam immer wärmer wird, da gebraucht die Amerikanerin eine temperaturmäßig entgegengesetzte Metapher: Chilling effects.

Ein klassischer Amerikanismus, der schon in der McCarthy-Ära verbreitet war: Man kann das als Abschreckungswirkung übersetzen, oder als vorauseilenden Gehorsam. Suzanne Nossel spricht von einem langsamen Einfrieren der Bürgerrechte.

Ihre Forderung: eine große, gesellschaftliche Debatte, an deren Ende in Senat und Kongress die Grenzen der Überwachung festgesetzt werden müssten. Dafür, dass diese Debatte in Amerika zumindest in Ansätzen begonnen hat, machte sie den scharfen Protest der ausländischen Regierungschefs Dilma Rousseff und Angela Merkel verantwortlich.

Trojanow wiederum wollte an der Bundesregierung kein gutes Haar lassen. Merkel habe erst reagiert, als bekannt wurde, dass ihr eigenes Handy abgehört wurde, was ja phänomenologisch eher noch der alten Schule des Spionagewesens angehört. Der eigentliche Paradigmenwechsel sei aber die Überwachung aller und auf Vorrat, was Innenminister Friedrich ja erklärtermaßen auch eher selbst betreiben als unterbinden möchte.

Plötzlich geht's durch den V.I.P.-Eingang

Am Ende griff vermutlich schon deshalb Peter Wiesel, deutscher Uno-Botschafter in New York, als erster zum Mikrofon und beeilte sich, dem ergrimmten Schriftsteller zu versichern, dass auch die vom ihm geschmähte Regierung in seiner Sache bei den Amerikanern tätig war.

Wie auch immer es hinter den Kulissen gelaufen sein mag, auf Trojanows Seite stellte sich das am Ende so dar: Erneut Beantragung eines einmaligen Einreisevisums, plötzlich schickt das Konsulat in München den Pass zurück - und es klebt gleich ein Visum für die nächsten zehn Jahre darinnen. Die Türsteher der USA haben Trojanow jetzt sozusagen durch die V.I.P.-Kordel hereingewunken.

Der Beamte von der Homeland Security in Chicago schließlich: "Was tun Sie?"

Trojanow: "Ich bin Schriftsteller."

Homeland Security: "Soso, was schreiben Sie denn so?"

Trojanow: "Die Wahrheit."

Homeland Security: "Alles klar, schönen Aufenthalt."

© SZ vom 15.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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